electronica '82 spiegelt zukunftstendenzen wider:

Ganze Systeme auf einem Siliziumchip

12.11.1982

MÜNCHEN (pi) - Halbleiter - also Transistoren, integrierte Schaltungen und Mikroprozessoren - sind wieder der Schwerpunkt der "electronica", die in diesem Jahr vom 9. bis 13. November auf dem Münchner Messegelände stattfindet. Die meisten Branchen - auch die nichtelektronischen - hängen in ihrer weiteren Entwicklung von der Innovationskraft der Halbleiterhersteller ab. Dieser ständigen Herausforderung waren diese sich stets bewußt, und heute bietet die Fertigungstechnologie auch höchstintegrierter Schaltungen keine prinzipiellen Probleme mehr. Von einer technologischen Lücke kann hier keine Rede mehr sein.

Man ist heute in der Lage, bei Leiterbahnabständen von zwei bis dreitausendstel Millimeter rund 100 000 Transistorfunktionen auf den Siliziumchips von Fingernagelgröße unterzubringen und zu beherrschen. In naher Zukunft sollen es bis zu 150 000 Transistorfunktionen sein. Die VLSI-Schaltungen (Very Large-Scale Integration - höchstintegrierte ICs) von morgen werden unter dem Mikroskop kaum anders aussehen als die von heute - es wird lediglich alles noch dichter gepackt sein, und die Leiterbahnabstände werden ein tausendstel Millimeter und weniger betragen. Die fertigungstechnische Beherrschung derartig winziger Strukturen wird dann bei allen Anbietern als selbstverständlich vorausgesetzt.

Die Schwierigkeit wird darin liegen, die unvorstellbar großen Möglichkeiten von nahezu einer Million Transistorfunktionen auf einem einzigen Chip sinnvoll und optimal auszunutzen - selbst manche Fachleute bezweifeln, ob das dann noch in vollem Umfang gelingen wird. Auf herkömmlichem Wege, ohne Computerhilfe mit Sicherheit nicht. Nur mit CAD (Computer Aided Design) werden die Hersteller überhaupt in die Lage versetzt, die fertigungstechnischen Voraussetzungen in Bauelemente umzusetzen, die den Wünschen des Anwenders entsprechen. Heute besteht der Aufbau eines Systems - das zeigt auch die "electronica" - aus einem zentralen Rechner- und Datenverarbeitungsbaustein, so dem Mikroprozessor, der durch Hinzufügen von weiteren Schaltkreisen, Speichern und Zusatzchips funktionsgerecht verschaltet wurde. Das ist nach wie vor die wirtschaftlichste Lösung einer Systemintegration. Künftig freilich sollen alle diese Elemente - möglichst noch mit zusätzlicher Software - auf einem einzigen Chip untergebracht werden. Genau nach Kundenwunsch. Daß so etwas nicht billig sein kann, versteht sich von selbst.

Das bedeutet, daß sich der Systemintegrations-Vorgang vom Anwender zum Bauelementehersteller verlagert. Damit muß die Zusammenarbeit zwischen beiden noch enger werden; in vielen Fällen wird wohl auch der Halbleiterhersteller selbst zum Systemanbieter. Diese Annäherung ist bereits heute auf der ganzen Welt zu beobachten: Zahlreiche Unternehmensgruppen haben ihre besten Kunden im eigenen Haus. Ohne Computer jedoch wäre das System auf einem Chip überhaupt niemals zu einem vertretbaren Preis und in einer absehbaren Zeit zu verwirklichen. Die automatischen Entwicklungshilfen werden ganze Serien von hochkomplexen, anwendungsorientierten Quasi-Standardbauelementen auf den Markt bringen - in viel schnellerer Folge als heute. Erste Anzeichen dieser Entwicklung sind bereits auf dieser "electronica" zu spüren.