Die Entwicklung hat schon vor ein bis zwei Jahren im Analytics/Data Science-Bereich angefangen: Startups, zum Beispiel Algorithmia und RapidMiner, aber auch namhafte Größen wie Alteryx, FICO, IBM, Microsoft und Teradata entwickeln noch recht rudimentäre Marktplätze für Softwarekomponenten. Das primäre Ziel ist, Kunden mehr Flexibilität und weniger monolithische Kompromisse anzubieten. Die weiteren Implikationen sind jedoch ebenfalls erheblich.
Die App Economy erreicht Big Data Science
Die wesentliche Idee ist sehr ähnlich zu den App Stores oder Play Stores der Smartphone-Anbieter: Über Marktplätze sollen alle möglichen Software- und Servicekomponenten vertrieben werden. Im Unterschied zu mobilen Apps bieten diese Software-Apps oder analytischen Apps nur Teilfunktionalitäten an wie etwa Algorithmen, Modelle für Predictive Analytics, Datensätze und Datenwrapper. Aber gerade diese Teilfunktionalitäten machen die Stärke des Ansatzes aus: Sie sind als Bausteine gedacht, die zu fast beliebigen Datenverarbeitungsketten verknüpft werden sollen.
Allerdings sollen die Marktplätze wie bei Smartphones offen sein und App-Anbieter sollen ihre Bausteine (wie zum Beispiel Algorithmen) mühelos "publizieren" können. Durch die Nutzung der Bausteine werden Zahlungsströme an die App-Anbieter und den Plattformbetreiber ausgelöst. Das Interessante also ist die Grundidee der App Economy, Software über eine offene aber mächtige Monetarisierungs- und Verteilungsinfrastruktur zu vertreiben. Mit anderen Worten: Wir reden hier von einem Spotify, Uber oder eBay für Algorithmen oder Software. Der Vergleich hinkt ein wenig, darum im Folgenden ein Beispiel.
Eine Illustration der grundlegenden Mechanik
Man stelle sich einen Flughafen oder Einkaufszentrum vor, wo man die Gemütslage der Passanten automatisch erfassen möchte. Um zu illustrieren, wie Algorithmus-Marktplätze funktionieren und in der Tat neuartige Lösungswege zu komplexen Geschäftsproblemen anbieten, haben wir ein Problem aus der "Emotion Detection" gewählt (siehe Abbildung 1).
In einem ersten Schritt (1) haben die zwei Ingenieure Anton und Karl jeweils ihre Software-Komponenten für Emotionserkennung und Gesichtsextraktion auf dem Marktplatz "publiziert". Wichtig dabei ist: Der Code wird nicht im eigentlichen Sinn publiziert, sondern lediglich über die Laufzeitumgebung des Marktplatzes lauffähig zur Verfügung gestellt.
Im zweiten Schritt entdeckt der Software-Ingenieur, der mit der Gesamtlösung beauftragt ist, diese zwei Komponenten und bindet diese - nach Registrierung im Marktplatz (3) - in seinen Code (4) ein.
Mit jedem API-Aufruf, gesteuert über einen Authentifizierungscode oder Token, passieren im Wesentlichen zwei Dinge:
Der entsprechende Algorithmus wird in der Laufzeitumgebung des Marktplatzes ausgeführt und das Ergebnis in die Laufzeitumgebung des Nutzers zurückgeleitet.
Es entstehen drei Zahlungsströme: zwei jeweils an die Entwickler und einen an die Betreiberplattform.
Anton und Karl können sich also gemütlich zurücklehnen und zuschauen, wie das Geld auf ihr Konto eingeht.
Algorithmen wie "Sand am Meer"
Was macht das Prinzip der Algorithmus-Marktplätze also so interessant?
Die Verteilungskosten von Software sind verschwindend gering: Wenn dies so ist, warum sollten nicht die Ingenieure und Wissenschaftler der Welt ihre Implementierungen über Algorithmus-Markplätze einfach "veröffentlichen"? Man kann ja nie wissen, ob der Algorithmus nicht vielleicht in irgendeinem Industriekontext von großen Nutzen sein und damit potenziell einiges an Geld einbringen könnte!? Wie bei Spotify oder Uber wird das Einstellen recht einfach sein. Nicht zuletzt deswegen hat Spotify mittlerweile über 30 Millionen Titel.
Die Granularität der Kommerzialisierung sinkt: "Funktionen oder Features kann man nicht kommerzialisieren. Das geht nur mit vollständigen Produkten." So oder ähnlich lautete die Jahrzehnte alte Lehre, die jetzt durch Algorithmus-Märkte über den Haufen geworfen wird.
In Abbildung 2 illustrieren wir das mögliche Spektrum an Bausteinen. Klar ist: Der Begriff "Algorithmus" ist hier viel zu eng gefasst.
Es entsteht ein massives Öko-System wiederbenutzbarer Komponenten: Ein ganz wesentlicher Aspekt der Algorithmus- Marktplätze sind die Mechanismen der Wiederbenutzbarkeit von Komponenten. Dabei könnte die Funktion "allEmotions" wiederum als neu zusammengesetzter Algorithmus im Marktplatz publiziert werden. Jede Benutzung der "allEmotions"-App würde nun vier Zahlungsströme auslösen: drei wie gehabt an die Entwickler der "recognizeEmotion" und "extractFaces"-Komponenten sowie den Plattformbetreiber und einen zusätzlichen an den Entwickler von "allEmotions".
Konkret bedeutet das aber, dass Algorithmus-Marktplätze den Software-Entwicklern weltweit große Anreize geben, wiederverwendbare Komponenten zu entwickeln. Diese Entwicklung wird der Standardisierung in der IT neuen Schub verleihen - etwas was nicht unterschätzt werden kann. Weitere riesige Potenziale gerade für Big Data und Advanced Analytics werden Algorithmus-Marktplätze in Kombination mit PaaS (Platform-as-a-Service) entfalten: alle drei Paas/Cloud-Megaanbieter (Amazon, Microsofts Azure und IBMs Bluemix) investieren hier massiv.