Java-Applikationen als Front-end für ein Data-Warehouse

Für Roche ist das Intranet schon ein alter Hut

06.12.1996

Gesundheits- und Umweltrisiken der eingesetzten beziehungsweise hergestellten Stoffe sind für Pharmaproduzenten ein Thema von strategischer Bedeutung - nicht nur aus Gründen der Image-Pflege. Vielmehr schreiben die internationalen Umwelt- und Gesundheitsbehörden vor, daß keine Substanz verkauft werden darf, ohne daß sie zuvor registriert wird. Im Zuge dieser Prozedur muß der Hersteller auch ein "Sicherheitsdatenblatt" anlegen.

Diese Blätter sind europa- sowie weltweit genormt. Sie enthalten in 16 Kapitel unterteilte Detailangaben zum chemisch-physikalischen Verhalten des Stoffes, alles in mehreren EU-Sprachen. Ein solches Dokument anzufertigen und zu verteilen kostet Zeit - eine knappe Ressource, wenn es beispielsweise darum geht, ein Mittel gegen Aids möglichst schnell für den Markt freizugeben. Zudem entscheidet der "Time-to-market"-Aspekt gerade im Pharmageschäft über Gewinne in Millionen-, wenn nicht Milliardenhöhe.

Roche hat zumindest das Problem der Verteilung elegant gelöst: Der Produzent von Arzneimitteln, Vitaminen, Diagnostika und Aromen betreibt seit zwei Jahren ein Intranet, sprich: ein firmeninternes TCP/IP-Netz, auf das die Benutzer mit einem Standard-Browser zugreifen.

Wie der Systemadministrator Enrico Bondi erläutert, lassen sich dank der überall verfügbaren Browser-Software unterschiedliche Anwenderplattformen - im Einsatz sind Windows 3.11, Macintosh und Unix - problemlos integrieren. Darüber hinaus erlaube es die Intranet-Technik, das Sicherheitsdatenblatt für ein neues Roche-Produkt ohne Zeitverzögerung in jeder der weltweit verstreuten Niederlassungen zur Verfügung zu stellen, was vor allem bei etwaigen Änderungen ins Gewicht falle. Und das wiederum beschleunige die Marktfreigabe.

Die Sicherheitsdatenblätter stehen jedoch nur für einen Ausschnitt aus dem Aufgabenfeld des Roche-Bereichs Safety and Environmental Protection. Er betreut vor allem das umfassende Management-Informationssystem zum Thema Sicherheit und Umweltschutz. Dieses System soll den Entscheidungsträgern auf unterschiedlichen Hierachieebenen die Informationen anbieten, die sie benötigen, damit sie beispielsweise Vorbeugemaßnahmen gegen Umweltgefahren einleiten können.

Im Grunde ist dieses "Safety and Environmental Protection Information System for Management Orientation" (Seismo) ein Data-Warehouse. Es aggregiert Informationen aus unterschiedlichen Datenbanken, die zum Teil unter IMS (Produktionsdaten), zum anderen unter DB2 (Verwaltungsdaten) und zum dritten unter Oracle ("Roche Chemical Information System" = RCI) gespeichert sind.

Die Idee für Seismo wurde bereits vor sechs Jahren geboren, als die Roche-Verantwortlichen es leid waren, die wichtigen Daten aus den drei unterschiedlichen Systemen zusammenzuklauben. Seismo gibt ihnen nun ein Mittel an die Hand, mit dem sie sich alles Wissenswerte über einen Vorgang in einem einzigen Arbeitsschritt beschaffen können.

Auf der Grundlage des Data-Warehouse läuft auch die Applikation "Flow". Sie verarbeitet die Informationen darüber, welche Abfallstoffe bei der Produktion einer Substanz anfallen und auf welche Weise sie entsorgt werden müssen. Durch grafische Darstellung (siehe Abbildung) wird das Ergebnis mit einem Blick erfaßbar.

Ursprünglich hatte Roche geplant, das Data-Warehouse als Host-Applikation zu verwirklichen. Doch wie in anderen Unternehmen flossen peu á peu immer mehr Funktionen aus der zentralen Informationsverarbeitung in die Fachbereiche. Dadurch gewann die Client-Server-Idee an Attraktivität.

Schließlich trafen die Verantwortlichen die Entscheidung, das System auf Basis eines Unix-Servers zu realisieren. Es benutzt ein relationales Datenbank-Management-System (zur Zeit Sybase, später voraussichtlich Oracle), das wiederum aus den drei älteren Datenbanksystemen gespeist wird - mit Hilfe des Werkzeugs "Table Tool" von der Ergon Informatik AG, Zürich.

Noch hat sich das Client-Server-Konzept bei Roche nicht ganz durchgesetzt. Aber vor etwa drei Jahren startete der Pharmakonzern ein weitreichendes Re-Engineering-Projekt, das unter anderem den Umstieg von der SAP-Standardsoftware "R/2" auf das Nachfolgeprodukt R/3" bis zur Jahrtausendwende vorsieht.

Gerade den Unternehmen, die die Client-Server-Stufe nur zögernd erklimmen, fällt oft die Annäherung an die Philosophie des World-Wide-Web relativ leicht.

So verlegte Roche den Seismo-Zugang quasi von vornherein in das Intranet. Für die Recherche in den Sicherheitsdatenblättern und den Zugriff auf die Flow-Anwendungen stehen nicht nur Hypertext-Markup-Language-(HTML-) Seiten, sondern auch dynamische Applikationen zur Verfügung, die mit Hilfe der Programmiersprache Java entwickelt wurden. Als deren Vorteil nennt Bondi unter anderem die hohe Performance vor Ort sowie die Möglichkeit, die Anwendungsfunktionen auch offline zu nutzen.

Jetzt können die Anwender bei Roche selbst in der 1200 Dokumente umfassende Sammlung von Sicherheitsdatenblättern stöbern. Die gewünschten Informationen werden ihnen in Adobes Portable Document Format (PDF) übermittelt. Das aus Roche- und Ergon-Mitarbeitern zusammengesetzte Entwicklungsteam hat dazu die Java-Applikationen über ein HTTP/CGI-Gateway mit einem CGI-Server verbunden, der die Anwendung mit der Datenbank verknüpft und die Requests der User in SQL-Befehle übersetzt.

Die meisten Benutzer bei Roche müssen sich bislang jedoch mit Windows 3.11 begnügen. Und noch liegt keine Produktionsversion eines Browsers vor, der Java unter dem alten Microsoft-Betriebssystem unterstützen würde. Deshalb können zur Zeit nur 50 bis 60 Roche-Anwender das Informationssystem optimal nutzen.

Aber Netscape ist dabei, für Abhilfe zu sorgen. Vor ein paar Tagen hat der Anbieter eine Alpha-Version seines "Navigator"-Browsers verabschiedet, die den Java-Einsatz unter Windows 3.11 ermöglicht. Bondi hat das Werkzeug ausprobiert und für tauglich befunden. Sein derzeitiges Problem: Selbstverständlich akzeptiert ein Großunternehmen wie Roche kein im Test befindliches Software-Tool für den operativen Gebrauch. Noch ein zweites Haar in der Suppe hat Bondi entdeckt: Java erlaubt es den Anwendern bislang nicht, die "Flow"-Grafiken auszudrucken.

Aber der Systemadministrator hofft, daß Sun Microsystems dieses Problem bald lösen wird, so daß die Java-Applets Roche-weit genutzt werden können. Sollte das vielleicht doch ein bißchen länger dauern, so kann er sich immerhin damit trösten, wenig Aufwand getrieben zu haben: Eine einzige Software-Ingenieurin brachte beide Java-Anwendungen in nicht mehr als drei Wochen in Gang.

DER Macher

Enrico Bondi, bodenständiger Überflieger

Wie ein Himmelsstürmer sieht er eigentlich nicht aus, aber sein Hobby spricht für sich: Encrico Bondi fotografiert leidenschaftlich gern bei Kunstflug-Darbietungen. Eher erdverhaftet ist dagegen sein beruflicher Werdegang. Seit 36 Jahren hält der 53jährige Systemadministrator nun schon der F. Hoffmann - LaRoche AG in Basel die Treue. Als gelernter Laborant mit chemotechnischer Zusatzausbildung übernahm Bondi 1978 die Dokumentation der Abteilung für Sicherheit und Umweltschutz. Sechs Jahre später wechselte er in den Informatikbereich. Mit seinen Java-Applikationen setzt er jetzt zum informationstechnischen Höhenflug an.

DIE FIRMA

In einem großangelegten Re-Engineering-Projekt hat die F. Hoffmann - La Roche AG im vergangenen Jahr zwar nicht ihren Umsatz, wohl aber ihren Profit gesteigert. 3,372 Milliarden Schweizer Franken (etwas mehr als vier Milliarden Mark) blieben 1995 übrig, obwohl die Einnahmen mit 14,722 Milliarden Franken (knapp 18 Milliarden Mark) unter denen des Vorjahres lagen. Die deutlich höhere Marge läßt sich zum Teil darauf zurückführen, daß im vergangenen Jahr fast jeder fünfte Arbeitsplatz verschwand, so daß die Belegschaft schließlich nur noch 50500 Köpfe zählte. Aber das Unternehmen bemüht sich auch, seine Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität mit Hilfe von Informationstechnik zu erhöhen.