Internationalisierung und Konzentration nehmen zu

Für Frankreichs SW-Häuser brechen jetzt härtere Zeiten an

01.05.1992

Von CW-Mitarbeiter Lorenz Winter

PARIS - Zum ersten Mal seit den 70er Jahren nahm der Umsatz der französischen Softwarehäuser 1991 um weniger als ein Zehntel zu. "Sammelten die Firmen früher Geschäfte praktisch von der Straße auf, so mußten sie sich im Vorjahr kräftig nach der Decke strecken", konstatiert Jean-Francois Perret, Generaldirektor der Unternehmensberatung Pierre Audoin Conseil (PAC), die dem Markt kürzlich eine ausführliche Studie widmete.

Im Schnitt dürfte das Wachstum der Branche gleichwohl immer noch 9,5 Prozent ausgemacht haben, womit es sowohl das von der Rezession gedrückte Inlandsprodukt Frankreichs als auch den dortigen DV-Markt übertraf. Für viele Anbieter jedoch gab es 1991 nur Nullwachstum oder gar rote Zahlen. Außerdem erreichten die Geschäfte der französischen Softwarehäuser - landesübliche Nomenklatur: "SSII" - nicht mehr den Zuwachs der Ausgaben für Software und Dienstleistungen der französischen End-anwender. 1990 war das noch der Fall gewesen.

Die Kunden nämlich fuhren nicht nur ihre Bestellungen zurück, sondern sie griffen auch weniger als in den Vorjahren auf Leistungen Dritter zurück. Dazu tobten insbesondere in Bereichen mit niedriger Wertschöpfung 1991 anhaltend heftige Preiskämpfe, die an den Margen der SSII zehrten. Ausnahmen davon bildeten nur so komplexe Dienstleistungen wie Systemintegration oder Facilities Management, welche die Masse der kleineren Firmen nicht anzubieten hat.

Besorgt verfolgen die SW-Unternehmensleitungen aber auch das Interesse der Hardwarehersteller, Telecom-Unternehmen und der Wirtschaftsprüfer an ihren bislang tastbaren Domänen. Die Gerätefabrikanten reizen dabei offenbar weniger die möglichen Gewinnspannen; vielmehr sind es die Wachstumsraten, die sie ein Auge auf den Softwaremarkt werfen lassen. Diese waren 1991 nach Erkenntnissen von PAC vier- bis fünfmal so hoch wie die im Hardwaregeschäft. Auf dem Weg über die Systemintegration dringen deshalb jetzt insbesondere IBM, Bull und DEC in den Markt der SSII ein.

Traumraten gehören der Vergangenheit an

Dem Softwareinteresse der Telecom-Unternehmen liegen andere Faktoren zugrunde: Durch die Deregulierung der Fernmeldebranche in vielen Ländern erwarben sie das Recht zur Diversifizierung, was sie teils durch die Belagerung strategisch wichtiger Geschäftsbereiche, teils durch Zukauf von Marktanteilen nutzen. France Telecom besitzt seit langem mehrere eigene Softwaretöchter, von denen allein die Telesystemes zwei Milliarden Franc Umsatz macht. Seine Gründungs-, Beteiligungs- und Akquisitionspolitik in der Informatikbranche will der französische TK-Konzern auch künftig fortsetzen. Da heute fast zwei Drittel der Großunternehmen einen gemeinsamen Etat für DV- und TK-Ausgaben haben, finden die Telekom-Unternehmen dort leichter Ansprechpartner als die Softwarehäuser.

Für 1992 geht die PAC-Studie nur von einem geringfügig höheren Umsatz der französischen Softwarehäuser aus als im Vorjahr. In den drei Folgejahren könnte das Wachstum dann zwar wieder auf 13 bis 15 Prozent klettern, bliebe damit von den Traumraten der Vergangenheit aber immer noch weit entfernt. Gleichzeitig wird sich nach Ansicht von Perret der Trend zur Konzentration und Internationalisierung bei den französischen und ausländischen SW-Anbietern fortsetzen.

Schon jetzt vereinigen in Frankreich fünf der schätzungsweise 1500 Branchen-Player ein Drittel des Gesamtumsatzes auf sich. Weltweit nahm die Konzentration l991 durch Kapitalbeteiligungen und Käufe zu - wie zum Beispiel durch den Einstieg von Daimler-Benz bei Cap Gemini, die Übernahme von SD-Scicon durch EDS oder den Erwerb von Dataid durch ATT. In Frankreich dürfte dagegen Bevor allem durch die Reorganisation und eventuelle Reprivatisierung von Staatsunternehmen und Großbanken Bewegung in die Szene kommen. So besitzen zum Beispiel Thomson und die Industrieholding des Atomenergie-Kommissariats (CEA) bedeutende Softwaretöchter, ebenso Kreditinstitute wie die Societe Generale oder Paribas.

Drei Gruppen im Softwaregeschäft

Der Zwang zur Internationalisierung rührt nach Ansicht von Perret vor allem von den veränderten Größenordnungen in der Weltrangliste der Branche her: "Unter zehn Milliarden Franc Umsatz erreicht ein Softwarehaus noch nicht die kritische Schwelle, ab der es international als Mitspieler ernstgenommen wird." Gleichzeitig könne kein SW-Unternehmen, das sich auch im Jahr 2000 noch zu den fünf größten zählen möchte, dieses Ziel allein durch Dominierung des Heimatmarktes anstreben.

Der PAC-Marktforscher sieht deshalb eine künftige Struktur des Softwaregeschäfts in drei Gruppen voraus: die großen Generalisten, national oder regional aktive Nischenfirmen und schließlich international tätige mittelgroße Spezialisten, etwa für Bankenautomation oder CAD-Software.