Mensch bleibt Mensch

Führung entscheidet

27.04.2017
Von 
Lukas Leist studierte Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt und ist als freier Journalist auf IT- und Managementthemen spezialisiert. Er arbeitet für die PRofilBerater GmbH, Darmstadt.
Führung wird im digitalen Zeitalter wichtiger denn je – das betont Barbara Liebermeister in ihrem neuen Buch "Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch – Führung entscheidet". Ein Interview mit der Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt.

Sie behaupten, im digitalen Zeitalter werde Führung immer wichtiger. Warum?

Barbara Liebermeister: Weil sich aufgrund der sogenannten digitalen Transformation in den Unternehmen zwar sehr vieles verändert, jedoch eines nicht: der Mensch Mitarbeiter. Er wünscht sich weiterhin Halt und Orientierung - und zwar umso mehr je diffuser, instabiler sowie von Veränderung geprägter das Umfeld der Unternehmen ist. Und wer soll dem Mensch Mitarbeiter dieses Gefühl vermitteln, wenn im Unternehmen alles permanent auf dem Prüfstand steht? Letztlich können dies nur die Führungskräfte sein. Deshalb ist die These nicht gewagt: Führung wird immer wichtiger werden - gerade weil es im Unternehmenskontext sonst nichts mehr gibt, worauf man als Mitarbeiter bauen und vertrauen kann.

Führung muss und wird sich verändern

Eine beruhigende Aussicht für viele Führungskräfte.

Barbara Liebermeister: Jein. Denn zugleich muss und wird sich Führung im digitalen Zeitalter radikal verändern.

Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Anfang März erschien im Gabal-Verlag ihr neues Buch "Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch - Führung entscheidet".
Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Anfang März erschien im Gabal-Verlag ihr neues Buch "Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch - Führung entscheidet".
Foto: IFIDZ

Warum?

Barbara Liebermeister: Unter anderem, weil die für den Unternehmenserfolg relevanten Leistungen zunehmend von bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifenden Teams erbracht werden. Deshalb haben die Führungskräfte seltener einen uneingeschränkten Zugriff auf ihre Mitarbeiter und ihr Tun. Sie müssen diese zunehmend an der langen Leine führen und auf ihre Loyalität, Integrität und Kompetenz vertrauen.

Gibt es weitere Entwicklungstrends?

Barbara Liebermeister: Ja. Die für die externen oder internen Kunden erbrachten Lösungen setzen zum Beispiel immer mehr Spezialwissen voraus, das die Führungskräfte selbst nicht haben. Deshalb haben die Führungskräfte seltener einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung vor ihren Mitarbeitern. Sie sind beim Erbringen der gewünschten Leistung sozusagen existenziell auf die Kompetenz ihrer Mitarbeiter und Netzwerkpartner angewiesen - auch weil ihre Bereiche immer häufiger vor Herausforderungen stehen, für die sie noch keine Lösung haben. Deshalb können die Führungskräfte ihren Mitarbeitern seltener sagen "Tue dies oder tue das, dann haben wir Erfolg". Sie müssen vielmehr mit ihnen kleine Versuchsballons starten, was könnte die richtige Lösung sein, und dann im Prozess ermitteln, was zielführend ist.

Führungskräfte werden Beziehungsmanager

Wie ist in einem solchen Umfeld erfolgreiche Führung möglich?

Barbara Liebermeister: Der einzige Lösungsweg ist: Die Führungskräfte müssen sich als Beziehungsmanager verstehen, deren Kernaufgabe es ist, die Beziehungen im sozialen System Unternehmen so zu gestalten, dass die Mitarbeiter effektiv zusammenarbeiten können; außerdem als emotionale Leader, deren Aufgabe es ist, ihre Mitarbeiter zu inspirieren, so dass diese sich freiwillig für das Erreichen der gemeinsamen Ziele engagieren.

Das haben viele Führungskräfte in der Vergangenheit schon getan.

Barbara Liebermeister: Ja, doch meist nur bezogen auf die ihnen unterstellten Mitarbeiter. In den Unternehmen der Zukunft - und in vielen High-Performance-Unternehmen bereits heute - sind ihre Bereiche jedoch eng mit den anderen Bereichen verwoben - außerdem mit der Umwelt. Auch weil die meisten Unternehmen heute eine Vielzahl externer Dienstleister beschäftigen, die für sie wichtige Teilaufgaben erledigen. Und diese verfügen oft über Kompetenzen, ohne die ihre Auftraggeber nicht marktfähig wären. Also gilt es auch diese Dienstleister zu integrieren und zu führen.

Die Beziehungsnetzwerke werden immer komplexer

Die Führungskräfte müssen also ein immer komplexeres Netzwerk führen oder dirigieren.

Barbara Liebermeister: Ja. Auch weil die Belegschaften und Beziehungsnetzwerke in den Unternehmen immer heterogener werden: "digital natives" müssen mit "digital immigrants" kooperieren, Westeuropäer mit Chinesen, festangestellte Mitarbeiter mit Freelancern, reiche Erben, die primär Erfüllung im Job suchen, mit jungen Familienvätern, die Karriere machen möchten, weil sie ihre Eigenheim-Kredite abbezahlen müssen. All diese Individuen soll die arme Führungskraft führen und inspirieren - und zwar in einem Umfeld, das von permanenter Veränderung geprägt ist und in dem letztlich niemand weiß, was die Zukunft bringt.

Aufgrund der digitalen Transformation verändert sich vieles in den Unternehmen, jedoch eines nicht: der Mensch Mitarbeiter. Er wünscht sich weiterhin Halt und Orientierung.
Aufgrund der digitalen Transformation verändert sich vieles in den Unternehmen, jedoch eines nicht: der Mensch Mitarbeiter. Er wünscht sich weiterhin Halt und Orientierung.
Foto: Peshkova - shutterstock.com

Führungskräfte brauchen neue Kompetenzen

Welche Fähigkeiten setzt dies voraus?

Barbara Liebermeister: Das Fähigkeitenbündel, über das eine Führungskraft hierfür verfügen muss, hat das IFIDZ in einer mit dem F.A.Z.-Institut durchgeführten Studie mit dem Begriff "Alpha Intelligence" belegt, da es aus seiner Warte die Alpha-Tiere der Zukunft auszeichnet - also die Personen in den Unternehmen, die etwas bewirken möchten und denen andere Menschen aufgrund ihrer Persönlichkeit und Kompetenz gerne folgen.

Um welche Kompetenzen handelt es sich hierbei konkret?

Barbara Liebermeister: Drei Kompetenzbereiche lassen sich bei der Alpha-Intelligence unterscheiden. Der Erste ist die sogenannte Persönlichkeitsintelligenz. Er umfasst primär die Ebene des eigenen Selbstverständnisses. Dieses ist bei einer alpha-intelligenten Persönlichkeit dadurch geprägt, dass sie keinen Allmachts-Phantasien huldigt, sondern sich als Lernender versteht. Sie hinterfragt also ihr Verhalten und dessen Wirkung und entwickelt sich als Person weiter.

Eng verknüpft damit sind solche Eigenschaften wie Neugier und Bereitschaft zur Veränderung sowie der Mut, die hierfür nötigen Schritte zu ergreifen. Der zweite Kompetenzbereich ist die Beziehungsintelligenz. Er umfasst die Fähigkeiten, die zum Auf- und Ausbau tragfähiger Beziehungen erforderlich sind. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Empathie - also das Einfühlungsvermögen in andere Personen und Konstellationen - sowie der wertschätzende Umgang mit den persönlichen Wünschen, Bedürfnissen und Interessen der Netzwerkpartner.

Ziel: Ein emotionaler Leader werden

Und der dritte Kompetenzbereich?

Barbara Liebermeister: Ist die Digitalintelligenz. Ein zentrales Element dieses Kompetenzbereichs ist der Zukunftsblick. Hierzu zählt neben einer Vision, wohin der gemeinsame Weg führen soll, die Bereitschaft, die aus dem technischen Fortschritt sich ergebenden Chancen aktiv zu nutzen. Das setzt neben einem interdisziplinären Denken eine gewisse Digitalkompetenz voraus, weil die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie meist der zentrale Veränderungstreiber ist.

Worin zeigt sich diese Kompetenz?

Barbara Liebermeister: Primär darin, dass die betreffende Person sich - alleine oder mit Expertenunterstützung - ein fundiertes Urteil darüber bilden kann, welche Chancen und Risiken sich aus dem technischen Fortschritt ergeben und somit entscheidungs- und handlungsfähig ist. Führungskräfte, die über die genannten Fähigkeiten verfügen, können sich zu den emotionalen Leadern entwickeln, nach denen sich Menschen in einem von Instabilität und Veränderung geprägten Umfeld sehnen. Sie können sozusagen Persönlichkeitsmarken werden, denen ihre Mitarbeiter und Netzwerkpartner gerne folgen, weil sie ihnen vertrauen.

Als Person erkennbar für bestimmte Werte stehen

Können Sie das konkretisieren?

Barbara Liebermeister: Selbstverständlich. Eine Marke kennzeichnen zwei Faktoren. Erstens: Sie ist aufgrund ihres Auftritts beziehungsweise Erscheinungsbilds wiedererkennbar. Und zweitens: Sie gibt den Kunden ein klares Leistungsversprechen. Ähnlich verhält es sich bei Führungskräften, die aus Sicht ihrer Kontaktpersonen eine Persönlichkeitsmarke sind. Auch sie stehen erkennbar für konkrete Werte und Überzeugungen, die sich in ihrem Verhalten zeigen. Also lautet die erste Anforderung an Führungskräfte, die sich zu einer Persönlichkeitsmarke entwickeln möchten: Sie müssen sich ihrer Werte und Überzeugungen sowie Stärken bewusst werden.

Auch Schwächen?

Barbara Liebermeister: Ja. Denn erst aus dem Bewusstsein unserer Stärken und Schwächen erwächst das erforderliche Verständnis für unsere mögliche Wirkung. Und dieses hilft Führungskräften wiederum nicht nur an Schönwetter-Tagen, sondern auch, wenn es im Unternehmen oder Markt "stürmt und schneit" eine souveräne Haltung einzunehmen und zu zeigen. Und dies ist ein deutliches Signal für ihre Umwelt: Dieser Marke beziehungsweise Person kannst du vertrauen.

Glaubwürdig, berechenbar und zuverlässig sein

Und Vertrauen ist für den Führungserfolg in der von Veränderung geprägten VUCA-Welt sehr wichtig?

Barbara Liebermeister: Ja. Deshalb sollten alle Führungskräfte daran arbeiten, dass sie für die Mitglieder ihres Beziehungsnetzwerks eine Marke werden, der man vertrauen kann, weil sie glaubwürdig, berechenbar und zuverlässig ist. Dann ist ihr Führungserfolg im digitalen Zeitalter gesichert.