Deutsches Turnfest '78: Turnväter setzten Rotstift bei der Hardware an:

Frisch, fromm, fröhlich, frei - die EDV war auch dabei

04.08.1978

HANNOVER (ma) - Niedersachsens Metropole sah vom 30. Juli bis zum 5. August die - gemessen an der Zahl der aktiven Teilnehmer - größte Sportschau der westlichen Welt. Das Deutsche Turnfest Hannover '78, so die offizielle Bezeichnung, konnte dabei auf eine über 100jährige Tradition zurückblicken: Das erste Deutsche Turnfest fand 1860 in Coburg statt. Planung, Vorbereitung und Abwicklung einer solchen Mammutveranstaltung ist ohne Einsatz der EDV heute kaum mehr durchzuführen.

Für Hannover '78 hatten über 45 000 Teilnehmer aus 3 180 deutschen Vereinen gemeldet. Außer den Wahlwettkämpfen wurden beim diesjährigen Deutschen Turnfest die Deutschen Meisterschaften im Kunstturnen, in der Wettkampfgymnastik sowie in den Leichtathletik- und Schwimm-Mehrkämpfen ausgetragen.

Bei den letzten beiden Deutschen Turnfesten - 1968 in Berlin und 1973 in Stuttgart - hatten die EDV-Aufgaben jeweils die Branchengrößten übernommen: 1968 IBM und 1973 Siemens. Beim diesjährigen Turnfest wurde die in Hannover ansässige Unternehmensberatung Juhl mit der gesamten EDV-Abwicklung und -Organisation beauftragt.

Zu dem an Juhl erteilten Auftrag gehörte sowohl die Erstellung der Software - insgesamt 120 Einzelprogramme - als auch die Bereitstellung der gesamten Hardware: Großrechner, zwei Standleitungen zu den Wettkampfstätten auf der Hannover Messe und am Niedersachsen-Stadion sowie 30 Terminals für die Wettkampfauswertung.

Oberstes Gebot bei der Auftragsübernahme war äußerste Sparsamkeit, denn das Budget - größtenteils durch die Aktiven selbst finanziert - war knapp. So setzte das Juhl-Team zunächst einmal überall dort, wo es angebracht und auch möglich war, den Rotstift an:

* Übertriebene Wünsche und EDV-Spielereien wurden gestrichen: So wurde beispielsweise der größte Teil der Deutschen Meisterschaften manuell ausgewertet. Bei der hier kleinen Zahl von Wettkämpfern hätte die EDV-Auswertung keinen Zeitvorteil erbracht.

* Die Kosten für die Terminals auf den Wettkampfstätten konnten gegenüber dem Angebot eines Herstellers auf ein Fünfzehntel reduziert werden: Statt eines Drei-Monats-Vertrages wurde ein Ein-Monats-Vertragabgeschlossen, statt intelligenter Terminals wurden preisgünstige Bildschirme eingesetzt.

* Die am stärksten zu Buch schlagende Einzelersparnis gelang beim zentralen Großcomputer: Hier fand Juhl ein hannoversches Versicherungsunternehmen, das seine IBM 370/168 mit real 4 MB kostenlos zur Verfügung stellte.

* Außerdem wurde vom Juhl-Team mit der Programmierung erst begonnen, nachdem ein detailliertes Organisationskonzept vom Auftraggeber, dem Verein Deutsches Turnfest, verbindlich abgezeichnet war. Dadurch konnten nachträgliche Änderungen vermieden werden.

Alles in allem - so Kochbeck, Geschäftsführer des Verein Deutsches Turnfest - sparte Juhl dem Verein über 1 Million Mark, und das bei einem Gesamtbudget des Deutschen Turnfestes von rund fünf Millionen Mark.

Für Juhl sind diese und ähnliche Einsparungserfolge nicht außergewöhnlich, ja sogar eher so etwas wie das tägliche Brot: Überdimensionierte Hardware und Vielfach-Erstellung von bereits vorhandener Software sind - so Juhl - an der Tagesordnung.