Digitale Dividende 2

Frequenzauktion – ein gefährlicher Rohrkrepierer?

29.05.2015
Von Christian Ziegltrum
Während die angelaufene Frequenzauktion wohl weder reichen Geldsegen für den Staatssäckel noch eine schnelle Behebung nerviger Funklöcher verspricht, gehen damit für Funkmikrofone und weitere professionelle Bühnen- und Reportagetechnik wertvolle Funkfrequenzen verloren.
Die Initiative SOS - Save Our Spectrum warnt vor den Konsequenzen eines unüberlegten Ausverkaufs der Frequenzen.
Die Initiative SOS - Save Our Spectrum warnt vor den Konsequenzen eines unüberlegten Ausverkaufs der Frequenzen.
Foto: SOS - Save our spectrum

"Breitbandausbau gefährdet Kreativwirtschaft" - so macht die frisch gegründete Initiative "SOS - Save Our Spectrum" in einer Pressemitteilung auf ihr Anliegen aufmerksam. Hintergrund: Für Funkmikrofone und andere drahtlose Produktionsmittel (englisch PMSE, Programme Making and Special Events) stehen immer weniger Sendefrequenzen zur Verfügung, da diese zum Ausbau des mobilen Internets an die Mobilfunkunternehmen versteigert werden.

So geschehen im Frühjahr 2010, als die erste so genannte "Digitale Dividende" versteigert wurde, der Frequenzbereich 790 - 863 MHz. Und nun erneut: Unter anderem kommt mit der aktuellen Auktion der "Digitalen Dividende 2" auch der bislang stark genutzte Frequenzbereich 694 - 790 MHz unter den Hammer. In der Folge werden aufgrund von Frequenzknappheit nicht mehr alle Radio- und Fernsehteams wie gewohnt live berichten können, beispielsweise von Fußball-Spitzenspielen oder von Bundestags- und Landtagswahlen. Theater, Musicals oder Konzerttourneen wird es ebenso treffen. Sie setzen auf der Bühne zahlreiche Funkmikrofone ein.

Schlimmer noch: Die Ausrichtung von Großereignissen von internationalem Format, wie etwa den Olympischen Spielen oder dem Eurovision Song Contest, wird in Deutschland nicht mehr möglich sein - das zur Verfügung stehende Funkspektrum reicht für die zahlreichen drahtlose Strecken, die für solch ein Event benötigt werden, nicht mehr aus. Traurig nicht nur für den Event-Standort Deutschland, sondern auch für die kulturelle Teilhabe der Bürger und ihr Unterhaltungs- und Informationsangebot in Funk und Fernsehen.

Übersicht Spektrumsverluste: Vor der ersten Digitalen Dividende (DD1) standen in Berlin noch 39 freie TV-Kanäle à 8 MHz für PMSE zur Verfügung (312 MHz Bandbreite). DD1 brachte eine Schrumpfung auf 30 TV-Kanäle (240 MHz Bandbreite),nach DD2 werden nur noch 17 TV-Kanäle (136 MHz Bandbreite) verfügbar sein. Eine Live-Berichterstattung vom DFB-Pokalfinale aus dem Berliner Olympiastadion ist bereits dann in der heutigen Form nicht mehr möglich.
Übersicht Spektrumsverluste: Vor der ersten Digitalen Dividende (DD1) standen in Berlin noch 39 freie TV-Kanäle à 8 MHz für PMSE zur Verfügung (312 MHz Bandbreite). DD1 brachte eine Schrumpfung auf 30 TV-Kanäle (240 MHz Bandbreite),nach DD2 werden nur noch 17 TV-Kanäle (136 MHz Bandbreite) verfügbar sein. Eine Live-Berichterstattung vom DFB-Pokalfinale aus dem Berliner Olympiastadion ist bereits dann in der heutigen Form nicht mehr möglich.
Foto: SOS - Save our spectrum

Politiker verschließen die Augen

Bundespolitik und Bundesnetzagentur kennen das Problem: Nutzer und Hersteller drahtloser Technik haben im Vorfeld der aktuellen Frequenzauktion kontinuierlich auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Ihre Hinweise blieben jedoch unberücksichtigt. Die Bundesnetzagentur geht weiterhin davon aus, dass auch künftig genug freie Frequenzen für drahtlose Produktionsmittel zur Verfügung stehen. Technik- und Rechtsexperten der Initiative "SOS - Save Our Spectrum" haben dies aber bereits ausführlich widerlegt.

"Wir können nicht tatenlos zusehen, wie Bundespolitik und Bundesnetzagentur der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland jegliche Perspektive verbauen und dazu noch die Rundfunk-Berichterstattung einschränken", so Rechtsanwalt Helmut G. Bauer, Verantwortlicher der Initiative "SOS - Save Our Spectrum". "Drahtlose Produktionsmittel müssen schnell quantitativ und qualitativ geeignetes Ersatzspektrum erhalten, das langfristig verlässlich genutzt werden kann. Die Politik muss endlich handeln - dafür kämpfen wir."

Nutzen für den Breitbandausbau fraglich

Bundesverkehrsminister Dobrindt hat kürzlich in einem Interview mit der "Bild am Sonntag" vollmundig versprochen, bis 2018 alle lästigen Funklöcher in Deutschland zu schließen. Deutschland hat als erstes Land in Europa den 700-MHz-Frequenzbereich für die Nutzung durch mobiles Internet freigegeben - man möchte sich international und im eigenen Land als Vorreiter präsentieren. Doch genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Die Auktion geschieht verfrüht - noch bevor wesentliche technische und regulatorische Vorbereitungen getroffen sind.

Bei Großevents werden besonders viele Mikrofonstrecken und damit freie Funkfrequenzen benötigt. Hier ein Blick hinter die Kulissen des Eurovision Song Contest 2011 in Baku, wo die Drahtlostechnik besonders aufwändig war: 144 Funkstrecken allein für die Produktion.
Bei Großevents werden besonders viele Mikrofonstrecken und damit freie Funkfrequenzen benötigt. Hier ein Blick hinter die Kulissen des Eurovision Song Contest 2011 in Baku, wo die Drahtlostechnik besonders aufwändig war: 144 Funkstrecken allein für die Produktion.
Foto: Ralph Larmann

Nach wie vor gibt es kein Konzept, wie der Frequenzbedarf der Event- und Veranstaltungsbranche, aber auch für Hörfunk-, Film- und TV-Produktionen künftig gedeckt werden soll. Das ist aber nur eine Sache. Hinzu kommt, dass das nun versteigerte Spektrum wegen der noch nicht erfolgten Frequenzkoordination mit den Nachbarstaaten voraussichtlich erst nach 2023 bundesweit für mobiles Internet genutzt werden kann. Davor wird es in grenznahen Regionen, etwa in weiten Teilen Süddeutschlands, umfangreiche Störeinflüsse geben, die einen Ausbau der Mobilfunknetze verhindern. Denn im Ausland wird der Frequenzbereich weiterhin für die Ausstrahlung des digitalen Antennenfernsehens DVB-T genutzt werden. Damit ist fraglich, ob die vorzeitig angesetzte Auktion den Breitbandausbau in Deutschland tatsächlich schneller voranbringt. Erst wenn die Frequenzkoordinierung mit dem Ausland abgeschlossen ist, ist ein bundesweiter Netzausbau tatsächlich realistisch.

Die Live-Berichterstattung von Sportevents ist ohne drahtlose Technik undenkbar. Hier Funkmikrofone des Rundfunks Berlin-Brandenburg beim DFB-Pokalfinale 2014 im Berliner Olympiastadion.
Die Live-Berichterstattung von Sportevents ist ohne drahtlose Technik undenkbar. Hier Funkmikrofone des Rundfunks Berlin-Brandenburg beim DFB-Pokalfinale 2014 im Berliner Olympiastadion.
Foto: Norbert Hilbich, Sennheiser

Die Internetversorgung an Bahnstecken und Autobahnen ist noch einmal ein eigenes Thema, denn nicht überall dürfen Mobilfunkmaste errichtet werden, zum Beispiel nicht auf angrenzenden Privatgrundstücken. In der Ausbauverpflichtung an die Netzbetreiber, die die Bundesnetzagentur veröffentlicht hat, steht dementsprechend eine wenig belastbare Formulierung: "Für die Hauptverkehrswege (Bundesautobahnen und ICE-Strecken) ist eine vollständige Versorgung sicherzustellen, soweit dies rechtlich und tatsächlich möglich ist." Vor diesem Hintergrund erscheint mehr als fraglich, ob Minister Dobrindt mit seinem Versprechen, alle Funklöcher abzuschaffen, tatsächlich noch auf dem Boden der Realität steht.

Kein Geldsegen für den Staat

Seit der legendären UMTS-Auktion im Jahr 2000, bei der über 50 Milliarden Euro in die Staatskasse flossen, sind die Erlöse bei Mobilfunkauktionen erheblich gesunken. Die Versteigerung der ersten "Digitalen Dividende" 2010 brachte noch 4,4 Milliarden ein, weniger als zehn Prozent der Rekordsumme.

Bei der aktuellen Frequenzauktion erwartet Verkehrsminister Dobrindt zwar immerhin noch "einen Milliardenbetrag", dass der Erlös deutlich über der vorhergehenden Summe liegt, erwartet aber niemand. Zwar soll der Auktionserlös im Rahmen der "Netzallianz Digitales Deutschland" zum großen Teil in den Breitbandausbau reinvestiert werden, aber auch hier bleibt fraglich, ob sich die Regierung mit dem frühen Zeitpunkt der Versteigerung tatsächlich einen Gefallen tut: Wegen der noch offenen Auslandskoordinierung ist unklar, wann die Frequenzen 694 - 790 MHz tatsächlich für Internet via Handy genutzt werden können und in welchen Gebieten. Das dürfte die Ausgabebereitschaft der Mobilfunkunternehmen und damit auch die Mittel für den Breitbandausbau schmälern.

Der Mobilfunk braucht das Spektrum nicht - und gewinnt trotzdem

Der Mobilfunk behauptet, das nun versteigerte Spektrum für den Breitbandausbau zu benötigen. Schwer nachzuvollziehen: Denn im Frequenzbereich 800 MHz, den der Mobilfunk bereits im Jahr 2010 im Rahmen der "Digitalen Dividende 1" erhalten hatte, ist das Netz bislang noch sehr lückenhaft ausgebaut. Das international tätige Beratungsunternehmen LS telcom kommt bei seinen Untersuchungen zum dem Ergebnis, dass bisher nur rund 50 Prozent des für den Mobilfunk zur Verfügung stehenden Spektrums auch genutzt wird. Ein echter Bedarf, dem Mobilfunk weiteres Frequenzspektrum zuzuweisen, besteht damit nicht - eher sollte er seine vorhandenen Frequenzen effizienter nutzen.

Beobachter vermuten, dass sich die Mobilfunkunternehmen das Spektrum aber dennoch sichern wollen, um sich ein lukratives neues Geschäftsmodell zu erschließen: Die TV-Übertragung. Für die Zuschauer hätte dies den Nachteil zusätzlicher Kosten für den TV-Empfang - denn die Mobilfunkunternehmen werden sich die dafür verbrauchte Datenrate in barer Münze bezahlen lassen.

Wenn dies zutrifft, dann macht sich die Politik zwar die Illusion, mit der aktuellen Frequenzversteigerung den Breitbandausbau zu fördern, betreibt aber tatsächlich reine Klientelpolitik für die Mobilfunklobby - zum Schaden vieler. (mb)