"3D-Caves" im virtuellen Raum

Freizeitspaß wie auf der Enterprise

23.04.1999
Von Christiane Schulzki-Haddouti* Die Protagonisten der Kultserie "Star Trek" amüsieren sich auf dem Holodeck - in lebensechten 3D-Umgebungen zum Anfassen. Um wieviel faszinierender müssen interaktive Rollenspiele, Adventures und technische Simulationen in begehbaren virtuellen Welten sein, wenn schon heutige Computerspiele ihre Nutzer vor dem Monitor halten?

So ein Holodeck ist schon etwas Erstaunliches: Captain Jean-Luc Picard, die Schiffsärztin Dr. Crusher, der Security-Klingone Worf oder einer ihrer Mitreisenden betreten den Holodeck-Raum auf dem Raumschiff "Enterprise" und müssen lediglich dem Computer akustisch mitteilen, wie ihre virtuelle Welt (VR) aussehen soll.

VR-Utensilien wie ein Eye-Tracker oder ein Datenhandschuh sind überflüssig. Wer das Holodeck betritt, paßt sich automatisch an die gewählte virtuelle Umgebung an, entsprechende Kleidung eingeschlossen. Jederzeit lassen sich weitere Personen, Tiere, Werkzeuge und Maschinen per Sprachbefehl auf den Plan rufen. Alle Simulationen sind außerdem materiell erfühlbar. Wer im Holodeck ins Wasser fällt, wird tatsächlich naß.

Ein wenig dürfte es allerdings noch dauern, bis die virtuelle Realität so ununterscheidbar realistisch wird wie auf den Schiffen der Sternenflotte des 24. Jahrhunderts. Gegenstände, Personen und Umgebung werden, wie echte "Trekkies" wissen, mit Hilfe der Transportertechnologie bewegt. Der Computer sorgt für die Steuerung der Stimmen und Bewegungen der Holodeck-Materie. Materietransporter, obwohl theoretisch denkbar, lassen sich jedoch nur mit ungeheurem Aufwand realisieren.

Die Gründe hat Lawrence Krauss in seinem Buch "Die Physik von Star Trek" anhand umfangreicher Darlegungen zur Informationstheorie, Quantenmechanik und Elementarteilchenphysik ausgeführt: Die Entwickler müßten entweder eine Energiequelle erschließen, die um den Faktor 10000 mehr Energie liefert, als die ganze Erde bislang verbraucht hat. Oder der Energiebedarf müßte um denselben Faktor gesenkt werden, um es möglich zu machen, "den Menschen innerhalb eines Sekundenbruchteils auf eine Temperatur zu erhitzen, die eine Million Mal höher ist als die im Zentrum der Sonne".

Wissenschaftliche Modelle, die dem Star-Trek-Holodeck erstaunlich ähnlich sehen, existieren jedoch schon. Zwar benutzt man noch meist Datenhandschuhe und -helme, die die künstliche Welt in den Erlebnisraum des Nutzers projizieren. Manche Ansätze stellen jedoch ähnlich wie auf dem Holodeck bereits eine von mehreren Menschen begehbare künstliche Welt dar.

Die Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt kamen mit ihrer Entwicklung einer fünfseitigen "Cave" der Holodeck-Ganzraumerfahrung schon etwas näher: Eine Cave ist ein großer Würfel, auf dessen Seitenflächen Bilder projiziert werden. So ergibt sich eine Art betretbares Hologramm.

Wer sich in die 3D-Höhle wagt, wird tatsächlich Teil der virtuellen Umgebung. Er ist nicht nur durch einen virtuellen Körper oder ein Fluggerät vertreten, sondern erlebt die virtuelle Umgebung in direkter Relation zu seinem Körper. So kann er mit seiner eigenen Hand die virtuellen Objekte in der dargestellten Szene ergreifen und manipulieren.

Er kann sich auch, ähnlich wie im realen Leben, frei durch den Projektionsraum bewegen. Um die Objekte auf den Projektionsflächen dreidimensional sehen zu können, muß er lediglich eine 3D-Brille tragen. Dabei handelt es sich nicht um einen schweren Datenhelm, sondern um die bekannte Plastik-Papier-Brille, wie man sie auch im 3D-Kino trägt.

Anders als im Kino spielt sich das Geschehen in der Cave jedoch auf fünf Projektionsflächen ab: links, vorne, rechts, oben und unten. In herkömmlichen Drei- und Vierseiten-Caves läßt sich die Bodenprojektion nicht richtig nutzen, da der Schatten des auf ihr stehenden Benutzers die realistische Darstellung der virtuellen Szene stört.

Damit die Rückprojektion auf dem Boden funktioniert, schwebt die untere Projektionsfläche in einem Holzrahmen zwei Meter über der Oberfläche. Sie besteht aus einer drei Zentimeter starken Paraglasscheibe, die das Gewicht von sechs Personen trägt.

Die gesamte Konstruktion der Cave des IGD besteht aus Holz, um störende Einflüsse metallischer Bauteile auf das elektromagnetische Tracking-System zu verhindern. Für die Projektion aller Cave-Seiten wurden die Leinwände miteinander verschweißt und mit Gummizügen in den Holzrahmen eingespannt. Damit werden sichtbare Kanten zwischen den Wänden vermieden.

Die Projektionsgeräte werfen die Bilder mit einer Auflösung von 1024 x 1024 Pixel und einer Bildwiederholfrequenz von 120 Hertz auf die Leinwände. Mit einem Hochleistungsgrafikrecher von Silicon Graphics können die virtuellen Umgebungen in Echtzeit mit 20 Bildern in der Sekunde gezeigt werden.

Das Rendering wird mit drei Infinite Reality Graphikpipelines durchgeführt. Für jede Projektionsfläche wird abwechselnd das Bild für das linke und das rechte Auge berechnet. Bei 20 Bildern in der Sekunde berechnet der Computer für eine Fünf-Seiten-Cave also 200 Bilder pro Sekunde.

Das stellt höchste Anforderungen an die Hardware: Extra für Cave erweiterte das IGD sein Virtual-Reality-System "Virtual Design II". Damit können Anwendungen ohne Änderungen auf beliebigen Ausgabegeräten wie Workbench, Monitor, Stereo-Großbildprojektion oder Cave ablaufen. Zudem werden verschiedene Interaktionsgeräte wie Spacemouse, Datenhandschuh, Motionbase oder Stylus unterstützt.

Zur Positionsbestimmung des Cave-Besuchers im virtuellen Umfeld dienen verschiedene elektromagnetische Tracking-Systeme. Um Störungen des Magnetfelds ausgleichen zu können, entwickelten die Wissenschaftler unter anderem eine statische Magnetfeldentzerrung.

Damit die Szenen noch realistischer wirken, können neben Echtzeitspiegelungen und -schatten auch verschieden Texturen auf die 3D-Flächen projeziert werden. Dabei wird sogar die korrekte Beleuchtung der Modelle in einer Cave berücksichtigt. Neben den visuellen Spezialeffekten lassen sich auch Stereo-, 3D- und Quadrophonie-Sound integrieren.

Mögliche Anwendungsgebiete für die HiFi-Holografie gibt es viele: Ein Architekt kann sich in der Cave einen Eindruck über die Raumwirkung einer abgeänderten Konstruktion verschaffen. Ingenieure überprüfen virtuell, ob der Innenraum eines Autos ergonomisch gestaltet ist. Autoentwickler machen sich ein Bild davon, wie sich Wartungs- und Reparaturarbeiten an einem neuen Modell gestalten. Ein Archäologe könnte längst verfallene Ruinen begehen und, bislang möglicherweise übersehene Funktionszusammenhänge entdecken.

Industrielle Anwendungen für die Cave wurden bereits in Zusammenarbeit mit der Automobil- und Schiffsindustrie sowie dem Anlagen- und Flugzeugbau durchgeführt. Erste Cave-Installationen sind bei Volkswagen im täglichen Einsatz.

Zwar bietet die Cave nur wenigen Personen Platz und ist daher für die Unterhaltungsindustrie noch viel zu teuer. Doch die Aussichten sind faszinierend: Experten gehen davon aus, daß Projektionssysteme dieser Art künftig neben Theater und Kino den Massenunterhaltungs-Systemen dienen.

Die Besucher würden so zum Beispiel unberührte Naturlandschaften erkunden, oder mit animierten Tieren und Monstern, Avataren und Robotern interagieren können. Sie könnten wie Lara Croft durch Katakomben jagen, eine rasante Autojagd erleben oder mit einem Raumschiff unendliche Weiten erforschen, als steinzeitliche Jäger Mammuts jagen oder ohne Raumanzug auf dem Mars herumspazieren. Projektideen gibt es genügend, die Unterhaltungsindustrie muß sie nur produzieren.

Einen Prototyp stellten IGD-Wissenschaftler bereits vor: Im virtuellen Ozeanarium, für die Weltausstellung 1998 in Lissabon entwickelt, bewegen sich die Besucher als Taucher in einer virtuellen Unterwasserwelt. Der Rechner simuliert annähernd rund tausend Pflanzen und Tiere mit einer Simulationsrate von 30 Bildern pro Sekunde. Mit Hilfe geometrischer Animationen lassen sich organische Bewegungen von Pflanzen und Tieren realistisch wiedergeben.

Im Gegensatz zu Computeranimationen oder Spielfilmen läuft die Darstellung dabei nicht nach einem festen Drehbuch ab. Das Verhaltensmodell jedes einzelnen Tiers, jeder Pflanze wird durch Parameter beschrieben, die der Biologie und der Verhaltensforschung entstammen. Wahrnehmung, Instinkte und typisches Verhalten werden durch das Modell abgedeckt.

Komplexe Organisationsformen wie Fischschwärme reagieren auf das Herankommen des Tauchers völlig individuell. Auch die Beziehung zwischen Haien und ihren Beutetieren ist definiert. Als Taucher kann man Haie füttern, auf Delphinen reiten oder seltene und scheue Tiere aufspüren.

Eigentlich ist es nur noch eine Frage der Zeit und Geldes, nicht jedoch der Technik, bis die Unterhaltungsindustrie die Caves in Unterhaltungshöhlen der Zukunft verwandelt.

*Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin in Koblenz.