Mobile Devices/Location Based Services: Zwischen Mobile-Revolution und totaler Anwenderkontrolle

Freiwillige Selbstüberwachung mit LBS

24.08.2001
Ortsbezogene Dienste sind der letzte Schrei in der Mobilfunk- und IT-Branche. Die neuen Dienste stehen und fallen mit der exakten Ortung von Handys, PDAs oder Smartphones. Doch noch existieren in den GSM-Netzen technische Hürden, die angeblich erst mit UMTS behoben sein sollen. Von Frank Puscher*

An überzeugenden Szenarien der schönen neuen Welt der Location Based Services (LBS), der ortsbezogenen Dienste, mangelt es der Industrie derzeit nicht:

-Ein Geschäftsmann verlässt sein Meeting, drückt eine Taste auf seinem Handy, und fünf Minuten später steht das Taxi vor der Tür.

-Die Hausfrau sucht eine neue Spülmaschine. Ein Knopfdruck, sie tippt die Typbezeichnung in ein Formularfeld, und Sekunden später erhält sie eine Wegbeschreibung zum nächsten Händler, der das Produkt am günstigsten anbietet und auf Lager hat.

-Der Jogger dreht seine Runde im Stadtpark. Sein Palm-PDA protokolliert die Geschwindigkeit, misst die zurückgelegte Strecke und arbeitet am Schluss der Runde den Kalorienverbrauch in den persönlichen Trainingsplan ein.

So oder so ähnlich könnte die vernetzte Zukunft aussehen, vorausgesetzt, es gelingt den Diensteanbietern und Netzbetreibern, die exakten Positionsdaten eines Handy-Benutzers zu erfassen. Landauf, landab prophezeien Auguren das Heraufdämmern der Location Based Services. Startups bringen sich in Stellung, im Stundentakt werden neue Anwendungsideen entwickelt.

Doch die heranwachsende LBS-Branche hat, wie es derzeit aussieht, die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Dieser Wirt heißt Netzbetreiber, und der ist verantwortlich für die Ermittlung und Weitergabe der Positionsdaten, die mit Hilfe eines Handys oder eines mobilfunkfähigen Handheld-Computer an einen entsprechenden Dienst übergeben werden können. Derzeit sind diese Positionsdaten noch so unpräzise, dass beispielsweise eine Entfernungsmessung und eine darüber ermittelte Bewegungsgeschwindigkeit nur bei großen Distanzen funktioniert. Den kleinen Radius eines Joggers kann der Netzbetreiber hingegen kaum protokollieren. Auch die exakte Wegbeschreibung zum nächsten McDonald´s oder der punktgenaue Taxiruf funktioniert beim aktuellen Stand der Technik nur durch die manuelle Eingabe des genauen Standorts.

"Nach unserer Erfahrung gibt es kein verbreitetes System, dass genauer positionieren kann als die Funkzelle", erklärt Andreas Müller, Chef der Business-Entwicklung bei 12Snap. Und der muss es wissen. Das Münchner Unternehmen war vor zwei Jahren deutschlandweit gestartet mit dem Ansatz, mobile Mehrwertdienste sowie Auktionen an Handybesitzer zu übertragen. Derzeit konzentriert sich das Unternehmen auf die Ausstrahlung von Werbung und Nachrichten per SMS. Umfangreichere Dienste sind zum heutigen Zeitpunkt nicht möglich.

Mangelhafte Ortungsmöglichkeiten

Die Beschränkungen liegen in den Spezifikationen der GSM-Netze begründet. Eine Funkzelle hat einen Durchmesser von 200 bis 400 Metern in den Ballungszentren und bis zu drei Kilometern im ländlichen Bereich. Damit sind positionsbezogene Dienste auf einfachem Weg nicht zu realisieren, weil der Benutzer im Zweifelsfall noch einen anständigen Fußmarsch zu bewältigen hat, bis er am Ziel angelangt ist. Selbst ein automatischer Taxiruf wäre mit dieser Technik nicht zu verwirklichen, denn das gewünschte Fahrzeug müsste im Stadtgebiet ein Areal von mehreren Häuserblocks absuchen, um seinen Kunden zu finden.

Aus diesem Grund behelfen sich viele Diensteanbieter mit einer Krücke: Der Benutzer wird innerhalb seiner Funkzelle lokalisiert und bekommt eine Auswahl an Straßen angeboten. Innerhalb dieser Straßen kann er dann die exakte Position festlegen, indem er scrollt und anklickt. Immerhin muss er dabei nicht mehr mühevoll einen Straßennamen eintippen.

Rein technisch betrachtet ist durchaus eine exaktere Positionierung auch innerhalb der Funkzelle möglich. Dazu wird die Feldstärke der Signale gemessen, die von den verschiedenen benachbarten Sendemasten empfangen werden - so lässt sich die Nähe zum jeweiligen Masten ermitteln. Alternativ dazu kann auch die Zeit gemessen werden, die vergeht, bis das Antwortsignal den Empfänger erreicht hat. Auch das liefert ein Indiz für die Position. Das Messen von Feldstärke und Antwortzeit erweist sich aber als nicht ganz unproblematisch. Innerhalb von Städten kommt es oft zu Abdeckungen und Reflexionen an Hauswänden.

Insofern müssten die Messstationen mit sehr exakten Stadtplänen gefüttert werden, um fehlerhafte Signale aufgrund von Umgebungskoordinaten bereinigen zu können. Hierfür bedarf es der Aktualisierung der Software bei den Sende- und Empfangsstationen der Netzbetreiber - und genau hierin liegt ein weiteres Problem: Kaum ein Mobilfunkbetreiber will heute noch Investitionen in die bereits totgesagte GSM-Technik stecken, wenn UMTS bereits in den Startlöchern steht. UMTS benutzt Sendemasten, die mitunter nicht mehr als 80 Meter voneinander entfernt stehen werden, und so lässt sich die Position eines UMTS-Telefons sehr exakt ermitteln. Für die Betreiber dürfte es zu verlockend sein, LBS als typischen UMTS-Mehrwert zu vermarkten.

Kein typischer UMTS-Mehrwert

"Es handelt sich hierbei nicht um ein GSM-Problem. An der Ostküste der USA sind GSM-Netze geplant, die viel genauere Positionsdaten liefern", kritisiert Müller von 12Snap. Immerhin ist man auch bei E-Plus der Meinung, dass sich Investitionen in GSM noch immer lohnen: "Wir aktualisieren zurzeit Hard- und Software. Derzeit können wir in Tests bereits auf 100 Meter genau positionieren", erklärt Christiane Kohlman, Sprecherin des Netzbetreibers.

Angesichts der bisherigen technischen Mängel wundert es nicht, dass sich die aktuellen LBS-Dienste, die Positionsdaten benutzen, fast ausschließlich auf die lokale Ebene konzentrieren. Stadtinformationen, Restaurantführer, Event-Kalender gehen davon aus, dass der Benutzer willens ist, sich innerhalb des Stadtgebiets zu bewegen, um ans gewünschte Ziel zu gelangen. In den einschlägigen WAP-Angeboten besteht zudem die Möglichkeit, "von Hand" ein gewünschtes Stadtviertel oder gar eine Straße auszuwählen. Das funktioniert, bietet aber freilich nichts wirklich Neues.

Viag Interkom gibt sich sichtlich Mühe, die WAP-Dienste mit Mehrwert anzureichern, um bereits heute die ersten Schritte in Richtung LBS zu gehen. Der "Handyfinder" ging durch die Gazetten, weil er nicht nur ermöglicht, dass ein verloren gegangenes Handy wiedergefunden wird, sondern auch eine Ehefrau oder einen Vorgesetzten befähigen würde, den Gatten beziehungsweise Mitarbeiter bei einem Seitensprung jenseits der verabredeten Route zu ertappen.

Ein weiterer, soeben gestarteter Dienst von Viag arbeitet quasi hybrid mit den generell verfügbaren Daten über ein Stadtgebiet, nämlich dem Stadtplan und den groben Positionsdaten das Handys. Auf Knopfdruck erhält der Benutzer eine Straßenkarte in sein Telefon, die genau seiner Funkzelle entspricht.

Komplexe redaktionelle Aufgabe

Der Hamburger Medienkünstler Stefan Schemat nennt derartige Angebote "Trivialdienste" (siehe Interview Seite 40). Die Anbieter hätten noch gar nicht verstanden, worauf es ankommt, um positionsbezogene Dienste erfolgreich zu gestalten. Die mangelnde Präzision der Ortung führt zu Problemen, die selbst mit den besten Inhalten kaum kompensiert werden können. Zum einen leidet die Benutzbarkeit der Dienste darunter, wenn der Anwender Informationen erst mühevoll übergeben muss, die das System auch von selbst erfassen kann. Das Interface von Handys und PDAs ist in den Augen von Schemat nicht dazu geeignet, umfangreiche Konfigurationen an solchen Systemen vorzunehmen.

Zweitens verhindert die ungenaue Positionierung, dass die Dienste optimal an die Umgebung angepasst werden. Die Streuverluste werden zu hoch. Und vor diesen Streuverlusten hat die ganze Branche Angst. Mangelhafte Dienste könnten nämlich dazu führen, dass die Benutzer das System selbst anzweifeln. Und dann könnte das nicht nur LBS ausbremsen, sondern auch eine schlechte Perspektive auf die erwarteten UMTS-Milliarden projizieren.

Ein drittes Problem erschwert die Entstehung qualitativ hochwertiger LB-Dienste bislang zusätzlich: Die Kosten für den Aufbau solcher Dienste sind hoch, und zwar nicht die technischen Kosten, sondern die redaktionellen. Dienste, die den einzelnen Benutzer ansprechen sollen, müssen sehr fein ausdifferenziert werden. Das erfordert riesige Inhaltsdatenbanken, um überhaupt persönliche Dienste anbieten können.

Betreiber blockieren Cell Broadcasting

Der M-Commerce-Pionier 12Snap hat nicht zuletzt aus diesem Grund das Thema LBS derzeit auf Eis gelegt, zumindest ortsbezogene Dienste in Feinform. Stattdessen bieten die Münchner eine Art Stadtteil-Radio an, das per Handy empfangen werden kann. "Wenn wir unsere Angebote positionsbezogen ausstrahlten würden, hätten wir überhaupt nicht die Reichweite, die unsere Werbekunden fordern. Aus meiner Sicht wird das Thema LBS klar überschätzt, zumindest zum heutigen Zeitpunkt", klagt Andreas Müller.

Immerhin erreicht Müller mit seinem teils lokalen, teils nationalen Handy-Radio eine Million Benutzer, die sich freiwillig dafür entschieden haben, SMS-Nachrichten von 12Snap zu empfangen. Ursprünglich wollten die Münchner auf Basis des Cell Broadcasting arbeiten. Hierfür stellt der Handybenutzer einen eigenen Nachrichtenkanal auf seinem Handy ein und empfängt dort das Angebot von 12Snap. Viele Handyhersteller verstecken diese Funktion aber tief in ihren Menüs und machen es so unwahrscheinlich, dass die Benutzer die Dienste konfigurieren. Dabei wäre Cellbroadcasting ein durchaus interessantes System, da sich die Dateien in den jeweiligen Kanälen selbst überschreiben und deshalb keinen Speicherplatz im Handy blockieren.

Die Entwicklung ortsbezogener Dienste befindet sich in einer problematischen Situation: Weil die technischen Voraussetzungen für hochwertige Dienste nicht vorhanden sind, beschränken sich die Angebote auf eher langweilige Standarddienste. Größere Investitionen leisten sich fast ausschließlich die Netzbetreiber. Die scheuen sich allerdings, Schnittstellen preiszugeben und einer breiteren Anbieterschar zur Verfügung zu stellen. Dabei wäre ein intensiver Konkurrenzkampf wünschenswert, damit die Qualität der Angebote schnell steigt und die Anwender zu einer regelmäßigen Nutzung gelockt werden.

GPS als Übergangslösung

Voraussetzung für einen massenhaften Kundenzuspruch ist zudem eine einfache und preiswerte Abrechnungsmethode. Nach einer kostenlosen Pilotphase wie bei Viag Interkom böte sich eine Flatrate - also ein Pauschalabonnement - als interessante Alternative zur Einzelabrechnung an. Wer heute schon Präzisionsdienste anbieten will, der ist auf GPS (Global Positioning System) angewiesen (siehe Kasten). Diese Systeme arbeiten hinreichend präzise und bieten darüber hinaus Datenschutz, denn es wird grundsätzlich kein Positionssignal verschickt, sondern nur eines empfangen.

Über allen Bemühungen steht das Paradigma des Mehrwerts. Die E-Commerce-Krise zeigt deutlich, dass sich nur Dienste durchsetzen lassen, die nutzwerte Ideen mitbringen. Und hier haben es die Handydienste besonders schwer, denn sie konkurrieren mit dem leistungsfähigen Medium Sprache. Solange es einfacher ist, ein Taxi telefonisch zu bestellen, als per WAP zu ordern, hat der Dienst keine Chance, auch wenn er noch so neu - und auch chic - ist.

*Frank Puscher ist freier Autor und Multimedia-Berater in Hamburg.

Hardware für exakte Positionierung

Präzise Ortsbestimmung funktioniert heute nur per Global Positioning System. Die bisherigen Lösungen setzen den Erwerb eines Komplettsystems voraus oder müssen mit Software aufgeladen werden. Damit ist klar: Die Dienste erschließen sich heute nur Nischenzielgruppen und technisch interessierten Benutzern. Einige Hersteller bieten mittlerweile integrierte Systeme.

GPS-Handy

Viel versprechend für integrierte Dienste erscheinen die beiden GPS-Handys des finnischen Anbieters Benefon. Die Modelle "Track" und "Esc" verfügen über Zwölf-Kanal-Empfänger und verbinden die Vorteile von GPS (Positionierung) und GSM (Aktualität, beispielsweise Staus). Nachteil: die proprietäre Software. Der Benutzer ist vom Kartenmaterial des finnischen Anbieters Genimap abhängig. Der verlangt 2,5 Euro pro Karte im Download. Der Preis für ein Benefon-Esc liegt bei 1600 Mark.

GPS für Palm OS

Sowohl für die Handspring- als auch für die Palm-Geräte gibt es verschiedene Lösungen. In jedem Fall wird ein Huckepackmodul auf den Organizer aufgesteckt und eine Routing-Software geladen. Die Lösung "Palm IIIc" mit Power Navigator ist schwer und hat nur eine geringe Batterielaufzeit. Das System reagiert sehr empfindlich, wenn gleichzeitig ein Ortswechsel und eine Softwareoperation vorgenommen werden sollen; hier hängt die Software gelegentlich. Die Darstellung ist wie die Ausstattung sehr gut. Das GPS-Paket inklusive Autohalterung kostet rund 900 Mark.

Handsprings "Visor Edge", kombiniert mit dem Magellan GPS Companion, hinterlässt ebenfalls einen gemischten Eindruck. Die Software läuft robuster, positioniert aber nicht so genau. Der GPS Companion liegt bei rund 650 Mark.

GPS für den Ipaq

Tegaron bietet einen Navigationsdienst für Autos und Motorräder an. Ein "Ipaq 3630" von Compaq empfängt die Positionsdaten von einer Hirschmann-GPS-Antenne und gleicht die Position per Handy mit einem Zentralrechner ab, der Stauvorhersagen in die Routenplanung einrechnet. Je nach Konfiguration kostet das Paket rund 3000 Mark.