Internet-Schmiede

Freiburg ist das Silicon Schwarzwald

12.11.2013
Von Michael Kroker

Startup-Flair erhalten

Wessendorf ist ein Mann, der Wert auf Stil legt. Mit seinem kurzrasierten Charakterkopf und der markanten Brille wirkt er weniger wie ein Unternehmer denn wie einer aus dem Künstlermilieu. "In Frankfurt oder München wäre es gewiss einfacher, Fachkräfte zu bekommen", sagt er. Deshalb macht Wessendorf aus seinem Faible für Design eine Tugend, um Fachkräfte zu sich in den Breisgau zu locken.

Seine Beschäftigten und er seien ausgeprägte Fans der schicken Möbel von Vitra, sagt Wessendorf. Deshalb habe er mit dem Büromöbelhersteller aus Birsfelden in der Schweiz ein Citizen Office eingerichtet. Das ist eine Bürolandschaft, die neben Arbeitsraum auch Rückzugsgelegenheiten zum Ausruhen und Nachdenken bietet. "Das ist was anderes, als in kleinen Zellenbüros an Schreibtischen von schwedischen Massenmöbelherstellern zu sitzen", sagt Wessendorf.

Die Urzelle

Einer, der die Tradition von Wessendorf aus der Gründungsphase bis in die Gegenwart weitergetragen hat, ist Jörg Frey, der heutige Chef von Lexware. Das fällt dem 52-Jährigen nicht schwer, schließlich hat er jahrelang mit Gründer Wessendorf zusammengearbeitet. Seit 1992 ist Frey bei Lexware. "Da war der Laden noch ein richtiges Startup", erinnert er sich, "nicht in einer Garage, sondern in drei Räumen einer Mehr-Zimmer-Wohnung."

Lexware unter dem Dach des Haufe-Verlages ist heute viel größer. Die Gruppe residiert in einem sternförmigen Gebäude im Industriegebiet im Westen von Freiburg und hat knapp 1.300 Mitarbeiter, davon gut 850 in Freiburg.

In den Neunzigerjahren war Frey praktisch die rechte Hand von Wessendorf. Er baute Vertrieb und Marketing auf. Bis heute gilt sein Hauptaugenmerk dem weiteren Ausbau der Softwaremarke, die bei kleinen Gewerbetreibenden gut eingeführt ist. Den Job als Geschäftsführer teilt er sich mit Isabel Blank, einer Finanz- und Betriebswissenschaftlerin. Die 46-Jährige kümmert sich um strategische Projekte zur Entwicklung neuer Softwarelösungen.

Mit seiner einfachen preiswerten Buchhaltungs- und Finanzsoftware für Freiberufler und mittelständische Unternehmen ist Lexware, gemessen an den verkauften Lizenzen, einer der erfolgreichsten Softwareanbieter Europas. Laut eigenen Angaben hat das Unternehmen mehr als 2,5 Millionen Kunden. Der Umsatz der gesamten Haufe-Gruppe beträgt knapp 200 Millionen Euro. Davon erwirtschaftet die Lexware-Softwaresparte laut Frey rund 42 Millionen Euro.

Frey und Blank setzen alles daran, Lexware flexibel und dynamisch zu halten. "Wir versuchen, ein gewisses Startup-Flair zu erhalten, etwa indem wir kleine autarke Einheiten gründen, die viele Dinge selber entscheiden können", sagt die Co-Chefin. Blank sieht darin ein wichtiges Plus, um junge Softwareentwickler zu gewinnen und langfristig zu binden. "Die Kombination macht unseren Charme aus: Lexware ist nicht zu groß, dass alles intransparent wäre - aber groß genug für Sicherheit und ein verlässliches Umfeld."

Hauptstädtisches Flair im Breisgau

Im Gegensatz zu Städten wie Berlin oder Hamburg verfüge Freiburg über ein kleines, aber feines lokales Netzwerk, in dem praktisch jeder jeden kenne, sagt Lexware-Chef Frey - "mit entsprechend kurzen Wegen bei neuen Projekten".

Der Coole

Ralf Heller und Udo Möbes sind typisch für diese kurzen Wege, das Markenzeichen der Freiburger IT-Szene. Heller, 43, hat in den Neunzigerjahren Digitale Medien an der Hochschule Furtwangen im Schwarzwald studiert. Mit drei Kommilitonen hat er 1995 in Freiburg die Digital-Agentur Virtual Identity gegründet. Möbes, 45, ist Verlagskaufmann und hat in St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Er war in den Neunzigerjahren Marketingleiter beim Haufe-Verlag, zu dem inzwischen Lexware gehört. 2001 stieß er zu Virtual Identity, seit 2004 leitet er die Agentur gemeinsam mit Gründer Heller. Einer der ersten Kunden war - wer wohl? - Lexware. Als Hellers Leute später den Web-Shop für das Unternehmen einrichteten, saß Möbes noch auf der anderen Seite, am Schreibtisch von Lexware.

Bei Virtual Identity in der Freiburger Altstadt nahe dem mittelalterlichen Martinstor geht es noch am ehesten zu wie in der Start-up-Szene Berlins. Ein schickes Fabrikloft wie am Prenzlauer Berg, grüne Sitzecken, in denen sich junge Mitarbeiter Notizen machen, ja sogar eine Dachterrasse für die sommerliche Barbecue-Party, mittendrin Agenturchef Heller mit Kordhose, Pullover, Hemd und Brille, der weiß: "So holen wir ein bisserl hauptstädtisches Flair in den Breisgau." Nach dem Auftrag von Lexware ging es bei Virtual Identity Schlag auf Schlag. Es folgten der Pharmariese Novartis aus dem nahe gelegenen schweizerischen Basel, der Spielwarenhersteller Ravensburger vom Bodensee und das ebenfalls in Basel ansässige Chemieunternehmen Ciba, das 2008 von BASF übernommen wurde.

Inzwischen ist Virtual Identity dem Breisgauer Kosmos entwachsen. Auch weil es schwer sei, "erfahrene Mitarbeiter für Freiburg zu gewinnen", sagt Heller, unterhält die Agentur inzwischen Niederlassungen in Berlin, München und Wien. Zwei Drittel der rund 150 Mitarbeiter sitzen außerhalb von Freiburg und erstellen Web-Sites zum Beispiel für Siemens. Rund 15 Millionen Euro nahm Virtual Identity 2012 mit derartigen Projekten ein.

Der Exot

Pyramid Computer war einmal ein typisches Garagen-Startup, gegründet 1985 von Frieder Hansen in Freiburg. Das Unternehmen hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Hansen startete als klassischer "PC-Schrauber", wie Computerfachleute spöttisch sagen. Das heißt: Seine Firma Pyramid kaufte Komponenten wie Prozessor, Platinen, Speicherchips und Festplatten günstig in Asien ein und baute sie in Deutschland zu PCs zusammen. Diese wurden dann in kleinen Computershops an Privatkunden verhökert. Daneben begann Pyramid aber auch, PCs für Unternehmen zusammenzubauen.