Renommierte Hersteller arbeiten an ähnlichen Angeboten

Free-PC-Modell verunsichert die ganze Branche

11.06.1999
Von CW-Mitarbeiter Martin Bayer MÜNCHEN (CW) - Seit Anfang des Jahres macht ein neues Verkaufsmodell für PCs von sich reden. In den USA offerieren Firmen kostenlose Rechner, wenn sich die Käufer verpflichten, gegen eine Gebühr zusätzliche Dienstleistungen zu abonnieren. Renommierte Firmen wie Dell oder HP reagieren nach außen hin gelassen. Doch hinter den Kulissen wird fieberhaft über ähnlichen Angeboten gebrütet, die das eigene Geschäft sichern sollen.

In den Vereinigten Staaten schießen mehr und mehr kleine Start-up-Unternehmen aus dem Boden, die kostenlose Rechner anbieten. Einzige Bedingung: Die Kunden müssen einen auf drei oder vier Jahre befristeten Internet-Vertrag abschließen. Andere Firmen verlangen detaillierte Informationen vom Käufer, um ihn dann mit Werbung via Internet zu bombardieren.

Den Anfang machte im Februar 1999 das Unternehmen Free-PC. Die kalifornische Firma hatte 10000 Compaq-Presario-PCs ausgelobt und konnte sich vor Anfragen kaum noch retten. Die Leitung zur Internet-Seite, auf der sich Interessenten für einen der Rechner anmelden konnten, brach teilweise zusammen. Nachdem im Mai die Computer per Lotterie unter den Millionen Anfragen ausgelost wurden, soll im Juni mit der Auslieferung begonnen werden, teilte Free-PC mit.

Andere Unternehmen wie Gobi, Directweb oder Enchilada zogen nach und buhlen mit immer spektakuläreren Angeboten um die Gunst der Käufer. So müssen Kunden beispielsweise gegen eine Gebühr von etwa 20 Dollar regelmäßig Internet-Dienstleistungen abonnieren oder sich bereit erklären, ihre Einkaufsgewohnheiten offenzulegen, und schon steht der PC als kostenlose Dreingabe zu Hause. Finanzieren soll sich das Modell aus den monatlichen Nutzungsgebühren, so Glenn Goldberg, Vice-President für das Marketing bei Directweb. In einer zweiten Phase, wenn sich die Anwender mit dem Internet vertraut gemacht haben und man diese auf die eigenen Seiten eingeschworen hat, wollen die Anbieter über diverse E-Commerce-Geschäfte bei den Kunden weiter abkassieren.

Das neue Konzept kommt offensichtlich an. Die Anwender reißen den Firmen die Computer förmlich aus den Händen. Die Firma Gobi hat angekündigt, mit einer Million PCs den US-Markt zu überschwemmen. Und das Unternehmen Directweb, das bislang 25000 Rechner im Raum Philadelphia unter das Volk gebracht hat, plant nach den Worten von Firmenchef Dennis Cline, bis Ende des Jahres den US-Markt mit kostenlosen PCs zu versorgen.

Das Free-PC-Modell scheint eine neue Ära in der Computerbranche einzuläuten. Die goldenen Zeiten sind für die klassischen PC-Anbieter offensichtlich vorbei, so die Kernaussage einer Studie von Forrester Research.

Zwar sagen die Marktforscher für 1999 einen Umsatzrekord von weltweit 19,9 Milliarden Dollar im PC-Geschäft voraus, doch liege das Wachstum der Einnahmen mit 2,1 Prozent deutlich unter der 17prozentigen Zunahme bei den Stückzahlen. Bis zum Jahr 2003 wird der Umsatz dann auf 14,3 Milliarden Dollar zurückgehen, so die für die Hersteller düstere Prognose von Forrester.

Das neue Modell macht der alten Garde Angst

Die etablierten PC-Hersteller und -Verkäufer müssen reagieren, wollen sie nicht von der neuen Welle überrollt werden. Untergehen oder mitschwimmen lautet die Parole. Als erstes haben die führenden US-amerikanischen Computer-Discounter wie CompUSA, Circuit City oder Bestbuy reagiert. Die Händler sehen ihre Pfründe gefährdet und versuchen, es den Start-up-Unternehmen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Dan Niles, Finanzanalyst bei Banc Boston, rechnet damit, daß die Discounter schon ab Juli dazu übergehen werden, ebenfalls Rechner für Spottpreise anzubieten, vorausgesetzt der Käufer unterschreibt einen Vertrag für einen Internet-Zugang.

Dieses Rezept scheint eine gewinnversprechende Zukunft zu verheißen. Die Verknüpfungen zwischen Computer und Internet würden immer enger, so die einhellige Einschätzung der Analysten. Branchenkenner beobachteten immer häufiger, daß der PC-Kauf mit der Absicht verknüpft sei, die ersten Schritte ins Internet zu wagen. Der PC an sich würde damit zunehmend uninteressanter. Er entwickle sich zum bloßen Hilfsmittel für ein anderes Produkt, das Internet.

Auch die führenden PC-Hersteller bekommen es allmählich mit der Angst zu tun. Sie müssen wohl oder übel mitspielen, wollen sie nicht den Anschluß verlieren. Und das Phänomen Free-PC wird sich weiter ausbreiten. Emilio Ghilardi, Europamanager für das PC-Geschäft bei Hewlett-Packard, glaubt, daß die ersten kostenlosen Rechner binnen weniger Wochen auch in Deutschland angeboten werden. Und HP könne sich diesem Modell nicht verschließen. "Der Kunde diktiert die Preise. Wenn er einen Gratis-PC verlangt, wird HP liefern. Wer als Hersteller anders handelt, stirbt", glaubt Ghilardi.

Nicht ganz so dramatisch schätzt Johannes Biermann, HP-Marketingleiter für den PC-Bereich in Deutschland, die Situation ein. "Hewlett-Packard wird nichts unternehmen, was nicht in irgendeiner Art und Weise profitabel ist", erklärt er. Zwar könne er sich ein ähnliches Modell vorstellen, allerdings nur im Rahmen einer zielgruppenspezifischen Ansprache. Dazu müßte man Provider gewinnen, die die von HP gelieferte PC-Basis mitfinanzieren und dafür den Anwender gegen eine Gebühr mit für ihn relevanten Informationen versorgen dürfen. Vorteil dieses Modells wäre, daß das Absatzspektrum begrenzt und das Risiko von der Menge der PCs her kalkulierbar ist. Biermann bezweifelt, daß das Free-PC-Modell im Massenmarkt mit Hunderttausenden von Rechnern profitabel funktionieren könne.

Auch bei Dell glaubt man nicht daran, daß mit dem Free-PC-Modell Geld zu verdienen sei. "Dell verkauft nur PCs, wenn wir auch Geld daran verdienen", lautet die pragmatische Geschäftsdefinition von Edmund Bernardi, Dells Vice-President für Zentraleuropa. Allerdings waren auch aus dem Dell-Lager andere Stimmen zu hören. Anläßlich einer Telefonkonferenz zu den neuesten Quartalsergebnissen des texanischen PC-Herstellers, spekulierte CEO Michael Dell persönlich über mögliche Free-PC-Modelle. So könnte auch Dell mit kostenlosen Computerangeboten die Anwender auf die eigene Internet-Seite locken und diese zur Portalseite umfunktionieren. Damit könnte sich Dell ein Stück vom gewinnversprechenden Internet-Kuchen abschneiden. Anlaß dieser Planspiele sind paradoxerweise 40prozentige Wachstumsraten bei Dell. Insider bezweifeln nämlich, daß das Unternehmen aus Round Rock seine steilen Wachstumskurven noch lange halten kann und deshalb schweren Zeiten entgegensehe. Aus diesem Grund, so die Vermutungen, halten die Texaner nach neuen Einnahmequellen Ausschau. Bekommt der Shooting Star unter den PC-Hersteller kalte Füße?

Bernardi wiegelt ab. Das Free-PC-Modell sei keine Gefahr für Dell, da der Consumerbereich, der mit diesen Angeboten anvisiert wird, nur etwa 15 Prozent des Gesamtgeschäfts bei Dell ausmache. Außerdem werde sich kein Firmenkunde auf so etwas einlassen. Niemand werde es zulassen, daß seine Mitarbeiter ständig mit Werbung berieselt werden, die nicht firmenadäquat sei. Auch Privatkunden würden sich kaum darauf einlassen, ausspioniert zu werden, so die Einschätzung Bernardis.

Auch bei HP sieht man den Erfolg der kostenlosen PC-Schwemme nicht als Gefahr für das eigene Geschäft. Laut Biermann könnte das zwar bedeuten, daß die Markenhersteller kurzfristig ein paar PCs weniger verkaufen. Längerfristig wird es für die eigene Vertriebsbilanz jedoch keine Folgen haben, da HP selbst an solchen Modellen arbeitet. Konkrete Produkte könnten bis zum Jahresendgeschäft auftauchen. Als Beispiel nennt Biermann die 2,7 Millionen Handwerker in Deutschland, die man beispielsweise mit Internet-Portalen versorgen könnte, die den Weg zum Steuerberater weisen, wo man sich Formulare oder ähnliches herunterladen kann.

Auch bei Dell denkt man über Veränderungen im PC-Geschäft nach. Mit dem normalen Tischrechner werde laut Vice-President Bernardi kaum noch Geld verdient. Der texanische Hersteller plane, sein Dienstleistungsangebot rund um den PC zu erweitern. So sollen Kunden die Möglichkeit bekommen, bestimmte Leistungen, sei es Internet-Zugang, Service oder ähnliches, für einen bestimmten Betrag im Monat anzumieten. Eine Option könnte beispielsweise sein, daß der PC des Kunden alle 24 oder 36 Monate gegen das neueste Modell ausgetauscht wird.

Diese Überlegungen stecken momentan noch in der Planungsphase. Grundprämisse Dells bleibt jedoch: Profitabilität. Deshalb komme ein Free-PC-Modell, mit dem keine müde Mark zu verdienen sei, nicht in Frage. "Unter dem Motto: Ich verschenk die Kiste und schaue wo ich das Geld herbekomme, stellt die ganze Geschichte einen riesigen Versuchsballon dar, der schnell platzen kann", sagt Bernardi.

Auch psychologische Barrieren gilt es nach Ansicht von HP-Manager Biermann zu überwinden. Kaum jemand wird sich vorschreiben lassen wollen, wie lange er den Rechner im Monat nutzen muß. Wenn der Endkunde zu etwas gezwungen wird, funktioniert die ganze Geschichte nicht mehr, glaubt Biermann. Außerdem ließe sich der deutsche Konsument nicht ohne weiteres mit Werbung zumüllen.

Die anderen großen PC-Hersteller halten sich noch sehr bedeckt zum Thema Free-PC. Von Compaq war keine Stellungnahme zu diesem Thema zu bekommen. IBM teilte kurz mit, daß es momentan keine Free-PC-Angebote gebe und auch keine in Planung seien. Allerdings hält sich Big Blue im Nachsatz ein Hintertürchen offen. "Wie Sie aber wissen, unterliegt der PC-Markt einem schnellen Wandel - das heißt, wir können nur für die gegenwärtige Lage sprechen", teilt Marketingdirektor Hans-Jürgen Götz mit.

Probleme beim Free-PC-Modell

Bei dem neuen Verkaufsmodell steckt bereits von Beginn an Sand im Getriebe.

Viele Unternehmen kommen mit den Lieferungen nicht nach. Wartezeiten von ein paar Monaten sind keine Seltenheit, wie US-amerikanische Nachrichtenagenturen berichten. So müssen Kunden bei Directweb beispielsweise acht Wochen auf ihren Rechner warten.

Auch organisatorische Probleme beklagen viele Anwender. So hätten die Firmen einfach die Gebühren kassiert und keine Rechner geliefert. Bei Stornierung des Auftrags hätte es dann Wochen gedauert bis die Beträge zurückerstattet worden wären.

Der Kundensupport ist die Achillesferse der meisten Firmen. So enthält der Grundpreis meist nur eine Garantieleistung. Für den Support müssen die Anwender extra zahlen. IDC-Analyst Roger Kay glaubt außerdem nicht daran, daß die Unternehmen mit ihrer knappen Personaldecke einen funktionierenden Service organisieren können.