Sensoren rücken autonome Fahrzeuge in greifbare Nähe:

Fraunhofer-Institut läßt neue Roboter von der Leine

14.08.1987

Viel Geld einsparen könnten in naher Zukunft führerlose, autonome Transportsysteme in Fabrikhallen. Die Weiterentwicklung solcher Fahrzeuge ist jetzt an einem Punkt angelangt, der die teure Verlegung von Bodenanlagen zur Steuerung wie sie gegenwärtig noch benötigt werden, künftig überflüssig machen wird. Der Autor beschreibt die Entwicklung eines Sensor- und Steuerungssystems, das unabhängig von Leitdrähten jeder Art eingesetzt werden kann.

Autonome Fahrzeuge werden sich zu einer neuen Disziplin in Wissenschaft und Technik entwickeln. Mit Hilfe von Sensoren erkennen diese "mobilen autonomen Roboter" ihre Umgebung und bestimmen im Vergleich mit einem Umgebungsmodell, einer Art gespeicherten Landkarte, ihre Position. Besonderes Interesse an einer Anwendung dieser Technik besteht in der innerbetrieblichen Tansporttechnik. Zur Zeit bestimmen noch induktiv geführte fahrerlose Transportsysteme (FTS), die im Hallenboden verlegte stromdurchflossene Leiter zur Kursfindung benötigen, das Bild in den Fabrikhallen.

Prototyp "Softwire" macht Drähte überflüssig

Am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart ist es jetzt erstmals gelungen, den Prototypen eines Sensor- und Steuerungssystems zu entwickeln, das eine leitlinienlose Führung unabhängig von Leitdrähten jeglicher Art ermöglicht.

Aufgrund der Tatsache, daß keine Hardware in Form von Leitdrähten für die Fahrzeugführung im Boden verlegt werden muß, wurde das Sensor- und Steuerungskonzept folgerichtig "Softwire" genannt. Für die Realisierung und praktische Demonstration wurde das Versuchsträgerfahrzeug "Ipamar" (IPA Mobiler Autonomer Roboter) aufgebaut.

"Ipamar" verwendet eine dreirädrige Fahrwerksgeometrie mit einem angetriebenen und gelenkten Vorderrad. Mit insgesamt 13 Ultraschallund 2 optischen Sensoren bestimmt das Fahrzeug seine Position aus dem Vergleich der Umgebungsabbildung mit dem gespeicherten Ungebungsmodell. Der Bordrechner aus der VME-Bus-Familie enthält sämtliche Steuerungs-Software für die Fahrzeugführung und operiert damit vollständig autonom. Lediglich das Vorwissen über die Hallenumgebung wird an einer CAD-Station auf Basis eines Personal Computers eingegeben und in aufbereiteter Form an das Fahrzeug übertragen. Die Übertragung dieser Umgebungsinformationen erfolgt ebenso wie die Vergabe der Transportaufträge drahtlos über ein Infrarot-Kommunikationssystem.

Für die Navigation in einer Fertigungshalle werden zunächst die Weg- und Lenkwinkelaufnehmer der Antriebe für eine grobe Positionsbestimmung durch Aufintegration des zurückgelegten Weges ausgewertet. Zur Driftkompensation erfolgt in regelmäßigen Abständen eine Stützpunktmessung durch Ultraschallsensoren. Die Meßwertesder Sensoren werden mit der Soll-Position von Referenzflächen im gespeicherten Hallenmodell verglichen. Für die Umgebungserkennung wird eine Gruppe von fünf abstandsmessenden Ultraschallsensoren verwendet. In Verbindung mit einer ausgefeilten Steuerungs-Software wird so durch eine kostengünstig und störungsunempfindlich zu realisierende Sensorik eine Orientierung und Positionsbestimmung in einer realen Fertigungsumgebung ermöglicht. Beim Anfahren von Lastübergabestationen muß die Relativposition zwischen Fahrzeug und Station für die Gewährleistung einer störungsfreien Übergabe besonders genau bestimmt werden. Für diese Aufgabe wird ein optoelektronischer Sensor eingesetzt, der während des Anfahrvorgangs aus der Bewegung heraus die drei Dimensionen Längsversatz, Seitenversatz und Verdrehung ermittelt. Der Positionsfehler wird also noch während des Anfahrvorgangs von der Bewegungssteuerung korrigiert.

Die vorausschauende Erkennung von Kollisionsgefahren ist eine der Grundvoraussetzungen für autonome Fahrzeuge. Durch eine Anordnung sich ergänzender Ultraschall-Sensoren wird eine berührungslose, raumdeckende Kollisionsüberwachung, sozusagen ein berührungsloser Ultraschall-Sicherheitsbügel, ermöglicht. Die räumliche Abdeckung durch eine Gruppe von nur acht abstandsmessenden Ultraschallsensoren wird durch eine eigens hierfür entwickelte Methode zur Beeinflussung der Abstrahlcharakteristik der Ultraschallwandler erreicht. Dadurch kann der aus Sicherheitsgründen erforderliche mechanische Sicherheitsbügel klein ausgeführt werden oder als Fernziel sogar ganz entfallen.

Kollisionsgefahr künftig weitgehend im Griff

Ein wichtiger Aspekt des berührungslos arbeitenden Verfahrens ist die Möglichkeit zur Kollisionsüberwachung auch in Kurvenfahrten. Wird ein Hindernis auf dem Fahrweg erkannt, wird das Fahrzeug gesteuert angehalten, ohne eine Notabschaltung auszulösen. Nach Entfernung des Hindernisses nimmt es automatisch wieder die Fahrt auf.

Der Aufwand für die Änderung der Steuerungs-Software ist bei konventionellen fahrerlosen Transportsystemen neben dem Verlegungsaufwand für neue Leitdrähte die Achillesferse bei der Umgestaltung der Transportnetze im Rahmen einer Fertigungsumstellung, Mittels "Softwire" wird die Installation einer neuen Transportanlage und die Umgestaltung eines bestehenden Fahrkurses durch ein grafikgestütztes Offline- Programmiersystem auf einfache Weise ermöglicht. Mit Hilfe einer CAD-Bedieneroberfläche wird der Hallengrundriß mit der Position der Stationen, Referenzflächen, den gewünschten Fahrbahnen und Sperrflächen an einer Grafikstation menügeführt interaktiv eingegeben. Die zugehörigen Verfahrprogramme zwischen den Stationen werden dann automatisch generiert und auf das Fahrzeug übertragen.

Gesamte Software in "C" entwickelt

Zur Überprüfung der Steuerungs-Programme können Transportfahrten zusätzlich auf dem Grafikschirm simuliert werden. Bei einer Neuinstallation wird anschließend das Fahrzeug an eine vordefinierte Initialisierungsposition gefahren und kalibriert sich dort mit Hilfe seiner Umgebungssensoren automatisch. Danach ist das System betriebsbereit.

Neben der Realisierung der mechanischen und elektronischen Komponenten lag der Schwerpunkt bei der Software-Entwicklung. Die umfangreichen Programme auf dem Fahrzeug-Bordrechner und dem Programmierrechner wurden komplett in der Hochsprache C entwickelt.

Vorteile des leitlinienlosen Führungsprinzips sind bereits im finanziellen Bereich erkennbar. Den mäßig erhöhten Fahrzeugkosten steht der Fortfall der Bodenanlagen (Verlegen der Leitdreihte, Trägerfrequenzgeneratoren, verteilte Steuerungsrechner) und deren Installation gegenüber. Die Kosten für die Bodenanlagen heute üblicher induktiv geführter FTS erreichen bei größeren Anlagen schnell den Umfang einiger hunderttausend Mark.

Die mit dem Versuchsträger Ipamar realisierte Größenordung eines FT-Fahrzeugs ist beispielhaft auf die Belange der Elektronik-Industrie abgestimmt. Mit dem Lastübergabe- Modul können Kunststoffnormbehälter im Format 600 mal 400 Millimeter an rein passive Übergabestationen übergeben werden. Damit lassen sich beispielsweise Leiterplattenmagazine transportieren.

Zwar handelt es sich bei dem Fahrzeug Ipamar nicht um ein fertiges Produkt, sondern um einen Versuchsträger für die Techndogie-Entwicklung und die Demonstration der technischen Machbarkeit, jedoch scheint die zukünftige Entwicklung vorgezeichnet. Bereits der jetzige Stand der Arbeiten rückt leitlinienlos geführte fahrerlose Transport- Systeme von der Utopie in greifbare Nähe.

Gerhard Drunk ist Gruppenleiter Robotersysteme und Sensortechnik am Fraunhofer-lnstitut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart.