Fraport bringt sein Wiki zum Laufen

20.06.2008
Der erste Versuch war ein klassischer Fehlstart, im zweiten Anlauf kam die Wissensbörse dann in Gang.

Sicher, Helmut Sins, Leiter für digitale Mediensysteme bei Fraport, hatte ein bisschen Glück. Das Thema "Ein Wiki für die Mitarbeiter" kam nicht als IT-Projekt auf ihn zu, sondern in Gestalt eines freundlichen Kollegen, des Fraport-Wissens-Managers Wieland Stützel. Die beiden klopften beim Arbeitsdirektor an, bekamen dort ein ausdrückliches: "Ja, das machen wir!" und holten sich noch je einen Kollegen aus der internen Kommunikation und der Personalabteilung sowie eine Mitarbeiterin aus der IT ins Team. Damit war der Weg frei für eine interdisziplinäre, genaue Zieldefinition: Wie kann ein Wiki die vorhandene Kommunikationslandschaft optimal ergänzen?

Dass grundsätzlich Interesse vorhanden war, hatte Stützel bereits schriftlich als Ergebnis einer firmeninternen Online-Umfrage unter 1100 Abonnenten eines Newsletters ermittelt: "Der Wissensaustausch entlang der Hierarchien ist langsam und fehleranfällig", "Das Gold in den Köpfen wird oft zurückgehalten." So oder ähnlich klangen viele Kommentare. 45 Prozent der Antwortenden äußerten ausdrücklich Interesse an einem Fraport-Wiki. Dennoch war sich das Team um Sins einig, Anwendung und Akzeptanz eines solchen Systems erst einmal im kleinen Kreis zu erproben und dann die Entscheidung über das Ob und Wie einer breiteren Einführung zu treffen. In jedem Fall sollte die zukünftige Wiki-Software folgende Anforderungen erfüllen:

  • einfache Bedienbarkeit als Voraussetzung für hohe Beteiligung;

  • eine Benutzeroberfläche, die sich an der Corporate Identity (CI) von Fraport orientiert;

  • technische Integration in die vorhandene Infrastruktur, insbesondere die Möglichkeit, die Server-Inhalte im eigenen Rechenzentrum zu hosten;

  • möglichst niedrige Kosten.

Unter den um die 100 vom "Ur-Wikipedia" abgeleiteten Softwareprogrammen fiel die Wahl auf die freie Software Twiki. "Dafür sprach, dass sie für den Einsatz in Unternehmen konzipiert wurde", erläutert Sins diese Entscheidung. Außerdem hatte Twiki vertrauenerweckende Referenzen, darunter ein namhaftes deutsches Softwarehaus.

Nach zwei Monaten das Aus

Unter den rund 15 Praxistestern sorgten allerhand größere und kleinere Macken des Systems bald für ein Abflauen der Euphorie. Stark bemängelt wurde, dass das System nicht auf Deutsch, sondern nur auf Englisch erhältlich war. Lange Ladezeiten ließen so manche Finger ungeduldig auf die Tischplatte trommeln. Dann war da noch das Problem mit der "Camel-Case-Syntax": Bei jedem zusammengesetzten Wort mit Großbuchstaben im Wortinnern legte das System automatisch einen Link an. Als Sins dann bei renommierten Referenzkunden in Deutschland recherchierte, stellte sich heraus, dass dort nur ein relativ kleiner, IT-geneigter Kreis Twiki nutzte und kein bunt gemischtes Beschäftigten-Völkchen. Fazit aus diesen Erfahrungen: Nach rund zwei Monaten hieß es: zurück zum Ausgangspunkt, neue Auswahl.

Nach einer weiteren, noch intensiveren Recherche fiel die nächste Wahl auf das ebenfalls frei verfügbare "Media-Wiki", jenes System, das auch hinter der bekannten Internet-Wikipedia steht. Die weite Verbreitung dieses Systems war für das Fraport-Team nicht nur Beleg für die Nutzerfreundlichkeit. Sie hat auch dazu geführt, dass heute zahlreiche Extensions existieren - kostenlose Erweiterungen der ursprünglichen Funktionalität. Als beliebte Plug-ins bei Fraport stellten sich später beispielsweise die "Tag Clouds" und "Cathegory Trees", heraus, Letzteres sind Baumdarstellungen der Gliederungsebenen.

Doch bei Systemauswahl und Implementierung ließen es die fünf Mitglieder des Wiki-Teams nicht bewenden. Von vornherein verfolgten sie mehrere Strategien, um die Akzeptanz des Systems zu fördern: Ansprechendes Design, aktive Anwenderunterstützung und gute Kommunikation. Ersteres bedeutete zunächst, die Oberfläche an das Gewohnte anzupassen: Fraport-Farben, Navigationsleiste links statt oben, Logo rechts statt links. Und dabei lernte Sins, der für diese Stylesheet-Optimierung verantwortlich zeichnete, einen der Nachteile des Open-Source-Programms kennen: Anders als bei kommerziellen Systemen gibt es keine Administratoroberfläche, die eine solche Anpassung begünstigt, und so kostete das Feintuning von Media-Wiki rund sechs Wochen Programmierarbeit.

Als Glücksfall für das optische Facelifting erwies sich eine Mediadesignerin im Kollegenkreis. Sie gab dem "Skywiki" ein freundliches Gesicht, zunächst in Form eines recht unternehmungslustig dreinblickenden Wikingerpaares. Zweiter Punkt in der optischen Freundlichkeitsoffensive war ein ansprechendes Skywiki-Logo, das zu verschiedenen Jahreszeiten und Anlässen wie Weihnachten und Ostern sein Gesicht verändert.

Aktive Unterstützung für die User bedeutete zunächst den Aufbau eines Hilfe-Systems, das in der verwendeten Media-Wiki-Software fehlt. Das Wiki-Team entschied sich hier für folgende Kapitel:

  • Grundlagen,

  • Artikel bearbeiten,

  • Gut zu wissen,

  • Regeln und Leitlinien,

  • Qualitätssicherung,

  • Über Skywiki.

Menschen denken in Strukturen und suchen sie auch in ihren elektronischen Medien. Basierend auf dieser Erkenntnis bildete das Team noch erste Kategorien, dann ging es an die Inhalte. Jetzt mussten Artikel her, und zwar nicht wenige. "500 Beiträge" lautete die Zielsetzung, bevor das neue Wiki-System der unternehmensinternen Öffentlichkeit präsentiert werden sollte. "Eine neue Kommunikationsplattform macht neugierig, da schaut jeder mal rein. Aber wenn dort nichts los ist, verpufft die Chance, dass sich hier eine Eigendynamik entwickelt", begründet Sins diesen Anspruch. Zunächst lautete die Devise: Do it yourself! Die Mitglieder des Wiki-Teams verwandelten sich nun in Autoren, die begannen, das leere System mit den ersten Inhalten zu füttern.

Und dann geschah etwas, mit dem keiner im Team gerechnet hatte. War es der Hauch der Exklusivität oder reine Neugier, auf jeden Fall meldeten sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen, um eigene Ideen und Artikel beizusteuern. Im April 2007 war bereits ein Bestand von 300 Artikeln aus 42 verschiedenen Federn zu verzeichnen. Im Juni war die 500er-Ziellinie überschritten, im Juli wurde Skywiki endgültig freigegeben. Trotz der erfreulichen Entwicklung begleitete das Wiki-Team den ersten Auftritt des Systems mit intensivem Marketing. Ein Flyer präsentierte das neue Skywiki und forderte zum Mitmachen auf. Das Grußwort vom Arbeitsdirektor stellte klar, dass der Vorstand die Beteiligung am neuen Wissens-Management-Portal begrüßen würde. Ein Syntax-Spickzettel gab einen ersten Überblick über die wesentlichen Punkte der Artikelerstellung.

System läuft, Resonanz gut - Projekt beendet? "Das wäre grundfalsch", sagt Sins. "Ein Unternehmens-Wiki ist nach unserer Erfahrung ein Dauerthema, das schnell wieder einschläft, wenn man es nicht regelmäßig pflegt, optimiert und bewirbt." So reagierte sein Team sofort, als sich herausstellte, dass die Syntax für die formale Gestaltung der Texte doch Probleme bereitete, und bot zweistündige Schulungen für Wiki-Einsteiger an - ein rund 30-seitiges Schulungshandbuch inklusive. An die 150 Kolleginnen und Kollegen haben bisher diesen Service angenommen. Die Oberfläche wurde noch einmal überarbeitet: "Wir haben komplett aufgeräumt, alles nicht unbedingt Nötige entfernt." Denn die User hatten sich über mangelnde Orientierung beklagt, wollten Klarheit statt Vielfalt.

Beteiligung auch anonym

Und die Inhalte? "Die Kolleginnen und Kollegen haben das System von vornherein richtig verstanden, nämlich als ein System für sachliche Wissensartikel und nicht etwa als allgemeines Diskussions- und Kommunikationsforum. Da gab es gar keine Probleme", zieht Sins Bilanz. Dies, obwohl für die Beteiligung am Wiki eine für Unternehmen wohl eher ungewöhnliche Regelung gilt: Wer will, kann sich mit eigenem Namen beteiligen, aber es geht genauso anonym. Bescheidenheit? Vorsicht, falls man doch mal was Falsches schreibt? Befürchtung, es könnte der Beziehung zum Chef schaden, wenn man sich mit etwas aufgabenferneren Themen beschäftigt? Jedenfalls nimmt rund die Hälfte der User das Inkognito-Angebot an.

Das zunächst für Auswahl und Einführung zusammengestellte Wiki-Team wurde dauerhaft installiert, erweitert um einen zweiten Mitarbeiter aus der Abteilung Wissens-Management. Hauptaufgabe ist jetzt die laufende technische Hilfestellung und aktives Marketing für die Inhalte. Jeden Montag ist Redaktionssitzung. Da werden die neuen Artikel gesichtet und kurz überprüft: Wo gehören sie hin? Sind sie richtig verschlagwortet? Wie relevant sind sie für die Fraport-Belegschaft? Ein "Artikel des Monats", im System gekennzeichnet mit einem kleinen Wikinger, wird in der Mitarbeiterzeitung ausdrücklich zur Lektüre empfohlen. Im Wochenrhythmus werden weitere Artikel im Intranet beworben, erst kürzlich regte ein zweiseitiger Artikel im internen Printmedium wieder zum Mitmachen an.

Maßnahmen von Personalseite wie Aufnahme in die individuelle Zielvereinbarung gibt es nicht. Sie wären kaum mit der Anonymisierungsoption vereinbar und sind nach Sins‚Äô Auffassung auch nicht nötig. "Die Beteiligung ist hoch. Wir haben inzwischen rund 1200 Artikel von rund 100 Autoren. 375 Benutzer haben sich registriert - Voraussetzung, um Artikel zu schreiben oder vorhandene Beiträge zu bearbeiten." An die 180 000 Zugriffe der rund 12 600 Beschäftigten wurden verzeichnet. Dies, obwohl fast die Hälfte nicht im Büro, sondern beispielsweise auf dem Vorfeld arbeitet und nur über allgemein zugängliche Terminals auf das System zugreifen kann.

Noch diskutiert wird die Frage, wie mit einem anderen, eigentlich positiven Feedback umgegangen wird: Manche Abteilungen wünschen sich nun ein eigenes Wiki für den Wissensaustausch. Doch ist hier ein Wiki wirklich die beste Lösung? Widerspricht das nicht der Grundphilosophie? Manche Anfrage wurde bereits abgelehnt, weil sich beispielsweise ein elektronisches Projektablagesystem als besser erwies. (hk)

Hier lesen Sie ...

warum Fraport mit seinem ersten firmeninternen Wiki scheiterte;

was beim zweiten Versuch besser wurde;

wie die Mitarbeiter zum Mitmachen bewegt werden konnten.