Mit Protektionismus gegen den Weltmarktführer:

Französische Informatik - grand tour d

18.06.1982

PARIS - Im europäischen Vergleich liegt der Datenverarbeitungsmarkt unseres Nachbarn Frankreich in Volumen und Bedeutung auf einem guten Mittelplatz. Charakteristika und Eigenheiten dieses Marktes beschreiben Redakteure unserer französischen Schwesterzeitschrift " Le Monde Informatique" aus Paris in diesem Beitrag.

Die Datenverarbeitung in Frankreich wird auf einigen Gebieten sehr stark von ausländischen Unternehmen und eingekaufter Technologie beeinflußt. Vor allem bei mittleren und großen Systemen haben die Amerikaner durch die Beteiligung an Cii-Honeywell Bull und die IBM France technologisch großen Einfluß besessen. Immer noch ist der Technologie - Transfer über den großen Teich von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die nationale Industrie. Bei kleinen und kleinsten Systemen allerdings haben die einheimischen Hersteller das Sagen. So wird den Franzosen auch auf dem Sektor der DV-Dienstleistungen ein "Beinahe - Monopol" zugesprochen. Ähnlich im Bereich der Kommunikationsgeräte und der Hardware für Distributed Data Processing, der in einem angemessenen Rahmen von französischen Unternehmen bedient wird.

Durchleuchtet man den Markt, so wird deutlich, daß die französische Informatik, die sich übrigens eines seltsamen Hanges zu "französischen" Wortneuschöpfungen für die international gebräuchlichen Begriffe mit gebräuchlichen Begriffe mit daher oft obskurer Bedeutung erfreut, auf drei Hauptstützen ruht.

Das Groß- und Universalrechnergeschäft nimmt einen Anteil von rund 50 Prozent der Gesamtumsätze auf dem Computer- und Informatikmarkt ein. Über Systeme des Distributed Data Processing (DDP) werden rund 25 Prozent der Umsätze getätigt, der Rest schließlich entfällt auf den Dienstleistungssektor.

Interessant ist die Aufteilung des Kapitals in diesen drei Bereichen: Im Mainframe-Sektor entfallen 89 Prozent auf amerikanisches Kapital, drei Prozent auf englisches zwei auf deutsches Kapital. Der französische Anteil betrug vor der Regierungsumbildung nur sechs Prozent.

Auf dem DDP-Sektor kehrt sich dieses Verhältnis etwas um. Hier beläuft sich der französische Kapitalanteil auf 50 Prozent, der amerikanische auf 35. Die Dienstleistungshäuser gehören fast vollzählig französischen Kapitalgebern.

Um die Zentren des Einsatzes elektronischer Datenverarbeitung zu verstehen, muß man sich den geschichtlichen Zentralismus des Landes vergegenwärtigen. Noch heute ist die Region Paris der geografische, wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt Frankreichs. Fast die Hälfte aller französischen größeren Unternehmen hat zumindest eine Niederlassung in

der Metropole. Hieraus ergab sich die Forderung nach einer zentral organisierten Datenverarbeitung und einer entsprechenden Verarbeitungskapazität. Private und öffentliche Netze wie Transpac resultieren aus dieser Gegebenheit. In der Region Paris sind - bezogen auf ganz Frankreich - 37 Prozent aller Universalrechner installiert. Sie repräsentieren 41 Prozent des installierten Wertes in diesem Land.

An zweiter Stelle liegt die Rhöne - Alpen - Region mit den Großstädten Lyon und Grenoble mit 10,2 und 13 Prozentpunkten. Der Norden mit Lille weist sechs beziehungsweise acht Prozent am jeweiligen Gesamtanteil auf und entspricht ungefähr der Bedeutung der Region Provence-Cote d´Azur. Technologisch noch nicht so entwickelt folgen dann Korsika und das Zentralmassiv.

In Frankreich gab es im Jahre 1980 schätzungsweise 20 000 EDV-Anlagen. Zehn Jahre zuvor waren es knapp 6000. Unterteilt man diesen Anlagenbestand nach IDC-Größenklassen (siehe Kasten) so ergibt sich folgendes Bild: Die Klasse 2 überwiegt bei den installierten Systemen mit 52f4 Prozent. Klasse 3 war nach dieser Schätzung des Marktforschungsinstitutes Sagha-Marketing mit 25,5 Prozent vertreten. Dieser geringe Anteil erklärt sich durch eine gewisse Vernachlässigung dieser Größenklasse seitens der Hersteller und Anbieter. Erst mit Aufkommen der IBM 4331 erhält diese Gruppe wieder Aufwind. Die vor einigen Jahren noch sehr schwache Gruppe 4 hat jetzt einen Installationsanteil von knapp 20 Prozent . Die Klassen fünf bis sieben erreichen in Frankreich erst in letzter Zeit nennenswerte Größenordnungen. Etwa zehn Prozentpunkte entfallen derzeit auf Gruppe 5, drei auf Gruppe 6 und nur 0,1 Prozent auf die größte Klasse 7.

Sagha schätzt den relativen installierten Wert der Klasse 2 auf zwölf Prozent des Gesamtwertes der Datenverarbeitungsanlagen in Frankreich. Klasse 3 erreicht 11,6 Prozent , und Klasse 4 liegt mit 17,7 Punkten in einem guten Mittelfeld.

Obwohl Branchenauguren dieser Leistungsklasse vor geraumer Zeit noch ein weiteres Absinken des Anteils prophezeiten, bleibt zu bemerken, daß sich diese Größenordnung gut im Rennen hält und wohl die zu dieser Klasse zählender Computer den Erwartungen der französischen Anwender gut entsprechen.

In letzter Zeit gewinnen auch leistungsstärkere Systeme in Frankreich wieder an Boden. Der Anteil der Systeme in der Größenordnung 370/145 (Lasse 5) stieg von 18,6 Prozentpunkten im Jahre 1975 auf 25 Prozent im Jahr 1980. Der Anteil an "Superrechnern" pendelt sich inzwischen bei sieben von hundert ein. Erst kürzlich ist übrigens wieder ein Cray 1 in Betrieb genommen worden.

Die französischen Anwender haben ihr Hardware-Budget unter strenger Kontrolle: Bei einer Inflationsrate zwischen 15 und 18 Prozent sind die Aufwendungen für die Systeme durchschnittlich nur um 20 Prozent gestiegen.

Diese Entwicklung wird von Beobachtern des Marktes auch mit einer momentan vorherrschenden Unsicherheit über die politische Entwicklung insbesondere nach dem Regierungswechsel in Frankreich erklärt.

Kurz vor dem Durchbruch

Von den 1 156 000 französischen Unternehmen (ohne Handwerksbetriebe), die im Jahre 1979 gemeldet waren, nutzten nach Berechnungen der Sagha-Marketing nur 8,5 Prozent die Möglichkeiten der internen oder externen Datenverarbeitung. Davon sind 73,6 Prozent kleine Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern und nur knapp zwei Prozent Großunternehmen mit über 500 Beschäftigten. Andererseits haben von diesen "Superunternehmen" in Frankreich knapp die Hälfte eine eigene Datenverarbeitungsanlage. Hier ergibt sich ein großer potentieller Absatzmarkt insbesondere bei der Automatisierung kleinerer und mittlerer Anwenderunternehmen.

Frankreich fest in IBM-Hand

Die Aufteilung des Marktes nach Anteilen der Hersteller ist wegen einer verbreiteten "Geheimhaltungspolitik" der Firmen nicht genau bekannt. Dennoch ergibt sich nach der Umrechnung der von den Unternehmen veröffentlichten Daten ein recht klares Bild: IBM beherrscht mit knapp über 50 Prozent installierter Systeme und einem installierten Wert von rund 60 Prozent die französische Hardware-Szene. An zweiter Stelle befindet sich Cii-Honeywell Bull mit 30,1 Prozent installierter Rechner und einem Wert von 19 Prozentpunkten. Dem Dritten NCR (7,9/4,9) folgt Burroughs (3,1/4,4). Univac (2,-2/4,4) folgt vor ICL (3,1/3,5) und CDC (0,9/3,1).

In Frankreich stellen nur die IBM und Cii-Honeywell Bull Systeme her. Die anderen Unternehmen haben in der Regel Handelsvertretungen oder stellen in Zweigwerken Kleinsysteme her. Obwohl IBM weiterhin als der Marktführer gilt, schickt sich Cii-Honeywell Bull an, den IBM-Marktanteil zu beschneiden. Das Unternehmen bemüht sich, wieder die Nummer 1 in Frankreich zu werden. Dies wird vor allem durch die Behörden unterstützt, die das Unternehmen mit Vorzugsaufträgen, Forschungsprojekten und Subventionen fördern. Nachdem der Staat sich in der Vergangenheit etwas zurückgezogen hat, um Saint-Gobain Pont-a-Mousson Platz zu machen, ist er durch die Regierungsumbildung und die Verstaatlichung jetzt wieder indirekt an den Geschicken des Unternehmens beteiligt.

Zukunft der DV noch unklar

Zur Zeit stellt sich in Frankreich die Frage, wohin sich die Datenverarbeitung, die allgemein als wichtiger Industriezweig des Landes gesehen wird, entwickelt. Anwender und Hersteller blicken auf Paris, wo in den nächsten Wochen die neuen Richtlinien zur Informatik bekanntgegeben werden sollen. Gerüchte besagen, daß sich Saint-Gobain aus der Informatik, wo es derzeit als ein wichtiges Unternehmen gilt, zurückziehen soll. Die Beteiligungen, die das Unternehmen hält, würden dann entweder an die CGE oder die Thomson-Gruppe fallen. Produktbereinigungen und eine andere nationale Marketingstrategie wären die Folge. Ein erklärtes Ziel steht hinter den Bestrebungen der Regierung: Die Informatik in Frankreich soll gefestigt werden und - international unabhängig - konkurrenzfähig bleiben.