500 Millionen Dollar noch im Dezember

Frankreich und Italien verabreichen SGS-Thomson eine Milliardenspritze

27.11.1992

PARIS (IDG) - Frankreich und Italien, die zu je 43 Prozent am Chip- und Bauelementehersteller SGS-Thomson (ST) beteiligt sind, haben sich am Dienstag vergangener Woche nach langwierigen Verhandlungen entschlossen, dem angeschlagenen Unternehmen mit einer Kapitalspritze von einer Milliarde Dollar unter die Arme zu greifen. Zusätzlich machen die beiden Regierungen eine Milliarde Dollar in Form von FuE-Krediten locker.

Mit Hilfe des frischen Kapitals sei ST nun wieder in der Lage, den Kampf um Anteile im Chipmarkt aufzunehmen, freuten sich Vertreter des Unternehmens. Das Engagement der beiden Regierungen sehen sie als Unterstützung für Thomsons Ziel, einen Anteil von fünf Prozent am weltweiten Chipmarkt zu erobern. Zur Zeit liegt, der Marktanteil des Staatsbetriebes bei 2,3 Prozent.

Der Plan der beiden Hauptanteilseigner sieht vor, eine erste Rate in Höhe von 500 Millionen Dollar bis zum 15. Dezember bereitzustellen. Die zweite Hälfte soll innerhalb der nächsten fünf Jahre nach und nach investiert werden, erklärte Frankreichs Industrieminister Dominique Strauss-Kahn vor der Presse in Paris. Damit sinkt der ST-Anteil der dritten Beteiligten, der britischen Elektronikgruppe Thorn-EMI, von zehn auf sechs Prozent.

Seit seiner Gründung im Jahre 1987 kämpfte Thomson bis auf einmal 1989 - vergeblich darum, in die Profitzone zu gelangen. Heute schiebt das Unternehmen einen Schuldenberg von 900 Millionen Dollar vor sich her.

Die Finanzspritze ermöglicht es dem Hersteller nicht nur, seine Schulden abzubauen, sondern endlich auch wieder profitabel zu agieren, hoffen seine Verantwortlichen.

Altaktionäre behalten nur knapp die Hälfte

Neben der finanziellen Unterstützung einigten sich die beiden Länder auch auf eine Restrukturierung der Besitzverhältnisse. Frankreich wird eine neue Holding-Company gründen, der anstelle der staatlichen Thomson-CSF alle französischen Anteile von ST übertragen werden. Dabei soll die staatseigene Atomenergie-Gruppe, CEA-Industrie und die France-Telecom die Mehrheit an der Holding übernehmen. Nur noch knapp die Hälfte der Anteile verbleibt bei der bisherigen Besitzerin CSF (vgl. CW Nr. 38 vom 18. September 1992, S.78: "France Telecom und CEA..." sowie CW Nr. 40 vom 2. Oktober 1992, S. 29: "Der französische Staat ...").

Die italienische Regierung hat sich dazu durchgerungen, weitgehend dem französischen Beispiel zu folgen. Um die Kosten für die Rekapitalisierung besser zu verteilen, wird der ebenfalls staatliche Energieversorger Ente Nationale Energia Alterativa die Hälfte der italienischen SGS-Thomson-Anteile übernehmen; der Rest verbleibt bei der IRI-Finemeccanica.

Angesichts des neuerlichen staatlichen Engagements hoffen zumindest Vertreter der französischen Industrie, daß sich ein privater Investor an Thomson beteiligt. "Jetzt, wo die öffentliche Hand ihr Vertrauen in ST erneuert hat, kann die Gruppe ihre Gespräche mit potentiellen Partnern wieder aufnehmen. Das kann ein großer europäischer Kunde oder Lieferant sein, aber auch amerikanische oder japanische Hersteller kommen dafür in Frage", sagte ein Industrievertreter gegenüber der "Financial Times".

Der Chairman des Unternehmens, Raimondo Paletto, hatte immer wieder betont, nur gemeinsam könnten die Europäer ihre Chipindustrie schlagkräftig erhalten. Bisher hatten die umworbenen Unternehmen allerdings eine Beteiligung an Thomson immer wieder abgelehnt.