Fortsetzung folgt – täglich

19.03.2009
Karen Wiborg schreibt seit Jahresbeginn den Blog-Roman "Sechzig Grad". Ein Gespräch über Literatur 2.0 und wilde Single-Fantasien im Netz.

CW: Am 1. Januar haben Sie den Blog-Roman "Sechzig Grad" (sechziggrad.de) gestartet, den Sie über ein Jahr fortschreiben wollen. Wie kam es dazu?

WIBORG: Ich wollte mich schon seit langem der Herausforderung stellen, einen Roman zu schreiben. Und etwa ein halbes Jahr lang spielte ich mit dem Gedanken, zu bloggen. Doch für den Roman fehlte mir die Courage, einfach loszuschreiben - ganz ohne Hilfe von anderen. Und für den Blog fehlte mir ein Thema. Die Idee, den Roman öffentlich zu schreiben, dadurch die Ideen und die Kritik anderer zuzulassen und über mein Schreiben zu bloggen, lag also nahe.

CW: Was ist das Besondere an einem Blog-Roman?

WIBORG: Dass der Autor das Manuskript nicht komplett zu Ende schreibt, bevor er es seiner Leserschaft präsentiert. Ein Kapitel ist ein Blog-Post - es kann sofort gelesen, kritisiert, gelobt und diskutiert werden. Das Besondere an "Sechzig Grad" ist zudem, dass ich auch inhaltliche Ideen, Meinungen und Wünsche meiner Leser in die Geschichte einbeziehe.

CW: Wie reagieren die Leser auf Ihre tägliche Fortsetzungsgeschichte?

WIBORG: Eine gute Fortsetzungsgeschichte soll süchtig machen. Daher versuche ich, jedes Kapitel mit einem kleinen Cliffhanger zu beenden. Bisher habe ich viele positive Reaktionen bekommen, was mich natürlich sehr motiviert. Viele Leser äußern ihr Feedback direkt unter den Kapiteln als Kommentar oder twittern; manche schicken mir E-Mails oder Nachrichten in Social Communities wie Facebook oder MeinVZ.

CW: Sie sagen, Bücher im Web sind nicht schlechter als gedruckte. Sind Blogger gar die besseren Autoren?

WIBORG: Für viele User haben sich die Lesegewohnheiten durch Online-Magazine und Blogs schon geändert. Für viele ist das Lesen von langen Texten im Netz längst selbstverständlich. Blogger sind vielleicht keine besseren Autoren, aber sie sind freier und authentischer. Auf meinen Blog-Roman bezogen: Die Kapitel wurden von keinem Lektorat korrigiert, kein Verlag hat vor dem Veröffentlichen seine Änderungen an dem Buch vorgenommen. Ich entscheide frei, worüber, wann und wie ich schreibe. Meine Leser können also nicht unbedingt Perfektion erwarten, aber Authentizität.

CW: In Ihrem analogen Leben sind Sie PR-Beraterin. Wie meistern Sie den täglichen Umstieg vom werblichen Texten auf fiktionales Schreiben?

WIBORG: Das war bisher überhaupt kein Problem. Flexibilität im Kopf ist da ganz wichtig. So kann ich tagsüber Texte in einem Stil schreiben, der meinen Kunden und der Presse gefällt, und abends dann die wilden Single-Fantasien meiner Hauptfigur Josephine ausleben.