IT in Behörden/Was E-Government in Deutschland bringt

Fortschritte - Probleme - Durchbrüche

13.08.2004

Wer heute einen 400-Euro-Job anmelden möchte, tut sich viel leichter als vor ein paar Jahren. Über das Dienstleistungsportal der Bundesregierung (www.bund.de) finden Arbeitgeber und Minijobber online eine knapp gehaltene "Meldung zur Sozialversicherung". Doch da endet schon das E-Government. Zurzeit ist es noch nicht möglich, online das ausgefüllte Formular an die neugeschaffene "Minijobzentrale" abzuschicken oder gar selbst die Beiträge zu berechnen. Da die elektronische Signatur zwar verfügbar, aber noch nicht verbreitet ist, müssen Arbeitgeber und -nehmer ihre Meldungen mit Unterschrift als Brief oder Fax versenden. Und in der Minijobzentrale ist erst einmal viel unnötiger Aufwand für das Scannen des Posteingangs und die Prüfung der maschinell gelesenen Daten entstanden.

Elektronische Patentanmeldung

Beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) in München können Erfinder bereits Patentanmeldungen in rein elektronischer Form abliefern. Wer dieses Verfahren wählt, zahlt sogar weniger Gebühr als jene Tüftler, die beschriebenes Papier einsenden. Der werdende Patentinhaber lädt sich von der Website des DPMA die Software "Patent and Trademark Application System" (Patras) herunter, füllt einen Antrag aus und verwandelt sodann Texte in XML- und Bilder in Tiff-Dateien. Um die Anmeldung zu unterschreiben, muss sich der Erfinder bei der Datev eine elektronische Signaturkarte beschaffen, sie in ein Lesegerät für den PC stecken, den Antrag signieren und per E-Mail abschicken. Das DPMA bestätigt den Eingang, prüft wiederum mit Patras den Antrag, speichert die Dokumente in einer Datenbank und veröffentlicht sodann erteilte Patente. Der gesamte Prozess läuft ohne Medienbruch - so wie das künftig bei allen E-Government-Aktivitäten sein sollte.

Als eine der ersten deutschen Städte hat Esslingen am Neckar ein "Gesamtkonzept für das virtuelle Rathaus" realisiert. Für ihr "virtuelles Bauamt" wurde die Stadt auf der CeBIT 2003 sogar mit einem Preis für eine "besonders innovative Vorreiter-Anwendung" ausgezeichnet. Doch das neuartige Bauamt ist noch nicht über das Versuchsstadium hinausgelangt. So müssen Architekten nach einem Gesetz ihre Unterlagen nach wie vor in Papierform (sechsfache Ausfertigung) einreichen. Aus diesem Grund lohnt sich die elektronische Übersendung von Anträgen noch nicht. Erst ab 2005 könnte sich das mit einem revidierten Landesgesetz ändern, so eine Mitarbeiterin des Esslinger Baurechtsamts.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat für das E-Government den parteiunabhängigen Computerfachmann Harald Lemke als Staatssekretär in die Regierung geholt. Lemke hat sich eine gründliche Verwaltungsmodernisierung und die "Revolution der deutschen Beamtenseele" auf die Fahnen geschrieben. Umgesetzt ist von dem ehrgeizigen "Masterplan" für den Zeitraum 2003 bis 2008 jedoch nur wenig. Als Erfolg rühmt Lemke unter www.hessen-egovernment.de das elektronische Kabinettsinformationssystem "Ekis", mit dem sich hessische Landesminister Tagesordnungen und Vorlagen zuschicken. "So etwas hat kein anderes Bundesland", wirbt Lemke.

Deutschland liegt im Mittelfeld

E-Government zur Jahresmitte 2004 ist gekennzeichnet durch erhebliche Projekt-fortschritte in Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch durch hartnäckige Probleme und verbleibende Aufgaben. Das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen.

Im Auftrag der EU-Kommission hat die Unternehmensberatung Cap Gemini Anfang 2004 ermittelt, wie weit 20 ausgewählte Dienstleistungsangebote in den EU-Mitgliedsstaaten entwickelt sind. Der Consultant bescheinigte Deutschland einen "Mittelfeldplatz" bei all jenen Dienstleistungen, die über bloße Information hinaus eine vollständige Transaktion erlauben. Projektleiter Tom Gensicke von Cap Gemini findet dennoch wohlwollende Worte für die deutschen Verwaltungsmodernisierer: "Der Fortschritt im E-Government in Deutschland ist unverkennbar, davon zeugen auch die bundesweiten E-Government-Initiativen."

Gleichermaßen Lob und Kritik vergab das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), das die städtischen Mediakomm-Projekte begleitete. Die Zahl der anspruchsvollen E-Government-Anwendungen sei bis zum Projektende im September 2003 auf 310 gestiegen, so das Difu in einer "Erfolgsbilanz". Die Städte hätten ihre Aktivitäten als "kohärentes Ganzes" entwickelt und gehörten technisch zur "internationalen Spitze beim E-Government". Doch der Difu-Begleitforscher Helmut Drüke zählt auch die "Lücken und Schwächen" zahlreicher kommunaler Aktivitäten auf, vom Strategiedefizit bis zur "häufig unterbleibenden Anpassung der Geschäftsprozesse an die neuen Produktions- und Distributionsformen von Dienstleistungen im E-Government". Drüke, der inzwischen im Nachfolgeprojekt "Mediakommtransfer" die Verbreitung von kommunalen "E-Gov"-Standardlösungen vorantreibt, glaubt, dass noch drei bis sechs Jahre ins Land gehen werden, bis sich E-Government flächendeckend durchgesetzt haben wird.

Nimmt man die entsprechenden Aktivitäten näher unter die Lupe, so zeigt sich, dass die ausschließliche Betrachtung fertig gestellter Anwendungen ein schiefes Bild erzeugt. In Wirklichkeit ist das elektronische Regieren und Verwalten in Deutschland viel weiter gediehen, als es die durchwachsenen Botschaften der Wissenschaftler vermuten lassen.

Eine Fülle von Basisbausteinen

Zum einen haben die ersten fünf Jahre intensiver Projektarbeit auf Bundesebene ein anspruchsvolles informationstechnisches Fundament hervorgebracht: Die "Standards und Architekturen für E-Government-Anwendungen" (siehe Kasten "Saga") finden inzwischen auch international Beachtung.

Zum Zweiten sind in dem 1,4 Milliarden Euro schweren Projekt "Bund-Online" eine Fülle von "Basisbausteinen" entstanden, die Ämter und Behörden von Flensburg bis Füssen nutzen können.

Beispiele sind die Zahlungsverkehrsplattform "ePayment", ein Formular-Server sowie ein Content-Management-System CMS namens "Government Site Builder". Nach Angaben von Claus Hackethal vom Bundesverwaltungsamt (BVA) wollen etwa 50 Bundesbehörden mit dem CMS rund 80 Projekte realisieren und beim BVA hosten lassen.

Nach Darstellung des Bundesinnenministeriums (BMI) sind im Juli 2004 bereits 270 von 376 angekündigten Bund-Online-Dienstleistungen produktiv geschaltet. Während anfänglich vor allem leicht realisierbare Informationsdienstleistungen (Formulare, Adressen, Broschüren) im Netz veröffentlicht wurden, konzentrieren sich die Aktivitäten jetzt mehr und mehr auf die Modernisierung der Geschäftsprozesse und den Bürokratieabbau. So führen zahlreiche Bundesbehörden "Vorgangsbearbeitungssysteme" ein. Das Bund-Online-Kompetenzzentrum "Vorgangsbearbeitung, Prozesse und Organisation" im Bundesverwaltungsamt hat nach Angaben des BMI 24 Beratungsprojekte bei Bundesbehörden abgeschlossen. 37 weitere Prozesse laufen noch.

Elektronische Signatur in absehbarer Zeit

Ein Beispiel für einen bereits optimierten Verwaltungsablauf ist der "Verkauf von Referenzmaterialien" durch die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin. Die rund 600 Kunden bestellen jetzt in einem Web-Shop, der mit dem ERP-System der BAM verknüpft ist, so dass Rechnungen und Buchungen automatisch generiert werden können. Von den 124 000 Euro, die bei der bisherigen Arbeitsweise jährlich ausgegeben wurden, spart die BAM jedes Jahr 87 000 Euro ein. Die Gesamtinvestitionen amortisieren sich laut BMI bereits im zweiten Jahr.

Glaubt man BMI-Pressesprecher Dirk Inger, so wird eines der ganz großen E-Government-Hemmnisse - fehlende Signaturkarten - schon bald behoben sein. Laut Inger werden sich rechtsverbindliche, auf Unterschriften angewiesene Transaktionen über das Internet zwischen öffentlicher Verwaltung sowie Unternehmen und Bürgern schon im letzten Bund-Online-Jahr - 2005 - stark vermehren. Bis Ende des kommenden Jahres würden "voraussichtlich 70 Anwendungen" des Bund-Online-Projektes die elektronische Signatur nutzen.

"Einer-für-Alle"-Dienstleistungen

Flankiert werde dieser Innovationsprozess in der Kreditwirtschaft. Ab 2005 würden vermehrt "EC-Karten mit Signaturfunktionalität" ausgegeben. Es sei, so Inger, "in absehbarer Zeit mit einem Durchbruch beim Einsatz von Signaturkarten zu rechnen".

Weiter kümmert sich die Bundesregierung in dem Projekt Deutschland Online intensiv darum, dass sinnlose Parallelarbeiten von Bund, Ländern und Kommunen unterbleiben. Ämter und Behörden quer zu den Verwaltungsebenen haben arbeitsteilig die Verantwortung für die so genannten Einer-für-Alle-Dienstleistungen (EfA-Anwendungen) übernommen. Bundesinnenminister Otto Schily erhofft sich von dieser Arbeitsteilung die Überwindung der "Kleinstaaterei im IT-Einsatz".

Erste EfA-Dienstleistungen sind bereits verfügbar. Ämter, die etwas beschaffen, können ab sofort die Technik der "Vergabeplattform" (evergabe-online.de) des Bundes übernehmen. Dienststellen, die etwas fördern, können sich das ausgeklügelte Projektförderungsinformationssystem "Profi" des Bundesforschungsministeriums zu Eigen machen. Inzwischen gibt es 86 EfA-Anwendungen. Mehrere Kompetenzzentren, ein Handbuch und zahlreiche Foren im Internet unterstützen die E-Gov-Teams bei Bund, Ländern und Gemeinden, anspruchsvolle Projekte mit geringstmöglichem Aufwand zu verwirklichen.(bi)

*Johannes Kelch ist Wissenschaftsjournalist in München.

Hier lesen Sie ...

- weshalb E-Govenment-Anwendungen wie das virtuelle Bauamt noch nicht genutzt werden;

- welche durchwachsenen Botschaften Begleitforscher aussenden;

- wie die "Einer-für-Alle-Dienstleistungen" das E-Government verbreiten;

- wann mit dem Durchbruch der elektronischen Signatur zu rechnen ist.

Der Standard Saga

Ein profaner Ratgeber - "Standards und Architekturen für E-Government-Anwendungen" (Saga) - erlebt derzeit einen kometenhaften Aufstieg zum Katechismus der Softwarebranche.

Die Saga vom unglaublichen Erfolg eines staubtrockenen Kompendiums als allseits geachtetes Buch ist schnell erzählt. Erstmals in der IT-Geschichte sagt der Staat, einer der größten Anwender, über welche Informationstechnik er künftig mit Bürgern und Unternehmen kommunizieren möchte. Er legt auf über 180 Seiten nieder, welche Standards, Schnittstellen, Architekturen, Prozess- und Datenmodellierung er von seinen Softwarelieferanten beachtet wissen will.

Der Wille eines Großkunden ist den Softwareproduzenten aus nahe liegenden Gründen ein Befehl. Nach und nach fordern auch Landesbehörden und kommunale Ämter die vielbeschworene "Saga-Konformität". Unternehmen erkennen, dass es sich lohnt, die auf "Interoperabilität" angelegten Vorschläge des großen Bruders zu beherzigen.

Ohne Saga wird es künftig so gut wie keine informationstechnischen Projekte der öffentlichen Hand mehr geben. Unternehmen der Softwarebranche, die mit Ämtern und Behörden Geschäfte machen wollen, sind daher gut beraten, ihre Entwickler auf den kompletten Wortlaut von Saga zu vereidigen.

Was Experten aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft auf mehr als 180 Seiten zusammengetragen haben, liest sich nicht gerade wie ein fesselnder Thriller. Saga beschreibt übliche Ziele ("Offenheit", "Wiederverwendbarkeit", "Skalierbarkeit") und verleiht nahe liegenden Standards (XML, Java und J2EE) die staatliche Anerkennung. Doch die umfangreiche Mischung an technischen Normen und Standards, darunter auch weniger bekannte Vorgaben etwa zur "Barrierefreiheit" von Internet-Angeboten für Behinderte, machen Saga zu einer höchst brisanten Sammlung von Kriterien, die auch international Bedeutung gewinnen könnte.

Derzeit gilt Sage-Version 2.0. In einigen Punkten waren sich die Autoren nicht einig und stellten manche Technologien lediglich "unter Beobachtung", anstatt sie für sakrosankt zu erklären. Die .NET-Strategie ist so eine beäugte Technologie. Ob Microsoft einen Fuß in die Tür zum deutschen E-Government-Bauwerk bekommt, steht noch in den Sternen.