Forschungspolitik: Noch mehr Dynamik erforderlich

14.04.1989

Dr. Jürgen Rüttgers MdB (CDU), Vorsitzender der Enquete-Kommission Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung des Deutschen Bundestages, Bonn

Die deutsche Wirtschaft befindet sich im siebten Jahr eines stetigen Aufschwungs mit stabilem Wachstum, niedrigen Inflationsraten und bisher 900 000 neuen Arbeitsplätzen. Ein wichtiger Grund für diese positive Entwicklung ist die wiedergewonnene Dynamik bei Forschung und Entwicklung (FuE): für FuE wurden 1987 in der Bundesrepublik mit zirka 57 Milliarden Mark 35 Prozent mehr aufgewendet als 1982. Allein die Wirtschaft hat ihren Anteil von 22 Milliarden Mark auf 35 Milliarden Mark gesteigert - ein Zuwachs von 57 Prozent bei stabilem Preisniveau. Dabei finanziert die Wirtschaft ihre Vorhaben zu 84 Prozent selbst. Lediglich 14 Prozent der Mittel stammen aus öffentlichen Kassen.

Die Umsteuerung der Forschungspolitik in Richtung auf mehr Marktwirtschaft und Eigenintiative hat sich gelohnt: Nach rückläufigen Welthandelsanteilen in den 70er Jahren haben wir bereits 1986 mit 11 Prozent wieder eine Spitzenposition erreicht. For-schungsintensive Güter waren daran mit 54 Prozent beteiligt. Dem entspricht ein stark verbesserter technischer Leistungsstand der deutschen Industrie etwa bei Industrierobotern, Laserstrahlquellen und Sensoren.

Diese Erfolge sind erfreulich, aber kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Mehr Dynamik ist wünschenswert. Dies zeigt schon der Blick auf die USA und Japan. Neue Herausfvorderungen sind zu bewältigen: Das Innovationstempo wird sich auf dem Hintergrund neuer technischer Infrastrukturen (Telekommunikation, Roboterfertigung) und veränderter Märkte (Europäischer Binnenmarkt, verschärfte internationale Konkurrenz) weiter erhöhen. Motor des neuen Aufbruchs kann nur die Eigenitiative in Wissenschaft und Wirtschaft sein. Nicht Forschungsbeamte, sondern Forscher, Produzenten und Konsumenten gestalten die Zukunftsthemen. Mit den Mitteln deutscher Bürokunst lassen sich neue Märkte nicht erschließen. Das Gespür und die Risikobereitschaft der Unternehmen sind gefragt. Entscheidend ist deshalb eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. Hier sind entscheidende Weichenstellungen bereits erfolgt:

Die Steuerreform hat den Spielraum den Unternehmen für mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöht; die Europäische Technologiegemeinschaft Eureka mit einem Gesamtvolumen von bisher 9 Milliarden Mark hat zu einer kaum erwarteten Breitenwirkung geführt und der entstehende Europäische Binnenmarkt verschafft den USA und Japan vergleichbare Marktbedingungen.

Auch die Strategie der Forschungs- und Technologiepolitik muß ständig überprüft werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Konzentration auf dem Kernbereich staatlicher Aufgaben in der Forschungsförderung: Wir müssen die Grundlagenforschung, die zunehmend enger mit der angewandten Forschung verzahnt ist auch in Zeiten knapper Kassen mit Priorität fördern. Die Steigerung der Mittel von 26 Prozent (1982) auf 38 Prozent des Forschungshaushaltes wirkt sich hier nachhaltig aus. Die Universitäten und Hochschulen erhalten vom Forschungsminister heute 540 Millionen Mark für grundlagenorientierte Forschung vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) gegenüber 310 Millionen Mark in 1982.

Wir müssen nicht nur Spitze in der Forschung sein, sondern auch Spitze in der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die industrielle Praxis. Der Verbund von Wissenschaft und Wirtschaft, die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Umsetzung neuer Erkenntnisse und der schnelle Technologietransfer über Köpfe und Informationen sind deshalb zentrale Herausforderungen in der Forschungspolitik. Die Erhöhung der Bundesmittel für die Fraunhofer-Gesellschaft um sechs Prozent ist ein wichtiger Ansatz.

Schon heute erhalten mittelständische Betriebe für jede selbst aufgebrachte Forschungsmark acht Pfennig an Zuwendungen des Bundes. Bei Großunternehmen sind es lediglich fünf Pfennig. Auch dies belegt in Stellenwert des Mittelstandes in der Forschungspolitik des Bundes.

Wir brauchen ein forschungsfreundliches Klima, das Spitzenforschung ermöglicht und zur Technikakzeptanz beiträgt. Die Demonstration des Potentials neuer Technologien für die praktische Lösung von Problemen etwa im Umweltbereich ist dabei ebenso wichtig wie die Nutzung der Technikfolgen-Abschätzung in Staat, Wissenschaft und Wirtschaft.

Diese Grundsätze müssen sich auch in der Informationstechnik bewähren. Bundesminister Riesenhuber hat in diesem Bereich die Mittel seit l982 am zirka 50 Prozent auf 660 Millionen Mark gesteigert. Das Programm "Informationstechnik: 1984 bis 1988" war ein Erfolg: Mit dem Mega-Projekt haben deutsche Unternehmen in der Technologie für Speicherchips wieder Anschluß an die Weltspitze gefunden. Wichtige ergänzende Maßnahmen sind: ein kürzlich verabschiedetes Programm zur Förderung und zum Technologietransfer in der rechnerintegrierten Fertigung, ferner die Steigerung der Aufwendungen von Großforschungseinrichtungen für die Grundlagenforschung in der Informationstechnik sowie die Vorbereitung neuer, indirekt spezifischer Maßnahmen in der Informationstechnik (Expertensysteme).

Der nächste strategische Schritt ist das Zukunftsprojekt "Jessi". Mit diesem umfassenden Forschungsprogramm kann Europa den entscheidenden Schritt zur nächsten Generation von Mikroprozessoren vollziehen. Es besteht aus vier Teilprogrammen: Technologie, Geräte und Materialien, Anwendung sowie Grundlagenforschung. Mit "Jessi" soll die Chiptechnologie für die Masse der Anwender geöffnet werden. Eine Vielzahl wichtiger Industriezweige, wie Maschinen- und Anlagenbau, Autoindustrie, Elektrotechnik, Meß- und Regeltechnik sind bis weit in den Mittelstand hinein auf die Verfügbarkeit der jeweils neuesten Chiptechnologie angewiesen. Ihnen den Zugang zum Chipentwurt zu verschaffen ist das entscheidende Ziel von "Jessi".

Ein Planungskonzept für die Realisierung liegt vor. Der Gesamtaufwand wird auf rund acht Milliarden Mark geschätzt. Noch sind wichtige Fragen nach der industriellen Strategie, der Organisationsform im Management und der Forschungsinfrastruktur für das Programm offen. Erst dann kann über eine staatliche Förderung entschieden werden. Für den industriellen Nutzer von "Jessi" wird die Palette möglicher Anwendungen von Bedeutung sein. Die Deregulierung des Telekommunikationsmarktes durch die Poststrukturreform ist ein weiterer richtiger Ansatzpunkt. Diesen Weg müssen wir konsequent weitergehen.