Vom Wissenschaftler zum Unternehmer

Forschungsinstitute als Brutstätten für Spinoffs

14.04.2000
Einmal Wissenschaftler, immer im Elfenbeinturm gefangen? Dieses Klischee stimmt nicht mehr. Vor allem was die IuK-Branche betrifft, avancieren Forschungsinstitutionen zur Brutstätte junger Unternehmen.Von Hilde-Josephine Post*

Seit 1992 haben Experten der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), Sankt Augustin, und des Heinrich-Hertz-Instituts, Berlin, fast 30 Unternehmen gegründet, die heute rund 450 Mitarbeiter beschäftigen. "Weitere zehn Spinoffs sind in Vorbereitung. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung von 30 Prozent", berichtet Heinz Thielmann, Leiter des Instituts für sichere Telekooperation, Darmstadt, auf dem Kongress des Münchner Kreises über E-Companies. Als Spitzenreiter unter den Forschungszentren gilt die Fraunhofer-Gesellschaft mit nahezu 200 Ausgründungen innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Unter diese Zahl fallen aber auch Fraunhofer-Mitarbeiter, die neben ihrem Job eine Software vertreiben.

Dass Institutsmitarbeiter zur Selbständigkeit animiert werden, ist dennoch nicht zu übersehen. Eigens dazu schlossen das Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) sowie das Zentrum für Graphische Datenverarbeitung (ZGDV) vor gut sechs Monaten mit der Telekom-Tochter T-Venture ein Joint Venture. Während die Forschungseinrichtungen technisches Know-how liefern, tritt T-Venture mit der deutschen Ausgleichsbank als Kapitalgeber auf, die zunächst zehn Millionen Mark bereitstellt. Zudem könnten die Startups von den Management-Erfahrungen der Telekom-Tochter profitieren.

Die GMD hat einen Technopark für Spinoffs aufgebaut. Dessen Leiter Karl-Heinz Schunk nennt drei Hauptgründe für diese Fördertätigkeit der GMD: "Wir wollen eigene technologische Entwicklungen schnell auf den Markt bringen. IuK-Technologien sollen qualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Zudem wollen wir unseren Wissenschaftlern nach Ablauf des Arbeitsvertrags eine attraktive Perspektive bieten, durch die sie ihre Arbeit selbständig fortsetzen können."

Alfred Kobsa, Christoph Thomas, Josef Fink und Hans-Günther Lindner arbeiteten am GMD-Insitut für Angewandte Informationstechnik, bevor sie sich vor drei Jahren mit der Human IT Informationtechnology GmbH, Sankt Augustin, selbständig machten. Ihr erstes Produkt heißt "Infozoom", ein Knowledge-Browser, der umfangreiche Datenmengen übersichtlich visualisiert und auswertet. Auf der Website des ADAC soll Infozoom künftig den Mitgliedern helfen, Autos zu vergleichen und das für sie geeignete Modell zu finden. "Was heute der Internet Explorer für das Web ist, wird Infozoom für Datenbanken und Dateninhalte werden", prophezeit Lindner.

Mit dem Firmenstart in der Garage, mit der amerikanische Internet-Firmen oft assoziiert werden, müssen sich die GMD-Abkömmlinge nicht abmühen.

In Sankt Augustin hat das Institut einen eigenen Technopark für Spinoffs aufgebaut. Dort sind derzeit 15 junge Firmen in komfortablen Büroräumen untergebracht und können die Telekommunikationsanbindung über das deutsche Forschungsnetz, den Zugang zu Labors, Studios und Bibliotheken bis hin zur technischen Unterstützung nutzen.

Abgesehen von der angemessenen Startumgebung brauchen die jungen Unternehmen aber noch mehr Unterstützung. "Ihre Hauptdefizite liegen in betriebswirtschaftlichen Fragen, im Management sowie im Umgang mit Personal", sagt GMD-Forscher Thielmann. Diese Erfahrung mussten auch die Gründer der Prosensys GmbH machen. Bevor die drei Forscher vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik ein von ihnen entwickeltes Ultraschall-Prüfverfahren für Dichtheit vermarkten konnten, mussten sie markt- und betriebswirtschaftliche Kenntnisse erwerben, die Finanzierung klären und Kontakte aufbauen. "Bei uns kam hinzu, dass der am Institut hergestellte Prototyp komplett neu gestaltet werden musste", erklärt Jürgen Steck, einer der Geschäftsführer. "Um das System zur Serienreife zu bringen und den Markt dafür zu öffnen, waren für uns die Erfahrungen der letzten vier Jahre sehr wertvoll."

Das GMD-Forschungszentrum hat eigens ein Drei-Phasen-Konzept entwickelt, das junge Pioniere sicher ins Unternehmertum führen soll. Alles beginnt mit einer Projektarbeit, die mit Partnern aus der Wirtschaft abgewickelt wird. Begleitende Markterschließungsstudien sollen dabei die Chancen für den künftigen Absatz des Produktes bewerten. In der zweiten Phase starten Gründerprojekte, die mittlerweile vom Bundesbildungsministerium gefördert werden. In diesem Abschnitt migrieren Forschungsprototypen zu marktfähigen Produkten. Außerdem werden hier der Business-Plan entworfen und erste Kunden akquiriert. In der letzten Phase bilden sich die Spinoffs als eigenständige Unternehmen heraus. "Dann sind die vielfältigen Kontakte der GMD zu Beratern, Banken, Venture-Capital-Firmen, Behörden und Unternehmen sehr nützlich", sagt Technopark-Leiter Schunk.

Allerdings ist nicht jeder zum Unternehmer geeignet. Häufig seien es sehr optimistische und selbstüberzeugte Menschen, fand Arnold Cooper, Professor an der Purdue University Indiana, durch eine Studie über gemeinsame Eigenschaften von Firmengründern heraus. Die meisten stammten aus Unternehmerfamilien. Je höher die Ausbildung, um so größer sei die Bereitschaft, sich selbständig zu machen. Außerdem hätten viele Existenzgründer vorher in kleineren Firmen gearbeitet.

In der Vergangenheit wurde oft fehlendes Venture Capital für die Unternehmermisere in Deutschland verantwortlich gemacht. Doch die amerikanischen Erfolgsstories nach dem Muster "Durch das Internet zum Millionär" haben in Deutschland Spuren hinterlassen. Von 1996 bis 1998 haben laut Oliver Borrmann von der Bmp AG, Berlin, die Risikokapitalgeber ihre Investitionen von 6,8 auf 10,5 Milliarden Mark erhöht. Dabei sei die Anzahl der Investoren von 648 auf 1104 gestiegen. "Das Problem ist nicht mehr das Kapital", bestätigt auch Stefan Doeblin, Geschäftsführer der Time Start-up Managment GmbH. Die Schwierigkeit bestehe vielmehr darin, nicht zu wissen, wofür man sich an wen wenden soll.

Peter Rudin, mehrfacher Unternehmensgründer aus der Schweiz und Geschäftsführer der Upaq Ltd., Zürich, hat angesichts 70-seitiger Vertragsunterlagen allerdings keine sehr positiven Erfahrungen mit amerikanischen Risikokapitalgebern sammeln können. "Wir haben einen Kulturschock hinter uns. Schaut euch das gut an", riet er auf dem E-Company-Kongress in München. Es bestehe großer Beratungsbedarf, denn die Venture-Capital-Geber haben das Heft in der Hand. Auch die Gründer von Human IT erlebten auf der Suche nach Risikokapital eine abenteuerliche Odyssee. "Die Bandbreite unserer Verhandlungspartner reichte von Verrückten über seriös wirkende Betrüger bis hin zu wirklichen Partnern", erinnert sich Lindner.

* Hilde-Josephine Post ist freie Journalistin in München.