Flugzeughersteller bauen PLM-Backbones

13.08.2008
Sowohl Boeing als auch der Konkurrent Airbus wollen ihr Produktdaten-Management firmenweit vereinheitlichen, um Kosten zu sparen und besser mit den eigenen Firmenbereichen sowie ihren Kunden und Lieferanten zusammenzuarbeiten.

Von Frank Niemann*

Auf CAD-Lösungen und Produktdaten-Management (PDM) greifen Boeing und Airbus schon seit Jahren zurück. Nun wollen beide Firmen ihren Wildwuchs an Systemen vereinheitlichen. Dabei geht es ihnen nicht darum, alle bestehenden Produkte auf einen Schlag abzulösen, sondern diese über ein langfristig angelegtes Projekt mit einer zentrale Product-Lifecycle-Management-Plattform (PLM) zu verbinden. Das Ziel dabei sind konzernweit einheitliche Produktstammdaten, die sich mit zahlreichen Applikationen nutzen lassen.

Boeing hat angekündigt, auf Grundlage der Software "Teamcenter" von Siemens PLM Software ein PLM-Backbone für alle Geschäftsbereiche (darunter Luftfahrt, Rüstung und Raumfahrt) zu schaffen. In den nächsten Jahren will der Flugzeug- und Rüstungskonzern veraltete Programme für das Produktdaten-Management ablösen und deren Aufgaben an Teamcenter übergeben.

Teamcenter nutzte Boeing schon zuvor. Nun soll das Produkt eine deutlich größere Rolle spielen. An den bestehenden CAD-Lösungen wird der Konzern festhalten. Dazu zählt "Catia" von Dassault Systemes, "NX" von Siemens sowie "Pro/Engineer" von PTC. Vorausgegangen war ein umfangreicher Test verschiedener PLM-Lösungen.

Fast zeitgleich kündigte der Softwareanbieter und Siemens-PLM-Konkurrent PTC an, das PLM-Backbone für den Boeing-Wettbewerber EADS/Airbus zu stellen. Die Beweggründe des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns in Sachen PLM sind ähnlich. Auch EADS will interne Abläufe straffen und die Kosten senken. Auf der Grundlage von "Windchill" soll nun ein neues, zentrales PLM-System entstehen. Wie Boeing wollen auch die Europäer die Lösung über alle Firmenteile hinweg etablieren. Windchill war schon zuvor bei EADS im Einsatz. Bereits seit drei Jahren bindet der Konzern Kunden für den Großraumjet über "Digital Mock-Ups" in den Entwicklungsprozess ein.

Über Digital Mock-ups erzeugen Firmen virtuelle Versuchsmodelle und können so die Anzahl der kostspieligen Prototypen reduzieren. Boeing machte bei der Entwicklung des Jumbo-Jet-Nachfolgers 777 intensiven Gebrauch von Digital Mock-ups.

Nutzen will EADS die PLM-Technik für alle Konzernbereiche, neben der größten Sparte Airbus sind das die Hubschrauberentwicklung (Eurocopter), Satelliten und Raumfahrt (Atrium) sowie Verteidigung (Defense & Security).

Auslieferungsverzögerungen

Dass sich die Flugzeughersteller intensiv darum kümmern, ihre Konstruktionsprozesse zu verbessern, kommt nicht von ungefähr. Beide Konzerne plagen derzeit Auslieferungsprobleme. Airbus liefert den Riesenjet "A380" mit erheblicher Verzögerung an die Kunden aus. Unter anderem diese Schwierigkeiten setzten dem Flugzeugproduzenten zu und veranlassten ihn zum Rationalisierungsprogramm "Power 8".

Boeing musste unlängst ankündigen, die ersten Exemplare des neuen Flugzeugtyps 787 ("Dreamliner") erst im dritten Quartal 2009 und damit sechs Monate später als ursprünglich geplant fertigstellen zu können.

Neben den eigenen Schwierigkeiten wächst der Druck durch Konkurrenten. Neue Flugzeughersteller aus China und Russland sowie Bombardier aus Kanada wollen Boeing und Airbus vor allem im Marktsegment für kleinere Jets (Airbus A 320 beziehungsweise Boeing 737) angreifen.

Neues PLM für zukünftige Projekte

Allerdings werden weder Airbus noch Boeing mit geplanten PLM-Backbones ihre aktuellen Probleme mit der pünktlichen Auslieferung ihrer Jets kaum beheben können. Sie hoffen jedoch, mit Hilfe der neuen Softwaretechnik künftig Entwicklungsschwierigkeiten und damit kostspielige Verzögerungen zu vermeiden.

Flugzeuge zählen zu den komplexesten Produkten überhaupt. Sie bestehen aus unzähligen Teilen, verschiedenen Werkstoffen, Elektronik, Hydraulik und Software, an deren Entwicklung weltweit tausende von Konstrukteuren des jeweiligen Herstellers sowie seiner Entwicklungspartner beteiligt sind. Hinzu kommt, dass beispielsweise auch Simulationsexperten und das Qualitäts-Management mit den gleichen Daten arbeiten sollen. Ferner wollen die Flugzeugbauer ihre Kunden eng in die Produktentwicklung ein-binden und deren Anforderungen innerhalb der Datenstrukturen berücksichtigen können ("Requirements Management"). Entsprechend umfangreich sind die Daten. Viele Terabytes an Produktinformationen fallen an, um einen Jet zu bauen.

Grundsätzlich bestehen PLM-Plattformen der unterschiedlichen Hersteller aus einer CAD-Komponente, einer Umgebung zur digitalen Produktentwicklung sowie einem System, um Produktdaten zu verwalten. Über Schnittstellen lassen sich CAD-Daten von anderen Anbietern einbinden.