Business-Prozess-Management

Flughafen München hebt ab in neue Prozesswelten

07.01.2015
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Gemeinsam durchleuchten IT-Chef Michael Zaddach und Qualitäts-Manager Christian Stoschek die Abläufe des Flughafens München. Stoscheks Ziel ist es, Prozesse zu visualisieren und sie besser zu steuern. Zaddach hat Umfassendes auf dem Radar: Sein Programm „ITSM 2020“ soll die Professionalität des IT-Service-Managements steigern.

Die vielleicht wichtigste Soft Skill in Michael Zaddachs Position ist Konzentrationsfähigkeit. Von seinem Büro im sechsten Stock aus sieht der Leiter des Servicebereichs IT am Flughafen München den ganzen Tag Flieger abheben. Hinterherträumen darf er ihnen nicht. Er verfolgt derzeit ein bodenständiges Ziel: "Wir wollen unsere Prozesse neu organisieren, mit Kennzahlen belegen und das Unternehmen wettbewerbsfähiger machen", sagt der IT-Chef.

Mit "wir" meint Zaddach sich selbst sowie Christian Stoschek, den Leiter des Konzernbereichs Qualitäts- und Projekt-Management. Stoscheks jüngstes Projekt nennt sich "iGrafx". Es bewegt sich an der Schnittstelle von IT und Business Process Management.

Michael Zaddachs, IT-Chef der Flughafen München GmbH
Michael Zaddachs, IT-Chef der Flughafen München GmbH
Foto: Flughafen München

Verständnis durch Wirkungs- und Gap-Analyse

Anfang des Jahres 2014 setzen sich die beiden Manager zusammen, nachdem Stoschek die neu geschaffene Position des Prozess- und Qualitätschefs übernommen hatte. Mitgebracht hat der ATC (Air Traffic Controller) Erfahrungen aus leitenden Positionen bei verschiedenen Flughafen-Töchtern und dazu mehr IT-Affinität als ins Bordgepäck passen würde.

Christian Stoschek, den Leiter des Konzernbereichs Qualitäts- und Projekt-Management bei der Flughafen München GmbH
Christian Stoschek, den Leiter des Konzernbereichs Qualitäts- und Projekt-Management bei der Flughafen München GmbH
Foto: Flughafen München

Zaddach und Stoschek sahen eine ständig wachsende Komplexität von Prozessen. Die wollten sie nun besser ordnen. Nicht nur, um die Abläufe intern zu optimieren, sondern auch, um die Konzerntöchter besser anbinden und steuern zu können. Im Rahmen der Neuordnung waren beide Manager mit der bisherigen Lösung zur Prozessdokumentation nicht mehr zufrieden.

Die folgende Ausschreibung gewann iGrafx, ein Anbieter von Business-Process-Management-Lösungen mit Sitz in Karlsfeld bei München. Nach ihm beziehungsweise seinen Produkten iGrafx Modeler, iGrafx Process Central und iGrafx FlowCharter ist Stoscheks Projekt benannt. Die Tools sollen über Wirkungs- und Gap-Analysen ein besseres Verständnis für das Zusammenspiel zwischen Mitarbeitern - einschließlich externe Stakeholder - und Prozessen schaffen.

Informationen über sämtliche Prozessinitiativen speichert, kommuniziert und verwaltet das zentrale Repository der Server-basierenden Lösung. Ausgeführt werden die Prozesse mit der Workflow-Engine der T!M Solutions GmbH aus Freising bei München.

Foto: Flughafen München

Projektsteckbrief

  • Projekt: Einführung eines BPM-Systems.

  • Branche: Luftfahrt.

  • Projektart: Dokumentation der Geschäftsprozesse und Analyse ganzheitlicher Unternehmensmodelle für eine deutliche Qualitätssteigerung.

  • Kernprodukte: iGrafx Process Central, iGrafx for Enterprise Modeling, iGrafx FlowCharter

  • Systemumgebung:Windows Server und Clients.

  • Aufwand (Kosten, Personal): Zwei Mitarbeiter von Seiten iGrafx.

  • Herausforderungen: Datenübernahme und Ablösung des vorigen Systems

  • Ergebnis: Alle relevanten Daten und BPMN-Diagramme konnten überführt werden. Durch Wirkungs- und Gap-Analysen entsteht ein besseres Verständnis davon, wie Personen und Prozesse die Arbeitsabläufe und Beziehungen mit externen Stakeholdern beeinflussen.

  • Stand des Projekts/Zeitrahmen: Die Implementierung läuft seit Januar 2014. Weiterer Ausbau ist in Planung, zum Beispiel die Diagrammübernahme. In Überarbeitung befindet sich der Prozessteckbrief nach Anforderung.

  • Involvierte Anbieter/Dienstleister: iGrafx GmbH, T!M Solutions GmbH (fürdie Prozessausführung über Workflow-Engine)

  • Ansprechpartner: Michael Zaddach, Christian Stoschek, Flughafen München.

Synergien und Potenziale werden erkennbar

Wie Stoschek bestätigt, machen die Anwendungen übergreifende Synergien und damit Potenziale im Konzern erkennbar. Dabei operiert iGrafx mit Visualisierung und Elementen wie Prozesslandkarten, Rollen und Verantwortlichkeiten. "Bestehende und neue Prozesse werden in entsprechender Granularität beschrieben", sagt der Qualitäts-Chef. "Damit können die Dinge nach festen Regeln zusammengeführt werden." Stoschek und Zaddach legen außerdem Wert auf eine standardisierte Schnittstelle, über die sich Unternehmenstöchter und externe Partner anbinden können.

Das erste Etappenziel ist fast erreicht: Nahezu alle Prozesse sind in das neue System migriert. Und das sei zu 85 Prozent automatisiert gelaufen, sagt Stoschek. Knapp 200 Anwender nutzen das neue System jetzt. Im nächsten Projekt-Schritt will der Qualitäts-Chef alle Prozesse mit steuerbaren Kennziffern ausstatten.

Ein Kernteam des Herstellers begleitete die Implementierung. Dabei folgte das Konzept dem Motto "Train the Trainers." Aktuell beansprucht Zaddach den iGrafx-Support nur noch punktuell.

Transparenz als Kontrolle missverstanden

Die Anwender zu überzeugen - oder abstrakter ausgedrückt: ein Change-Management umzusetzen - war wesentlicher Teil der Arbeit. Die Aufforderung nach transparenten Prozessen habe mancher als Kontrollwunsch missverstanden, berichtet Stoschek. "Wir verlangen eine ganze Menge von der Organisation", räumt er ein. Es gehöre schon Einiges dazu, "Prozesse auch mal anzufassen".

Workshops und standardisierte Schulungen, viel Kommunikation und das Wirken aufgeschlossener Mitarbeiter als Mentoren räumten dem Roll-Out der neuen Anwendung die Startbahn frei. Stichwort Schulungen: Die volle Lizenz erhalten nur Nutzer, die sich entsprechend qualifiziert haben - und sie auch brauchen, einige benötigen nur den Viewer.

IT- und Prozess-Chef auf gleicher Flughöhe

Zaddach und Stoschek kooperieren auf Augenhöhe. Dabei ist der Qualitäts- und Projekt-Management-Chef jedoch formal der "Besitzer" und Treiber des neuen BPM-Systems. Beiden ist bewusst, dass die Digitalisierung die Rolle ihres Flughafens grundsätzlich weiter verändern wird. "Auch im Zusammenspiel mit unseren operativen Kunden, den rund 100 Airlines, dürfen die Prozesse nicht stocken", sagt Stoschek. So wirbt er auch bei den Fluglinien um Transparenz in deren Abläufen.

Gut funktioniert das mit der Lufthansa, mit der Stoschek schon gemeinsame übergreifende Prozesse entwickelt hat. Allerdings ist die Kranich-Linie ja auch mehr als ein Vorzeigekunde: Die Terminal 2 Gesellschaft als Tochter der Flughafen München GmbH und der Deutschen Lufthansa AG betreibt eines der beiden Passagier-Terminals am MUC Airport. Ein solches Joint-Venture gab es in Europa nie zuvor.

Gelebtes Alignment

Auf Non-IT-Kollegen, Partner und Kunden zuzugehen, ist für IT-Chef Zaddach nichts Ungewöhnliches. Unabhängig von Einzelprojekten wie iGrafx hat er das Alignment und die Professionalität der IT seit vielen Jahren auf dem Radar. Im Jahr 2009 ließ er über die "IT Performance Matrix" der Schickler Unternehmensberatung, Hamburg, die Leistungsfähigkeit der Flughafen-IT bewerten. Teil der Untersuchung war auch eine Anwenderbefragung.

Im Frühjahr 2010 stieß Zaddach dann das umfassende Programm "ITSM 2020" an, das mit der Migration auf das neue ITSM-Tool Cherwell in 2014 abgeschlossen wurde. Die Plattform des gleichnamigen Herstellers zählt nach Einschätzung des Analystenhauses Gartner weltweit zu den Top Six im Markt und bietet eine Alternative zu den Systemen von IBM oder HP.

Eine Zertifizierung nach ISO 20.000 hat die Flughafen-IT ebenfalls längst, genauso wie die Prozesse am Quasi-Standard ITIL (IT Infrastructure Library) ausgerichtet sind. "Dabei brauchen wir die Zertifizierung nicht wirklich", schmunzelt Zaddach: "Sie bringt keinen echten Benefit." Nur eigne sich die Aussicht auf ein Zertifikat als erklärtes Ziel ganz gut, um Kollegen bei einer Re-Organisation zum Mitmachen zu bewegen.

Beitrag zur neuen Marken-Kampagne

Ziel von ITSM 2020 ist neben der Kommunikation mit den Kunden eine Vereinheitlichung der Werkzeuge für das IT-Service-Management. Und das zeigt sich auch wieder beim iGrafx-Projekt. Hier geht es darum, Methoden der Prozessanalyse vereinheitlichen.

Im großen Unternehmenszusammenhang trägt die BPM-Lösung zur neuen Marken-Kampagne der Flughafen München GmbH bei. Die Kernbotschaft lautet: "Verbindung leben". Und das Ziel ist, den jährlich rund 39 Millionen Passagieren das Fliegen noch angenehmer zu machen. Wenn das gelingt, kann sich der Leiter des Servicebereiches IT auch einfach mal in seinen Bürostuhl zurücklehnen und den Fliegern hinterherschauen.

Die Kernbotschaft der Marken-Kampagne der Flughafen München GmbH lautet: "Verbindung leben"
Die Kernbotschaft der Marken-Kampagne der Flughafen München GmbH lautet: "Verbindung leben"
Foto: Flughafen München

Weitere Neuerungen am Münchener Flughafen

Seit Mitte 2014 können Fluggäste am Flughafen München bis zu 24 Stunden lang - statt wie zuvor nur 30 Minuten - ein kostenfreies WLAN nutzen. Die nötige Infrastruktur stellt Flughafen München GmbH, das Portal zum End-Nutzer und die Internet-Connectivity kommen von der Deutschen Telekom. Der Service erfordert die Herausgabe einiger Nutzer-Daten. Dass diese nur mit gebotener Zurückhaltung verwendet werden dürfen, ist IT-Chef Michael Zaddach klar.

Nach Angaben des Pressesprechers Ingo Anspach ist das Feedback auf den neuen kostenlosen Service in den regelmäßigen Passagierbefragungen "extrem positiv". Das Unternehmen setzt sich hohe Ziele: "Wir wollen ein Five-Star-Airport werden", sagt Anspach. Mit dieser Auszeichnung des internationalen Consulters Skytrax dürfen sich bisher nur vier asiatische Flughäfen schmücken.

Noch eine weitere Annehmlichkeit kommt den Passagieren zu Gute: die Bundespolizei will am Münchener Airport schon bis Ende 2014 "E-Gates" einführen, also automatisierte Grenzkontrollsysteme. Die bayerische Landeshauptstadt ist einer von vier Standorten für diese Neuerung. In nur 18 Sekunden soll ein Passagier dann durch die Kontrolle durch sein.