Flow-Charting-Programme im Vergleich Tools unterstuetzen Planung komplexer Geschaeftsprozesse

03.03.1995

Die Darstellung und Dokumentation strukturierter Prozesse hat sich zu einem wesentlichen Bestandteil des Qualitaets-Managements entwickelt. Grafische Utilities bieten dabei die notwendigen Hilfsmittel, um etwa Betriebsorganisationen, Verfahrensablaeufe oder Projektabwicklungen mit Hilfe von Diagrammen und Charts zu planen. Microsoft misst dieser Anwendung immerhin soviel Bedeutung bei, dass eine Runtime-Version der Visualisierungssoftware "Visio" von Shapeware kuenftig in das "Office"-Paket integriert werden soll. Andere bekannte Namen in diesem Produktspektrum sind "ABC Flow Charter" von Micrografx und

"Corel Flow" vom Grafikspezialisten Corel. Michael Matzer* stellt die drei Tools vor und vergleicht sie miteinander.

Im Workflow-Management, also der Planung und Dokumentation von Ablaeufen und Vorgaengen, spielt das "Process-Mapping" eine bedeutende Rolle. Es dient dazu, alle Teile einer komplexeren Aufgabe oder eines Arbeitsvorgangs bis ins Detail festzuhalten. Damit schafft Process-Mapping Transparenz und liefert gleichzeitig die Voraussetzung fuer eine spaetere Vereinfachung und Optimierung von Vorgaengen. Es unterstuetzt zum Beispiel das Total-Quality- Management mit der Moeglichkeit zu sofortigen Korrekturen oder Ergaenzungen in einer Prozesskette. Die Auswirkungen dieser Eingriffe werden schneller sichtbar, die Reaktionszeiten lassen sich deutlich verkuerzen.

Process-Mapping nimmt eine tragende Rolle ein

Process-Mapping- oder "Automated-Business-Charting"-Software ist in erster Linie ein Werkzeug zur Visualisierung der Ablaeufe und Prozesse. Der Nutzen liegt dabei nicht nur im schnellen und einfachen Erstellen von Diagrammen, sondern vor allem in der uebersichtlichen Darstellung komplexer Informationen. Typische Aufgaben, die sich mit diesen Werkzeugen planen, strukturieren und dokumentieren lassen, sind die Installation eines Netzwerks, die Reorganisation des Vertriebs oder die transparente Auftragsbearbeitung.

Mit der neuen Version 3.0 von ABC Flow Charter wendet sich Micrografx nicht mehr an beliebige Anwender, sondern ausdruecklich an Business- und technische User in groesseren Unternehmen. Ueber die Diagrammerzeugung und Prozessvisualisierung hinaus unterstuetzt das Programm OLE, so dass Grafikobjekte exportiert und zum Beispiel in Praesentationsprogrammen genutzt werden koennen. Der Aufruf externer Anwendungen aus einem Symbol heraus macht eine Integration von Flow Charter in eine Office-Umgebung moeglich.

Fuer die Bereiche Business und Technik wurde das Programm mit insgesamt 25 Symbolpaletten und mehr als 400 Standardsymbolen und -formen ausgestattet, die aus den verschiedensten Branchen stammen, wie etwa Telekommunikation, Netzwerkdesign und - administration, Controlling und Revision, ISO-9000-Zertifizierung oder DIN-66001-Datenverarbeitung. Der Anwender holt sich die benoetigten Symbole aus einer der angebotenen Bibliotheken oder aus einer selbsterstellten Palette und zieht sie per Drag and drop auf die Zeichenflaeche. Jedes Symbol verfuegt ueber (editierbare) Punkte, an denen sich Verbindungslinien zu einem anderen Symbol verankern lassen.

Hilfslinien fuer die schnelle und korrekte Ausrichtung von Symbolen, automatisches Numerieren und Neunumerieren einzelner Symbole sowie zahlreiche Text- und Grafikfunktionen sind einige weitere praktische Features.

Hierin hat sich Flow Charter dem Konkurrenzprodukt Visio angenaehert. Etwas enttaeuschend ist dagegen die Zoomfunktion ausgefallen: Sie erlaubt nur drei Einstellungen. Deshalb wurde auch ein raffiniertes Positionierraster fuer das Scrollen eines Diagramms eingebaut. Allerdings ist es so klein geraten, dass man mit der Maus gut zielen muss, um die Rasterpunkte zu treffen.

Das Erstellen und Anbinden von Unterdiagrammen mit zusaetzlichen Informationen erlaubt es, auch komplexe Strukturen und Prozesse (bis zu 32 000 Ebenen) korrekt, differenziert und uebersichtlich darzustellen. So koennen etwa einzelne Symbole der Diagramme mit Notizen versehen werden. Mit Hilfe einer speziellen Alignment- Funktion lassen sich Grafiken einfach und schnell ausrichten. Symbole richten sich automatisch horizontal oder vertikal zu den dazugehoerigen Symbolen oder festgelegten Abzweigungen aus. Ueber die Indexfunktion kann der Anwender auf einen Blick sehen, aus welchen Bestandteilen ein Diagramm und ein eventuell verbundenes Diagramm zusammengesetzt ist. Die Hilfefunktion mit der Bezeichnung Scout Wings ist gut geloest, die zwoelf Workshops des Tutorials sollte der Einsteiger unbedingt durcharbeiten.

Das Chart-Programm vom Grafikriesen Corel verfuegt ueber beinahe die gleiche Funktionalitaet wie Flow Charter. Auch mit ihm lassen sich Prozesse und Strukturen abbilden, wobei die Symbole aus sogenannten Smart Libraries zu holen sind. Vorhanden sind unter anderem solche fuer Org-Charts, Flussdiagramme, Projekt-Management, logische Diagramme, Elektrohandwerk, Netzwerke sowie Landschafts- und Raumgestaltung. Ueber zehn dieser Libraries laesst sich das Programm selbst starten: Entsprechende Icons sind in der Programmgruppe abgelegt. Zu diesen Bibliotheken liefert Corel auf der CD-ROM noch zahlreiche Clipart-Grafiken und Photo-CD-Bilder; das Handbuch bietet zugleich einen Katalog dafuer. Es stellt sich allerdings die Frage, ob im professionellen Bereich die Fuelle der verfuegbaren Bilder die fehlenden Bibliotheken, etwa fuer ISO 9000, ersetzen kann.

Corel Flows Bedieneroberflaeche besteht aus der obligatorischen Menue- und Symbolleiste sowie einer Toolbox. Eine aufklappbare Farbskala am unteren Bildschirmrand stellt fast jede gewuenschte Farbe bereit. Eine Symbolpalette ergaenzt das Angebot. Das eigentliche Arbeiten erfolgt durch Drag and drop von Elementen in die Zeichenflaeche. Beim Linienziehen erweist sich allerdings das richtige Anknuepfen von Linienenden an die Raender eines Symbols als schwierig und zeitraubend - ganz anders als im Flow Charter. Die Ausrichtung und Formatierung sowie Gruppierung von Elementen ist jedoch einfach. Text laesst sich zudem mit einer Rechtschreibpruefung auf Richtigkeit checken.

Der Anwender kann aus jedem Element oder Diagramm heraus eine externe Anwendung starten. Ueber OLE 1.0 sind auch Objekte einzubinden, um einen Datenaustausch fuer die Projektplanung zu erlauben. Projekt-Management mit der Darstellung unter anderem von Gantt-Balkendiagrammen ist eine der Schwerpunktanwendungen von Corel Flow. Was noch fehlt, ist eine uebersichtliche Objektverwaltung, wie sie der Index im Flow Charter bereitstellt.

Der Einsteiger wird ueber ein umfangreiches Tutorial mit Chart- Software generell und Flow speziell bekannt gemacht. Die Bildschirme des Tutorials sind sehr textlastig, was nicht gerade zum Arbeiten einlaedt. Ein CD-ROM-Laufwerk empfiehlt sich, um in den Genuss der zahlreichen Schriften, Bibliotheken und Photos der CD zu kommen.

Shapewares Visio weist die gleiche grundlegende Funktionalitaet wie seine Mitbewerber auf. Im Vergleich zu diesen zeichnet es sich durch besonders einfache Bedienung und eine grosse Zahl unterschiedlicher Paletten mit insgesamt 750 Symbolen aus. Besonders die Technik, Verbindungen herzustellen, ist in Visio ausgereift. Lediglich der Flow Charter kann mit einer aehnlich soliden Konnektortechnik aufwarten. Die Unterstuetzung von OLE 2.0 ermoeglicht es, Visio-Charts als Objekte in anderen Anwendungen zu bearbeiten. Umgekehrt koennen auch Ton- und Videodateien zusaetzlich zu Charts und Bildern in Diagramme integriert werden. Drag and drop basiert in Visio ebenfalls auf OLE 2.0.

Visio 3.0 ist im September erschienen. Die Neuerungen gegenueber dem Vorgaenger-Release betreffen vor allem die Integration in eine integrierte Bueroumgebung. Der Anwender eines Office-Pakets kann zwischen drei Symbolleisten und Menuesets waehlen, je nachdem, in welcher Arbeitsumgebung er sich befindet: Zur Verfuegung stehen die Standardleisten und -menues fuer Visio, diejenigen fuer MS-Office und diejenigen fuer Lotus Smartsuite. Durch die Integration des Visio- Startbuttons in die Symbolleisten von Office und Smartsuite kann der Anwender von dort direkt auf die Visio-Funktionen zugreifen.

Ausserdem kann der Benutzer zu jedem Symbol in Visio ein Dokument hinterlegen, das sich auf Doppelklick oeffnen laesst. Dieses kann sich in Visio oder einer anderen Anwendung befinden.

Visio 3.0 unterstuetzt einen Zwei-Wege-Austausch von Daten mit Lotus Notes F/X. Der Anwender fuegt Felder aus Notes in Zeichnungen ein, in denen Informationen wie Erstellungsdatum, Masse und Positionen von Elementen sowie andere Details untergebracht sind. Werden Aenderungen in den Feldern der Notes-Datei vorgenommen, wirkt sich dies automatisch auf das Visio-Diagramm aus und umgekehrt.

Auch die Konnektortechnik wurde im Update 3.0 weiter verbessert. Dafuer stehen nun sowohl eine universelle Symbolpalette als auch ein spezielles Verbindungswerkzeug bereit. Wird ein verbundenes Element auf der Arbeitsflaeche bewegt, zeichnet Visio automatisch den Konnektor an die neue Position.

Das Programm stellt Visio nun auch eine Symbolpalette auch fuer Total Quality Management (Qualitaetskontrolle) zur Verfuegung. In der neuen Druckvorschau laesst sich eine Zeichnung noch bearbeiten, was nicht selbstverstaendlich ist. Fuer Anwender, die an Festplattenspeicher oder auch an den Durchsatz auf dem Netzwerk denken muessen, wurde die Moeglichkeit bereitgestellt, die Groesse einer Visio-Datei auf rund zwei Drittel des Originals zu komprimieren - ein sehr nuetzliches Feature.

Shapeware erleichtert die Einarbeitung in Visio 3.0 durch eine Quick-Tour, ein Lernprogramm fuer Funktionen und Bedienung sowie Tips und Tricks. Die Online-Hilfe und das gute Handbuch tragen wesentlich zum leichten Erlernen der zahlreichen Funktionen bei. Fuer die individuelle Anpassung der Steuerung steht eine Makrosprache zur Verfuegung, aber auch OLE 2.0 und Visual Basic erlauben die Entwicklung von sogenannten Add-ins, also Zusatzmodulen, die eingebunden werden koennen.

Fazit:

Mit 400 Mark preislich etwa in der Mitte zwischen Corel Flow (230 Mark) und ABC Flow Charter (650 Mark) bietet nur Visio eine integrierte Makrosprache, eine optimale Unterstuetzung von OLE 2.0 sowie eine gute Integration in die gaengigen Office-Pakete von Lotus und Microsoft. Eine mit Visio vergleichbare gute Konnektortechnik hat nur Flow Charter aufzuweisen. Beide Produkte sind technisch ausgereift und eignen sich gut fuer den Einsatz auch in grossen Unternehmen. Flow Charter bietet darueber hinaus einen Index zur Verwaltung von Diagrammelementen und optional ein Entwicklungswerkzeug, das professionellen Anspruechen im Re- Engineering genuegt. Corel Flow deckt den Low-Budget-Markt ab und ist fuer Ansprueche von Heimanwendern und Klein- bis Mittelbetrieben ausreichend, sofern kein Qualitaets-Management im Sinne von ISO 9000 benoetigt wird.

* Michael Matzer ist freier Fachjournalist in Herrsching bei Muenchen.