IT im Marketing/Weinbauern erschließen ihre Potenziale im Netz

Flaschenpost vom Bildschirm

04.05.2001
Wer Neuland betritt, sollte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Einstige Pioniere trotzten Skorbut und Rothautattacken, heutige kleine und mittelständische Betriebe sind mit dem Internet konfrontiert. Das brauchen sie, um aktuelle Marketing-Methoden einzuführen und neue Kundenkreise zu erschließen. Von Winfried Gertz*

"Wir hatten keine Ahnung, wer uns beim Einstieg ins Netz unter die Arme greifen könnte." Was Angela Kühn zum Ausdruck bringt, dürften viele Unternehmer ohne zu zögern unterschreiben. Für Experimente bleibt nämlich kaum Zeit. Gemeinsam mit ihrem Mann Peter Jakob Kühn führt die Winzerin bereits in elfter Generation ein großes Weingut in Oestrich im Rheingau. Sind die beiden mal nicht am Rebstock oder in der Kellerei, erledigen sie die Buchhaltung oder besuchen eine Fachmesse. Marketing scheint eine fremde Welt zu sein.

Im Web locken nach wie vor neue Kunden und Absatzchancen - auch für die Weinbauern. Doch ist das Feld noch nicht ausreichend bestellt - terra incognita: Außer vielleicht einem Dutzend professionell gestalteter Portale wimmelt es nur so vor Homepages aus der Do-it-yourself-Ecke. Der Fleiß der Hobbyinformatiker in allen Ehren, doch vieles ist einfach dilettantisch oder schlichter Werbemüll. Unendliche Ladezeiten, ewige Baustellen - man kann schon froh sein, zumindest auf eine eins-zu-eins abgebildete Katalogofferte zu treffen. Ob sich so neue Käufer anlocken lassen, steht in den Sternen.

Auch Ökos stehen mitten im NetzDoch es gibt Ausnahmen. Beispielsweise vertraut Harald Steffens bereits seit vier Jahren auf die Flaschenpost vom Bildschirm. Seine guten Tropfen bot der Winzer von Reil an der Mosel zunächst über die Verbandsseite der ökologischen Weinwirtschaft (www.ecovin.de) an. Seit gut einem Jahr ist er mit einer eigenen Homepage (www.steffens-kess.de) im Internet vertreten. Den 95er Reiler Goldlay, vom Web-Guide des Magazins "Stern" ausdrücklich empfohlen, katapultierte Steffens in die Hitlisten der Ökoweine. Für den 1998er Burger Wendelstück, eine Riesling Spätlese, "weinig mit Rückgrat, körperreich und stoffig", heimste der innovative Winzer die "Silberne Kammerpreismünze" ein, für den 1998er Briedeler Nonnengarten darf er sich sogar mit dem Silbernen Preis der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) schmücken.

Steffens Internet-Geschäft ist so richtig in Fahrt gekommen. Der Weinbauer, der rund 25000 Flaschen im Jahr verkauft, ist überrascht, wie viele Interessenten auf seinen Seiten landen und tatsächlich ordern. "Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist einfach super", gerät er ins Schwärmen. Zehn Mark im Monat zahlt er für seine Domain, und 140 Mark muss er für eine Jahresannonce im Mosel-Reiseführer inklusive Link berappen. Den Rest der Kosten von rund 1500 Mark pro Jahr veranschlagt ein Journalist, der die Homepage pflegt und sie hin und wieder mit neuen Informationen füttert.

Eines ist klar: Weinbauer Steffens ist nicht unbedingt repräsentativ zu nennen. Die ökologisch produzierenden Winzer, eine kleine überschaubare Gruppe, werden bereits von ihrem Verband professionell vertreten. So gut, dass man verleitet wäre zu behaupten: Die früher so weltfremden Ökos stehen jetzt mitten im Leben. Und Exoten nimmt man einfach leichter wahr. "In der Regel", so Kai-Holger Müller-Kästner, Direktor E-Business beim Beratungsunternehmen CSC Ploenzke in Kiedrich, "sind die Kleinbetriebe mit dem Aufwand überfordert, den ein durchdachter Vertriebskanal im Internet mit sich bringt." Technische Wartung, die laufende Aktualisierung der Inhalte sowie eine reibungslose Logistik würden die Kosten derart in die Höhe schrauben, dass den Winzern schnell die Puste ausginge.

Eine vierstellige Summe legen auch Maja und Willi Thiel jeden Monat auf den Tisch, nur damit der beauftragte Computerspezialist einen Finger krümmt. Erst vor wenigen Monaten haben sie sich zum Aufbau eines E-Shop entschlossen, "um den Warenabsatz in allen Segmenten anzukurbeln". Im Unterschied zu den Winzern von Rhein und Mosel treten sie als Händler in Erscheinung. An Ehrgeiz mangelt es dem Ehepaar aus der 10000-Seelen-Gemeinde Gröditz nahe Dresden nicht. Willi Thiel arbeitet hauptberuflich in der Elektrobranche, seine Frau Maja ist Berufsschullehrerin. "Andere legen die Beine hoch und machen sich einen Lenz."

Die Weinfreunde, die bereits vor der Wende ihrem Hobby frönten, trauten ihren Augen nicht, als in unmittelbarer Nähe ihres Ladengeschäfts das Nobelhotel "Spanischer Hof" entstand. Nicht eine Sekunde zögerten sie, das Angebot des Direktors anzunehmen, als "Hoflieferant" internationaler Weine aufzutreten. Spezialität: gute Tropfen aus Iberia - Tintos, Crianzas und Reservas in Hülle und Fülle.

Der Absatz über die Hoflieferantenschiene läuft gut, reicht aber längst nicht aus. Hinzu tritt der Verkauf regionaler Weine, die in den Kammlagen zwischen Meißen und Radebeul der Sonne entgegenlachen. Mit der sächsischen Winzergenossenschaft, allen voran Schloss Wackerbarth, pflegen die Thiels gute Geschäftsbeziehungen. Auch im Laden wird gut verkauft, ein weiterer wurde unlängst in Riesa eröffnet. Den endgültigen Durchbruch jedoch versprechen sich die beiden vom World Wide Web (www.willisweinwelt.de).

Wären da nur nicht die Probleme mit der Technik: Noch hapert es mit der Bestellfunktion und dem Warenkorb, und wie die Besucherresonanz zu ermitteln ist, wissen die Thiels auch nicht. "Wir stecken noch in den Kinderschuhen."

Probleme hält sich Familie Kühn dabei vom Halse. Sie hat sich www.winesystem.de angeschlossen, einer virtuellen Handelsplattform. Von der Gestaltung der Internet-Seiten bis zur Datenbankpflege werden dem Winzer viele Aufgaben abgenommen, für die er ohnehin kaum Zeit hätte. Angela Kühn: "Eine kurze E-Mail genügt, und die Web-Master arrangieren die Veränderungen ohne Zeitverlust." Der Vorteil der Plattform gegenüber einem eigenen Internet-Shop: Während der Kunde die Angebote ohne Zeitverlust miteinander vergleichen kann, erhalten Winzer wie Händler eine professionelle Präsentations- und Vertriebsplattform, für die sie monatliche Gebühren und anteilige Umsatzprovisionen entrichten. Angela Kühn: "Das kostet weit weniger als die Mitgliedschaft im Tennisclub."

Zahlreiche andere Weinshops locken inzwischen auf ihre Seiten. Ob weinlust.de oder wein24.de, ob winegate.de oder chateauonline.de: Professionelles Design, intelligente Benutzerführung sowie ein reichhaltiges Angebot an Weinen und Hintergrundinformationen laden bei den meisten "Portalen" zum Verweilen ein. Wer dagegen das Bedürfnis des Online-Publikums nach kundenfreundlicher Gestaltung missachtet, muss doppelt büßen: Surfer klicken sich gleich wieder weg, und in den zahlreichen Tests der Internet-Zeitschriften gibt es die Note Sechs. Lieferung ohne Aufpreis, Rücknahme ungeöffneter Flaschen oder Geld-zurück-Garantie sind inzwischen ebenso selbstverständlich geworden wie ausgiebiges "Intertainment".

Kommt sich der Weinfreund auf unzähligen Homepages noch vor wie auf der Autobahn nach Leipzig - nichts als Baustellen -, ziehen die Portale alle Register, um die Lust auf Wein zu steigern. Weinexpertin Gisela Wüstinger: "Auf dem Weg vom Hersteller zum Verbraucher verlief das Wissen über den Wein bisher meist im Sande." Genau dann, wenn sich der Genießer dem guten Tropfen zuwendet, also bei der Auswahl und beim Trinken, sind qualifizierte Informationen häufig nicht zur Hand. Und das trotz aufwändig gestalteter und massenweise verschickter Prospekte und Publikationen. Nun kann er sich auf der Website seines Lieferanten spontan und jederzeit schlau machen - und nachbestellen.

Viele zahlen innerhalb einer WocheFür die Winzer scheint sich das Abenteuer Internet also auszuzahlen. "Exquisit", berichtet Ökobauer Steffens, sei die Zahlungsmoral der Online-Kunden. Viele überwiesen den Kaufpreis bereits innerhalb einer Woche. Steffens kann jedem Web-interessierten Winzer nur raten, sich zunächst über eine gemeinsame Seite von Winzerkooperationen in den neuen Vertriebskanal vorzutasten. "Der fachliche Austausch im Internet bietet viele Vorteile", so auch Angela Kühn. Etwa über neue Ideen, um die Qualität und den Ertrag der Rebstöcke gezielt zu beeinflussen. Der Gedanke, sich mit mehreren Winzern und Weinhändlern gemeinsam zu präsentieren, fiel deshalb in Oestrich auf fruchtbaren Boden. "Der Gedanke an geschäftliche Konkurrenz kam uns in keiner Weise."

Auch wenn sich immer mehr Weinbauern und Händler ins Internet einfädeln, von den Web-generierten Umsätzen können sie noch nicht leben. "Zwar wird im Netz noch nicht viel verkauft, aber sehr viel über Wein gelesen", sagt Angela Kühn. Noch läuft ihr Absatz traditionell über Privatkunden, Fachhandel, Gastronomie und Export. Doch zahlreiche Argumente scheinen fürs Web zu sprechen: weltweite Präsenz ohne zeitliche Limits, kürzere Wege der Neukundenansprache sowie die Chance zur Steigerung und Festigung des Bekanntheitsgrades. "Das können uns so die traditionellen Absatzwege niemals bieten."

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.

Hoffnungsträger Internet?Deutscher Wein hat im Ausland einen guten Ruf. In den Exportmärkten setzten die hiesigen Winzer nach Angaben des Deutschen Wein Instituts (DWI), Mainz, mehr als zwei Millionen Hektoliter Wein im Wert von 655 Millionen Mark ab. Etwa jede fünfte Flasche wird im Ausland getrunken. Fast eine Million Hektoliter floss allein nach Großbritannien; in der Rangliste folgen Japan, USA und die Niederlande.

Das traditionelle deutsche Weinangebot besetzt ein Marktsegment, das weltweit schrumpft. Dagegen steigt die Nachfrage nach "hochwertigen Weinen in modernen Ausstattungen". Geschmacklich setzt sich der Trend zum trockenen Wein als Menübegleiter fort, und auch die Nachfrage nach Rotwein nimmt immer mehr zu. Deshalb richtet das DWI seine Exportstrategie neu aus. Vor allem in die vier Kernmärkte Großbritannien, Niederlande, Japan und USA werden in den kommenden fünf Jahren umfangreiche Marketing-Mittel investiert. Aufgabe der Marktforscher: Erwartungen an akzeptable Markenweine zu ermitteln - auch mit Hilfe des Internet -, die den deutschen Winzern künftig im Mittelpreissegment ein einträgliches Exportgeschäft sichern.