Es gibt keinen Königsweg zur perfekten Organisation

Flache Hierarchien sind eine Illusion

17.01.2003
MÜNCHEN (iw) - Einfache Lösungen sind Stefan Kühl suspekt. Populäre Management-Theorien zerpflückt der Soziologe und Organisationsberater in seinem neuen Buch "Sisyphos im Management". Die perfekte Organisation sei eine Illusion.

CW: Sie vergleichen die Anforderungen an Manager mit denen von Sisyphos, einem tragischen Helden der griechischen Mythologie, der einen Felsbrocken einen Berg hochhieven muss und immer wieder kurz vor dem Ziel scheitert. Sieht Ihrer Meinung nach so der Arbeitsalltag eines Managers aus?

KÜHL: Das Management muss immer Sisyphosarbeit leisten, es hat keine andere Wahl. Sorgen über ihre Existenzberechtigung müssen sich Manager erst dann machen, wenn sich der Eindruck einstellt, dass alles wie am Schnürchen läuft. Widersprüche und Paradoxien in ihrer Organisation gehören dagegen zum Arbeitsalltag, damit müssen sie zurechtkommen und Lösungen dafür finden.

CW: In Ihrem Buch kritisieren Sie flache Hierarchien, mit denen sich sowohl junge als auch etablierte Unternehmen gleichermaßen schmücken. Sie schreiben, dass Teams immer hierarchische Strukturen hervorbringen. Worauf stützen Sie Ihre Erkenntnis?

KÜHL: Streichen Unternehmen die erste und zweite Führungsebene und setzen dafür über verschiedene Ebenen gestaffelte Teamarbeit ein, führt das zu einer Zentralisierung von Entscheidungen. Diesen Nebeneffekt hatte niemand eingeplant. Flache Hierarchien heißt im Unternehmensalltag, dass sich andere, striktere Hierarchien herausbilden. Wird die Entscheidungskompetenz an ein Team delegiert, kommt es oft zu Machtkämpfen innerhalb der Gruppe, da nicht klar ist, wer Entscheidungen treffen darf. Die Teammitglieder müssen sich untereinander absprechen und einigen, die Entscheidungswege werden deshalb länger, die Machtverhältnisse diffuser. Oft verlagern sich die Entscheidungen auf die nächsthöhere Führungsebene, und es entsteht eine Zentralisierung, die niemand wollte. In meiner Beratertätigkeit habe ich ein mittelständisches Unternehmen kennen gelernt, das Führungsteams gebildet hatte und solche Probleme erlebte. Plötzlich musste der Werksleiter über Urlaubsanträge von Mitarbeitern aus der Fertigung entscheiden; vorher wickelte der Meister diese Dinge selbständig ab.

CW: Was empfehlen Sie Unternehmen, die den Versuch gewagt haben, mit weniger Hierarchiestufen Entscheidungen schneller herbeizuführen und sich jetzt mit ähnlichen Schwierigkeiten auseinander setzen müssen? Sollten sie zu den alten hierarchischen Strukturen zurückkehren?

KÜHL: Organisationen können nicht auf Hierarchien verzichten. Allerdings sollten sie nicht zu den alten Strukturen zurückkehren, sondern aufgrund ihrer Anforderungen erläutern, welche Entscheidungswege sinnvoller sind. Geht es um die Lösung komplexer Aufgaben oder um Kreativität, bieten sich abgeflachte Hierarchien an.

CW: Sie arbeiten selbst als Organisationsberater. Wie viel Einfluss haben Sie in dieser Position?

KÜHL: Es ist ein hohes Maß an Bescheidenheit notwendig. Berater müssen Respekt vor dem Eigenleben und der Selbstorganisation eines Unternehmens mitbringen. Beratungsprozesse funktionieren nicht nach einfachen Schemen. Um Kunden von der Notwendigkeit von Veränderungsprozessen zu überzeugen, kommt man aber nicht darum herum, Erfolgsmythen zu schaffen und sich an diesem Spiel zu beteiligen. Das funktioniert oft nur, indem man eigene Vorstellungen in gängige Modethemen verpackt und auf diese Weise seine Ideen transportiert.

CW: Sollten Sie nicht gleich mit den Auftraggebern Klartext reden und sie auf die Schwierigkeiten hinweisen?

KÜHL: Mit Bescheidenheit meine ich, dass die soziologische Organisationsberatung davon ausgeht, dass es keine perfekt funktionierende Organisation gibt. Unternehmen müssen sich immer wieder mit Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten auseinander setzen und sich permanenten Veränderungen stellen. Die Lösung eines Problems führt direkt zu einem neuen. Zu den Aufgaben der Manager gehört es, damit klarzukommen, sie haben keine andere Wahl. Sie müssen Schwerarbeit leisten. Deshalb vergleiche ich den Manager und letzlich auch den Berater mit Sisyphos.

CW: Wenn unternehmerische Entscheidungen neue Probleme und Paradoxien schaffen, wie sieht dann ein seriöses Beratungsergebnis aus?

KÜHL: Wir präsentieren keine ganz neuen Lösungen, sondern ermutigen die Unternehmen, anderes auszuprobieren, auch wenn sich die Maßnahmen scheinbar widersprechen. Eine Organisation hält solche Widersprüche aus, sie erlebt sie ständig. Die Aufgabe der Berater ist es, ein Erprobungsfeld zu schaffen, bevor alles endgültig durchdacht ist. Veränderungsprozesse werden in der Metaplan-Methode spiralförmig vorangetrieben. Dazu gehören drei Ebenen: Steuern, Erdenken und Erproben sowie die Rückkoppelung. Die erste Ebene "Steuern" umfasst die Eckpunkte des Vertrags. Mit dem Auftraggeber wird beispielsweise über Organisatorisches wie Zeitplan, Aufwand, Veränderungsrichtungen und die beteiligten Mitarbeiter gesprochen. In der Erprobungsphase werden verschiedene Lösungswege parallel verfolgt und in die Praxis umgesetzt, die erarbeiteten Konzepte durch Recherchen und Analysen untermauert. Wichtig ist hierbei, dass die Erprobungsphase beginnt, bevor die theoretischen Überlegungen ganz abgeschlossen sind. Was sich beispielsweise in der Testphase als gute Lösung bewährt hat, wird später beibehalten. In der dritten Phase setzen sich die Beteiligten in Workshops, Gruppengesprächen und Versammlungen mit den erarbeiteten Konzepten und Ideen auseinander und diskutieren darüber.

CW: In Ihrem Buch kritisieren Sie Konzepte, die Mitarbeiter zu mehr Selbständigkeit und unternehmerischem Denken anregen sollen. Solche Ideen verunsichern Ihrer Meinung nach nur. Welche Rolle kommt den Mitarbeitern im Unternehmen zu?

KÜHL: Wenn ich in eine Organisation eintrete, und wie ein Unternehmer im Unternehmen agiere, dann scheitere ich und werde innerhalb kürzester Zeit entlassen. Das funktioniert nicht. Mitarbeiter werden im Unternehmen sozialisiert und sollten sich an vorgegebene Gepflogenheiten halten, die die Rahmenbedingungen definieren. Manager können die geweckten Erwartungen, dass Mitarbeiter als Unternehmer im Unternehmen arbeiten können, nicht erfüllen.

Zur Person

Stefan Kühl, Diplomsoziologe und Historiker (MA), promovierte an der Universität Bielefeld. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München lehrt und forscht er am Lehrstuhl für Soziologie von Professor Ulrich Beck. Neben seiner Tätigkeit als Dozent arbeitet Kühl als Organisationsberater bei der Beratungsfirma Metaplan in Quickborn bei Hamburg. Er ist Autor mehrerer Management-Bücher.

Stefan Kühl: Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur. Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2002. 321 Seiten, 24,90 Euro. ISBN 3-527-50042-1.