First Look: Borlands Entwicklungspaket fuer Windows Delphi macht Visual Basic und Powerbuilder den Markt streitig

25.11.1994

Von Michael Matzer*

Unter dem Codenamen "Delphi" entwickelt Borland ein visuell orientiertes Entwicklungssystem fuer die Client-Server-Umgebung im Datenbank-Management. Geplant fuer das erste Quartal 1995, richtet es sich gegen "Powerbuilder Enterprise", "SQL Windows" von Gupta und Microsofts "Visual Basic Pro".

Das High-Performance-Entwicklungssystem "Visual Pascal" entwickelt Borland nicht nur fuer Client-Server-Umgebungen, sondern auch fuer den Desktop-PC. Dieses Produkt soll nicht nur Powersofts Powerbuilder und Guptas SQL Windows Solo Konkurrenz machen, sondern auch Microsofts Visual Basic 3.0.

Aus diesem Grund ist der Anbieter zu dem Spagat gezwungen, dass die Software sowohl vom Laien einfach zu bedienen als auch auf Unternehmensebene zuverlaessig und leistungsfaehig sein soll. Entsprechend vage beschreibt Borland die Zielgruppe: In erster Linie firmen- und abteilungsinterne Entwickler, Firmenberatungsunternehmen, VARs und unabhaengige Entwickler, die schnelle und sichere Client-Server- und Desktop-Applikationen schreiben moechten.

Geeignet fuer SQL-Datenbanken

Beim derzeitigen Entwicklungsstand ist nach Aussagen von Entwicklern die Desktop-Version auslieferungsreif. Es sind damit bereits Multimedia-Produkte entwickelt worden, zum Beispiel der DSV-Ski-Atlas 1995. Trotzdem soll das Tool erst gleichzeitig mit der SQL-faehigen Variante freigegeben werden.

Delphi erzeugt neben Dynamic Link Libraries (DLLs) auch Exe-Code, der im Gegensatz etwa zu Visual-Basic-Anwendungen ohne Runtime- Umgebung lauffaehig ist. Der Compiler soll laut Borland 120000 Zeilen pro Minute uebersetzen sowie extrem schnelle und kleine Programmdateien erzeugen. Nach Entwicklerangaben ist die kleinste Exe-Datei etwa 120 KB gross, waehrend die Runtime-Datei VBRUN300.DLL von Visual Basic rund 400 KB benoetigt. Delphi unterstuetzt Visual Basic Custom Controls, sogenannte VBXe, zudem Dynamic Data Exchange (DDE), Object Linking and Embedding (OLE) 2.0 und DLLs. Der Support von OLE Custom Controls

(OCX) koenne laut Borland in der geplanten 32-Bit-Version fuer Windows 95 und NT erfolgen.

Eine Delphi-Applikation ist aus Komponenten aufgebaut, die zunaechst in Object-Pascal geschrieben sind. Die neue Sprache ist objektorientiert wie C++, basiert aber auf Pascal. Entwickler koennen aus OLE-2.0-Komponenten und Object-Pascal-Objekten DLLs entwickeln oder solche von Drittanbietern einbinden, um auf diese Weise Anwendungen zu erstellen. Es lassen sich zudem DLLs in Dbase und Paradox fuer Windows einfuegen, um etwa deren Funktionalitaet als Front-end-Anwendungen zu erweitern.

Mit Object-Pascal verspricht Borland, eine hohe Wiederverwendbarkeit, leichte Revidierbarkeit von Quelltext und Modulen sowie eine starke Performance. Der Quellcode soll zu anderen Pascal-Entwicklungssystemen kompatibel sein.

Delphi ist zwar eine neue Produktlinie, soll aber Pascal 7.0 und Turbo Pascal 7.0 nicht abloesen, sondern ergaenzen. Im Moment ist das System 16- und 32-Bit-Code-kompatibel, so dass sich mit Hilfe der kuenftigen 32-Bit-Version bisherige Anwendungen leicht fuer Windows 95 und Windows NT rekompilieren lassen. Ueber eine OS/2- Version von Delphi macht Borland keine Angaben.

Die Client-Server-Version des als Visual-Basic-Killer positionierten Entwicklungssystems wird nach Borland-Angaben schon in der naechsten Vorabversion die SQL-Links fuer Zugriffe auf Datenbank-Server wie Interbase, Oracle, Sybase, Informix sowie eine Schnittstelle fuer ODBC-Treiber enthalten. Ueber ODBC sollen auf jeden Fall Access, Excel und Btrieve unterstuetzt werden. Eine Interbase-Version mit Lizenzen fuer zwei User wird enthalten sein und Delphi dafuer das noetige Express-Link bereitstellen.

Auch die Client-Server-Version des Berichterstellungswerkzeugs "Reportsmith 2.0" und andere Team-Entwicklungs-Tools sollen bereits integriert sein, jedoch nicht in der Desktop-Version. Wer will, kann spaeter von der Desktop- auf die Client-Server- Ausfuehrung upsizen.

Wer sich zum ersten Mal mit Delphi vertraut macht, wird mit mehreren kleinen Beispielanwendungen und der Unterstuetzung eines interaktiven Tutors ("Coach") an die Software herangefuehrt. Damit weitere Tutoren und auch Experten von Drittanbietern entwickelt und eingeklinkt werden koennen, will Borland die Schnittstelle fuer Delphi in einer Dokumentation offenlegen. Die ersten Experten - Borlands "Assistenten" - sollen in der naechsten Vorabversion enthalten sein, so etwa einer, mit dem sich Vorlagen anpassen lassen. Ueber eine Art Versions-Manager, naemlich "PVCS 5.1" von Intersolv, koennen sich mehrere Teamentwickler ueber ihre Zusammenarbeit abstimmen. Dieses PVCS-System kann ein Drittanbieter auf Wunsch selbst einklinken.

Delphi ist in seinen Anspruechen an das System ebenso unbescheiden wie andere handelsuebliche Compiler: Es belegt auf der Festplatte in der Vollversion rund 50 MB. Laut Borland haelt sich dagegen der Hauptspeicherbedarf in Grenzen: Mit 4 MB soll sich die Desktop- Variante begnuegen, waehrend die Client-Server-Ausfuehrung 8 MB beansprucht.

Vorausgesetzt, dass der bis dato unbekannte Preis nicht zu hoch ausfaellt, stellt Delphi einen ernstzunehmenden Konkurrenten von Runtime-basierenden Entwicklungs-Tools wie Visual Basic und Powerbuilder dar. Auch alle C++-Entwickler duerften sich nun fragen, ob sie nicht mit Delphi schneller arbeiten koennten als mit C- oder C++-Compilern. Die Antwort auf diese Frage koennte fuer den Erfolg oder Misserfolg von Delphi ausschlaggebend werden.

Delphi kann sowohl als Ersatz fuer Visual Basic als auch zur Entwicklung von Komponenten fuer Paradox und Dbase fuer Windows verwendet werden. Borlands neue "Database Engine 2.0" liefert eine Art Bibliothek, die Delphi-Programme verwenden koennen. Der Reportwriter 2.0 stellt das Berichtsmodul fuer solche Anwendungen bereit.

Die Unterstuetzung von OLE 2.0, DDE, Binary Large Objects

(BLObs) und DLLs macht Delphi auch fuer Visual-Basic-Entwickler interessant, die modernste Komponenten benoetigen. Im Bereich der SQL-Datenbanken koennte Delphi mit Hilfe von SQL-Links und ODBC ein Erfolg werden, wenn es Borland gelingt, seine Upsizing-Strategie glaubwuerdig als erfolgreiches einheitliches Konzept darzustellen.

* Michael Matzer ist freier Autor und wohnt in Herrsching.