Firmenpolitik - auf Kosten der Anwender?

09.02.1979

Tendenziell unfreundlich ist die Reaktion vieler Anwender auf die Ankündigung der 4300 von IBM. Und einer formuliert unmißverständlich: Dies sei wohl ein Schritt näher zu der irgendwann erfolgenden rechtlichen Trennung der einzelnen IBM-Geschäftsbereiche.

Zwar wird die Leistung der nunmehr enttarnten E-Serie durchaus positiv bewertet - doch denen, die sich erst vor wenigen Monaten oder Wochen auf eine /3 oder ein System /38 verlegt haben, "stinkt" er gewaltig. Denn der Großrechner-Komfort , den die 4300 bietet, ist mit den kleinen Systemen nicht zu erreichen.

Herausstellen Muß sich erst, ob IBM via 4300 tatsächlich den Weg zur Betriebssystem-Vereinfachung gefunden hat und es in Zukunft "statt derzeit fünf bis sechs bald nur noch ein einziges Betriebssystem zu kennen gilt", freut sich einer der fünf von uns befragten EDV-Chefs. hö

Christian von Block

Leiter EDV und Organisation, Raab Karcher, München

Wir sind 370/115-Anwender - das bedeutet, daß für uns aus dem IBM-Ankündigungs-Package auch die Modellserie 4300 interessant sein könnte - wobei das kleinste Modell dieser Reihe mit 1 MB für uns nicht mehr ausreichen durfte, weil wir für das Betriebssystem bereits bis zu 500 K benötigen. Auf ein System der Serie 4300 mit 2 MB könnten wir - nach meinem derzeitigen Informationsstand - problemlos umsteigen und unsere derzeitigen Anwendungen voll übernehmen.

Durch die Reihe von Neuankündigungen innerhalb kurzer Zeit läßt sich meiner Ansicht nach der Trend erkennen, daß dem Anwender zusätzlich eine Maschine verkauft werden soll, auf der er bereits heute die Anwendungen, wie man sie in Zukunft benötigt, laufen lassen kann. Auf dem alten Rechner dagegen sollen konventionelle Batch-Anwendungen verbleiben. Die Konsequenz daraus wäre, daß der Anwender alle Programme umstellen muß, weil es künftig nur noch die Zugriffsmethode VTAM geben wird. Weil aber eine Umstellung mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen würde, vertritt IBM den Standpunkt, dem Anwender eines dieser neuen Systeme als Zweitmaschine anzubieten, auf die er nach und nach alle fertiggestellten Programme übernehmen kann.

Mir erscheint das IBM-Konzept klar zu sein: Es wird versucht, eine Software weltweit durchzusetzen, zusammen mit einer neuen Maschine, die praktisch unbegrenzt ausbaubar ist. Ein ähnliches Konzept gibt es derzeit auch bei Siemens durch die Möglichkeit, das BS2000-Betriebssystem auf allen Rechnern einzusetzen.

IBM muß heute fünf bis sechs unterschiedliche Betriebssysteme warten. Ich nehme an, daß die dafür erforderliche Kapazität frei werden soll. Es ist für den Anwender selbst heute schon schwierig genug, CICS, VSAM und dergleichen zu erlernen, was dazu führt, daß in einem EDV-Bereich nur noch Spezialisten anzutreffen sind.

Da jetzt auch vom Bereich Basisdatenverarbeitung die Aufstockung des Systems /38 auf eine Datenbank-Kapazität von 2600 MB bekanntgegeben wurde, wird meiner Ansicht nach sehr deutlich, daß sich hier zwei getrennte Profit-Center Konkurrenz machen. Irgendwann muß der Marktführer an den Kleinanwender herankommen. Der Bereich Basisdatenverarbeitung ist nun zudem in der Lage, diesen Kleinanwender ein ganzes Stück in Richtung Groß-EDV mitzunehmen, zumal hier ein Betriebssystem angeboten wird, mit dem der Anwender besser dran ist als mit DOS.

Die Gefahr besteht natürlich jetzt, daß der BD-Anwender eine bereits bestellte /38 wieder storniert, um mit einem 4300-Modell - unten angefangen - nach und nach weiterzugehen.

Ich selbst bin sehr zufriedener IBM-Kunde, auch wenn die Preise hier etwas höher liegen als bei der Konkurrenz. Durch diese neuen Systeme sehe ich eine große Chance für den Kleinanwender, jetzt endlich auch so zu arbeiten wie die "Großen".

Udo R. Vogel

Leiter der Datenverarbeitung, Canon-Copylux GmbH, Willich

Für uns sind die IBM-Neuankündigungen der letzten Zeit insofern von Nachteil, als wir vor etwa einem dreiviertel Jahr das System /3 gekauft haben. Hätten wir vorher geahnt, welche Systeme jetzt präsentiert werden, wäre der Kauf nicht zustande gekommen. Denn auf unserem System /3 eine Datenbank zu implementieren, ist so gut wie unmöglich. Wir empfinden daher die derzeitige IBM-Marktpolitik als nicht unbedingt verbraucherfreundlich.

Unsere Planung wurde derzeit' auf etwa fünf Jahre abgestimmt. Abhängig davon, wie sich das System /38 in der Praxis bewährt und ob wir unsere derzeitigen Programme dort zum Laufen bringen, werden wir in Erwägung ziehen, die /3 vorzeitig zu verkaufen und umzusteigen. Da unsere Niederlassungen über ganz Deutschland verteilt sind, legen wir großen Wert auf eine Dialogmöglichkeit, die mit dem System /3 sehr schwerfällt.

Unsere Planung hatte vorgesehen, nach den fünf System-/3-Jahren eventuell auf ein Modell der 370-Serie überzuwechseln. Wenn wir aber jetzt durch die Ankündigung der 4300-Modelle ein System bekommen könnten, das unserer Größenordnung entspricht, Datenbanken zuläßt und zudem ein gutes Dialogsystem darstellt, muß wahrscheinlich erneut überlegt werden.

Konrad Westphal

Leiter der EDV und Organisation, Heilmeier & Weinlein, München

Versucht man heute, den Bereich Basisdatenverarbeitung mit dem Bereich Groß-EDV zu vergleichen, kann man erkennen, daß im Bereich Basisdatenverarbeitung ein erheblich größerer Nachholbedarf in puncto Kapazität, Software und eleganteren Verarbeitungsmöglichkeiten bestand als in der Groß-EDV. Das neue System 4300 unterscheidet sich nicht so wesentlich von den bisherigen 370-Modellen als die /38 gegenüber der /3: Die 370-Modelle hatten bereits Datenbanken, virtuellen Speicher, Multiprogramming, bessere Dialogverarbeitung, Spoolmöglichkeiten.

Die 4300 soll eine möglichst reibungslose 1:1-Umstellung von 370-Rechnern ermöglichen. Wesentlich hierbei sind die 64 K-Chip-Technologie, die raumsparende Größe der Modelle, die Verlagerung von bestimmten Software-Funktionen in die Hardware und neue, größere Plattenspeicher, die auch an die /38 angeschlossen werden können.

Die Konsequenzen daraus könnten sein, daß sich viele 370-Anwender einen Rechner der 4300-Serie danebenstellen, um hier mehr Bildschirmanwendungen zu betreiben, während die 370 die reine Stapelverarbeitung übernimmt.

Von den Verarbeitungsmöglichkeiten her gesehen, ist jetzt ein fließender Übergang zwischen Basisdatenverabeitung und Groß-EDV geschaffen. Allerdings gibt es auch weiterhin zwei gravierende Unterschiede, die dazu zwingen, daß diese beiden Bereiche immer wieder eigene Systeme anbieten werden: Einmal das Betriebssystem, das keine schnellen Wechsel von einem zum anderen Bereich erlaubt, zum anderen die Programmiersprache, die beibehalten werden muß, weil die zahlreichen RPG-Benutzer nicht mehr auf Cobol oder ähnliches umzustellen sind.

Ich vermute, daß die Entwicklung der 4300-Serie noch nicht abgeschlossen ist. Heute wird zwar noch von einer Größenordnung wie etwa die /148 gesprochen. Dennoch wird diese Rechnerreihe auch noch die Modelle 30XX ablösen, die meiner Ansicht nach nur eine Zwischenlösung darstellten, da der Marktführer zu der Zeit auf Unternehmen wie Amdahl und Fujitsu und Itel reagieren mußte.

In drei Jahren, wenn sich unser gekauftes System /3 amortisiert hat, werden wir uns eventuell für die /38 oder auch ein Modell der Serie 4300 entscheiden.

Klaus Völkner

Leiter der Betriebswirtschaft, Dr. Bruno Lange GmbH, Berlin

Ich sehe die IBM-Neuankündigungen als weltweite Strategie an: Bei IBM wird sich irgendwann einmal - offiziell - die Basis-Datenverarbeitung abspalten, die den EDV-Einsteiger über mittlere Systeme in die Groß-EDV hineinführt. Bisher gab es eine zu große Lücke zwischen dem System 3/15 und der 370-Serie. Diese Lücke wird sehr wohl vom Bereich Groß-EDV erkannt, der mehr und mehr versucht, diesen Anwendern Alternativen anzubieten, um sie dann problemlos auf größere Systeme zu bringen.

Daß jetzt praktisch beide Geschäftsbereiche Produkte für die gleiche Anwender-Zielgruppe anbieten, liegt sicherlich daran, daß - würde alles nur von einem Geschäftsbereich angeboten - das Unternehmen zu einem Riesenkonzern auswüchse und folglich unbeweglich würde. Dem will man sicherlich vorbeugen. Erst muß allerdings der Markt mit einer entspechenden Systempolitik aufbereitet werden.

Die 8100 zum Beispiel wurde vom Großrechner-Bereich angekündigt, um den ständig wachsenden Markt des Distributed Processing nicht völlig an die Minicomputer-Hersteller zu verlieren.

Unser Unternehmen beschäftigt derzeit etwa 300 Mitarbeiter- Geplant ist, vom System /3 auf das System /38 überzuwechseln, das unsere künftigen Belange voll abdecken wird. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, daß es für Firmen, die über den Einsatz eines System /38 bereits nachdenken müssen (ob dessen Kapazität ausreicht), sinnvoller sein kann, gleich in die Serie 4300 einzusteigen. Allerdings ist es meist so, daß Anwender von Systemen des Bereichs Basis-Datenverarbeitung auch dort bleiben. Keiner wird so ohne weiteres den Aufwand auf sich nehmen wollen, seine RPG-Programme auf Cobol umzustellen und ein völlig anderes Betriebssystem in Kauf zu nehmen. Diese Abhängigkeit von einem bestimmten IBM-Bereich wird noch deutlicher durch die Ankündigung, daß das System /38 jetzt um die sechsfache Kapazität erweitert werden kann.

Interessant ist noch, daß wir geplant hatten, auf einen anderen Hersteller umzuwechseln, da wir vom System /3 weg nicht hin zur /370-Serie springen wollten. Diese Lücke wurde also gerade rechtzeitig geschlossen.

Hans-Werner Warfsmann

Leiter EDV und Organisation, AKB, Hamburg

Meiner Ansicht nach richten sich IBM mit der Ankündigung der 4300-Serie speziell an 370-Anwender, wohingegen die /38 eindeutig als Nachfolgemodell des Systems /3 angesiedelt wird.

Nachdem jedoch - soweit mir bis heute bekannt ist - das kleinere, 4300-Modell von der Leistung her in etwa mit dem System /38 zu vergleichen ist, muß der Anwender sich jetzt ganz klar entscheiden, wohin er gehen will und ob er eine Umstellung von dem Betriebssystem des Bereichs Basis-Datenverarbeitung auf das DOS des Großrechnerbereiches auf sich nehmen will.

Von Vorteil finde ich, daß jetzt auch der Bereich Basisdatenverarbeitung mit den neuen Platteneinheiten die Möglichkeit gibt, das System /38 bis hin zur Großrechnerkapazität aufzurüsten. Bislang war jeder System-/3-Anwender, dem dieses Modell auch in der größten Ausbaustufe zu eng wurde, gezwungen zum Bereich Groß-EDV und damit zu einem 370-Modell umzusteigen. Damit verbunden war zwangsläufig ein Wechsel des Betriebssysteme und der Programmiersprache.