Neue Spekulationen um Amadeus

Finanzsituation zwingt Airlines zu verstärkter Projektkontrolle

05.04.1991

MÜNCHEN/MADRID (ciw) - Die deutsche Lufthansa und Amadeus haben gegenüber der COMPUTERWOCHE Gerüchte zurückgewiesen, wonach das Amadeus-Projekt finanziell gefährdet ist. Die deutsche Airline zumindest hat nach eigenem Bekunden das diesjährige Budget für Amadeus bereits genehmigt. Das Erdinger Rechenzentrum werde - wie geplant - Ende 1991 seiner Bestimmung übergeben.

Durch einen kürzlich erschienenen Bericht in der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) haben die Spekulationen um das in Zeitverzug geratene Großprojekt neue Nahrung gefunden. Demnach steht Europas größtes computergestütztes Reisereservierungs-System (CRS), an dem die vier Gründungsgesellschaften Lufthansa, Air France, Iberia und Scandinavian Airline System (SAS) paritätisch beteiligt sind, vor einem finanziellen Desaster. Weiter hieß es daß die kleineren und finanziell schwer angeschlagenen Partner SAS (Scandinavian Airline System) und Iberia mit ihrem Ausstieg drohen, wenn keine kostensenkenden Maßnahmen ergriffen würden.

Die Skandinavier entwickeln offenbar bereits ein konkretes Szenario: Sie wollen die weitere Entwicklung des Systems am liebsten stoppen und statt dessen die Zusammenarbeit mit dem American-Airline-System Sabre über die bereits bestehende Kooperation hinaus intensivieren. Außerdem dränge SAS darauf, das Amadeus-Rechenzentrum in Erding bei München an einen Fremdbetreiber wie EDS oder IBM zu übergeben. Auch bei der Lufthansa, hieß es weiter, gewinne die Fraktion an Boden, die einen Teilrückzug aus Amadeus, zumindest aber einschneidende Maßnahmen zur Kostenreduktion anstrebe. Zahlen über die Größenordnung von Amadeus lieferte der Bericht gleich mit: Das Projekt koste 3,6 Milliarden Mark und werde frühestens in 20 Jahren den Break-even-Point erreichen.

Entscheidende Maßnahmen zur Kostenreduktion

John Herbert, Pressesprecher der Scandinavian Airline System in Stockholm, wollte die Gerüchte weder bestätigen noch dementieren. Er verweigerte vorsichtshalber jede Aussage zu dem Thema. Nicht ganz so wortkarg gab man sich bei der Lufthansa: "Wir stehen weiterhin unverändert zu dem Projekt - und zwar zu Amadeus selbst und zu der Kooperation mit Sabre", erklärte ein Sprecher. Die Finanzierung des Lh-Anteils am diesjährigen Amadeus-Budget sei bereits vom Aufsichtsrat genehmigt. "Wir haben auch keinen Zweifel, daß es sich bei den übrigen Airline-Partnern genauso verhält", widersprach man in der Frankfurter Zentrale Ausstiegsgerüchten um Iberia und SAS.

Miguel Vermehren, dem Sprecher der Amadeus Holding in Madrid, blieb genauso wie seinem Stockholmer Kollegen offenbar nichts anderes übrig, als zu mauern: "Kein Kommentar zu den Spekulationen in der Presse."

Für Bruno Baumers, Geschäftsführer Operations im Amadeus-Rechenzentrum, steht hingegen felsenfest, "daß Amadeus natürlich weiterhin gebraucht wird". Allerdings seien die vier Partner vom Golfkrieg unterschiedlich stark betroffen und von daher die Interessenslage sowie die Wettbewerbs-situation verschieden. Deshalb differiere bei den Airlines die Einschätzung der zu ziehenden Konsequenzen. Einig sei man sich nur über die Notwendigkeit zur Kostenreduktion. "Gleichwohl haben alle Gesellschaften ihren Anteil am diesjährigen Amadeus-Budget zugesagt", betont er.

SAS und Iberia sind jedoch nicht nur wegen ihrer finanziell angespannten Lage so erpicht auf Einsparungen, sondern auch, weil sie offenbar nicht mehr einsehen, warum sie - zumindest zur Zeit - die gleichen Kosten zu tragen haben wie die großen Partner. Schließlich ziehen diese wegen ihrer breiteren Kundenbasis auch den größeren Nutzen aus Amadeus.

"An unserer Produktionsreife zweifelt niemand mehr. Das wichtige Problem sind die Kosten", gibt der RZ-Leiter zu. Das Fahrpreiser-mittlungssystem (Fare-Quote-System) sei fertiggestellt und werde am 15. April 1991 zuerst für Air France bereitstehen. Mitte dieses Jahres soll dann der erste Teil-Cutover des Reservierungssystems stattfinden. "Dann stehen den Reiseveranstaltern mit den Produkten Flug- und Sitzverfügbarkeit 40 Prozent unserer Funktionalität zur Verfügung", freut sich Baumers. Hard- und Software befinden sich zur Zeit im Testbetrieb. "Das funktioniert bereits, und das Gesamtpaket wird Ende dieses Jahres übergeben."

Allerdings scheint auch Baumers nicht zu wissen, wie Einsparungen durch die von SAS angedachten Änderungen möglich sind: "Wir von Amadeus akzeptieren natürlich die Vorgaben unserer Eigner, aber die müssen dann auch eindeutig festgelegt sein." Die im SZ-Bericht zitierte Wirtschaftlichkeits-berechnung kann Baumers nicht nachvollziehen. Man setze bis zum Erreichen des Breakeven-Punktes einen sehr viel früheren Termin an, der "garantiert vor dem Jahr 2000" liege.

Im Outsourcing sieht er auch deshalb keine Alternative zum jetzigen Konzept, weil Amadeus bereits ein ausgelagertes Dienstleistungsunternehmen sei, das den Eignern ein globales Reisereservierungs-System zur Verfügung stelle. Außerdem glaubt der RZ-Leiter nicht, daß ein anderer Betreiber den Job billiger erledigen kann. Darüber hinaus müßten sich die beteiligten Fluggesellschaften die Frage stellen, ob so hochsensible Daten in die Hände von Dritten gehören: "So etwas tut kein Unternehmen, für das die DV eine so zentrale Bedeutung hat. Ein Grund für die Entwicklung von Amadeus war ja gerade der Wunsch der Airlines nach einer stärkeren Kontrolle ihrer Vertriebswege."

Outsourcing stellt keine Alternative dar

Möglichkeiten zur Kosteneinsparung sehen Insider nur in der Kooperation mit dem AA-Reservierungssystem Sabre. Der - noch nicht rechtskräftige Vertrag - sieht jedenfalls die gemeinsame Entwicklung von zusätzlichen Funktionen vor. Allerdings hält es Baumers nicht für möglich, Amadeus problemlos durch Sabre zu ersetzen - zumindest nicht bei gleicher Funktionalität. "Dazu bedarf es eines Softwareprojektes in ähnlicher Größenordnung, wie Amadeus sie aufweist."

Die Aussagen der Airline-Vertreter zeigen allerdings eins: Der Countdown für Amadeus läuft - oder - wie es ein Insider formuliert: "Für die Beteiligten gibt es kein Zurück mehr." Über die Investitionen ist zumindest für 1991 entschieden und zum Teil sind bereits beträchtliche Summen geflossen. Allerdings fällt auf, daß bisher nichts über die Budgetplanungen für die nächsten Jahre verlautete.

Kein Zurück mehr: Der Countdown läuft

Künftig scheint drastische Kostensenkung angesagt. Das Branchenblatt Touristik-Report zitiert in diesem Zusammenhang Lufthansa Marketing-Vorstand Falko von Falkenhayn mit den markigen Worten: "Wir werden bei Amadeus dramatisch einsparen."

Unklar bleibt also, in welche Hände Amadeus fällt, wenn die Eigner die Kosten nicht in den Griff bekommen und sowohl SAS als auch Iberia - finanziell weiterhin mit dem Rücken an der Wand - aus dem Projekt aussteigen. Lufthansa und Air France werden es sich kaum leisten können, die Zahlungen der anderen anteilig zu übernehmen.