E-Commerce/Neue Wege im Internet-Banking

Finanzdienstleister müssen sich auf neue Zielgruppen einstellen

15.10.1999
Banken sind auch klassische Informationsdienstleister. Deshalb sind sie darauf angewiesen, ihre IT-Systeme und -Anwendungen immer auf dem neuesten Stand zu halten. Über das Internet versuchen sie, ihre Kunden noch enger an sich zu binden. So weit sind die Institute allerdings noch nicht, wie Winfried Gertz* von den Auguren erfahren hat.

Den klassischen Filialbanken laufen die Kunden weg. Nach Angaben des Instituts für Bankinformatik und Bankstrategie an der Universität Regensburg (IBI) ist in Deutschland die Zahl der Online-Konten von gut einer Million 1995 auf knapp vier Millionen 1998 gestiegen. Laut den Marktforschern von Forrester Research, Boston/USA, soll die Zahl der von europäischen Banken registrierten Surfer auf drei Millionen im nächsten Jahr anwachsen. Die Geldinstitute müssen sich also etwas einfallen lassen. Wie die US-amerikanischen Börsenanalysten Booz, Allen & Hamilton erwarten, fällt die Bankfiliale als Vertriebsweg demnächst sogar hinter Geldautomaten und interaktives Fernsehen zurück. Klartext wird bei der Deutschen Bank gesprochen: Wie es in einem vertraulichen Papier heißt, droht sogar die Gefahr, langfristig zu einem "Abschreibungsobjekt" zu werden.

Interessant ist, wie sich das Internet bei den verschiedenen Bankinstituten als neuer Vertriebsweg etabliert hat. Obwohl Sparkassen und Genossenschaftsbanken beim Online-Banking, also der traditionellen elektronischen Variante via T-Online oder andere Provider, klar den Ton angeben, haben sie den Einstieg ins Internet-Banking verpaßt. Beträgt ihr Anteil am Online-Banking etwa 33 Prozent, macht er beim Internet-Banking 25 Prozent aus. Besser in Szene setzen sich Direktbanken, die immerhin einen Anteil von 13 Prozent verbuchen, und insbesondere Universal- und Privatbanken, die das Internet-Banking mit 43 Prozent deutlich dominieren. Obwohl ihr Anteil noch relativ gering ausfällt, profitieren Direktbanken von dem Bedürfnis ihrer Kunden, nicht nur die Kontoführung online abzuwickeln, sondern auch Börsentransaktionen vorzunehmen und sich die erforderlichen Informationen selbst aus dem Netz zu beschaffen. "Wer sich fürs Internet-Banking entscheidet", so Christian Nolterieke, Geschäftsführer von Forit, "erwartet von seiner Bank, daß sie ihn interaktiv berät, Kredite abwickelt und den Erwerb von Versicherungsleistungen übernimmt."

Direktbanken gewinnen ihre Klientel von den traditionellen Banken. 60 Prozent der Kunden, die Internet-Banking favorisieren, haben als Hausbank ein anderes Institut. Wie Forit ermittelte, können Sparkassen sowie Universal- und Privatbanken nur rund 15 Prozent Internet-Kunden von ihren Konkurrenten loseisen.

Um Aktien zu erwerben oder abzustoßen, nutzen nahezu 40 Prozent der Internet-Banking-Kunden heute das Netz. In den Fondshandel eingestiegen sind bereits 25 Prozent. Daß immer mehr Kunden auf den Bankbesuch verzichten und statt dessen dem Internet vertrauen, belegt eine andere Zahl: 30 Prozent der Internet-Banking-Nutzer können sich vorstellen, innerhalb der nächsten zwei Jahre online mit Wertpapieren zu handeln oder sich beraten zu lassen.

Mit ihrem Internet-Angebot liegen Sparkassen und Genossenschaftsbanken derzeit deutlich zurück. Obwohl rund 80 Prozent der Geldinstitute die Kontoführung im Internet anbieten und ihre Produkte online präsentieren, kann der Kunde nur bei jeder fünften Bank über das Netz mit Aktien und Fonds handeln oder Versicherungen abschließen. Wie Forit ermittelte, beabsichtigen indes etwa 70 Prozent der Kreditinstitute, diese Leistungen bereits im nächsten Jahr im Internet anzubieten.

Um im Internet-Banking zu überleben, rät Forit den Kreditinstituten zu einer differenzierten Kundenstrategie. Neben einer klaren Segmentierung und Priorisierung der Kundschaft müßten die Banken jeden einzelnen Kunden ins Visier nehmen. Nolterieke: "Beim Internet-Banking gilt es, jeden Kunden individuell zu betreuen."

Dabei ließen sich vier Kundentypen herausfiltern. Demnach bilden die "treuen Kontoführer" mit 42 Prozent Anteil das größte Segment. Als traditionelle Nutzer des Online-Banking bevorzugen sie diese Variante aus Bequemlichkeit. "Konservative Anleger", dazu gehört etwa jeder dritte Kunde, nutzen ebenfalls das Online-Banking, sind aber zunehmend unzufrieden und wollen zumindest einen Teil ihrer Geldanlage kostengünstig per Internet abwickeln.

Ganz anders dagegen "junge Börsianer" und "anspruchsvolle Trader". Mit jeweils rund 13 Prozent Marktanteil wenden sie sich bewußt von den eingeschränkten Möglichkeiten des Online-Banking ab und wenden sich intensiv dem Internet-Banking zu. Der junge Börsianer ist unter 40, verfügt über ein geringes Anlagevolumen und bringt dem Internet-Angebot großes Vertrauen entgegen. Dagegen möchte der anspruchsvolle Trader das neue Medium intensiv für Börsentransaktionen nutzen. Ausgestattet mit einem relativ hohen Anlagevolumen, erwartet er ein attraktives Angebot von seiner Bank.

Die Position einer Internet-Hausbank anstreben

Prinzipiell, so Forit, stehen den einzelnen Banktypen verschiedene Optionen offen, um einen langfristigen Markterfolg im Internet zu erzielen. Sparkassen und Genossenschaftsbanken hätten die Wahl zwischen der Gründung einer eigenen Direktbank, um ihren Rückstand aufzuholen, und der Neupositionierung als regionale Netzwerkbank.

Universal- und Privatbanken sollten ihre Stärken in der Beratungsqualität und Markenidentität insbesondere gegenüber vermögenden Kunden nutzen, um ihre Klientel noch stärker über das Internet an sich zu binden. Direktbanken schließlich stünden vor der Entscheidung, sich als kostengünstiger Spezialist für Transak- tionsabwicklung und Informa- tionsgewinnung zu profilieren oder über ein breites Angebot inklusive eines persönlichen Beratungsservices die Position einer "Internet-Hausbank" anzustreben.

Daß sich im Internet völlig neue Bankkonzepte realisieren lassen, zeigt E-Route (www.eroute.com) und E-Loan (www.e-loan.com). 1998 von sechs führenden kanadischen Finanzdienstleistern gegründet, hat E-Route ein neues Konzept zur Bezahlung von Rechnungen im Internet erstellt. In der Partnerschaft mit Microsoft entwickelte E-Route eine Plattform, über die Banken, Rechnungssteller und Kunden die Erstellung, Übermittlung und Bezahlung von Rechnungen organisieren. Das auch "Bill-Presentment" genannte Verfahren wird derzeit in einem Pilotprojekt getestet und soll in wenigen Monaten auf dem kanadischen Markt sein.

Über die Biller Integration Software (BIS) übermitteln Unternehmen ihre Rechnungsdaten an E-Route, wo sie zuerst konsolidiert und an den Kunden weitergeleitet werden. Per Browser kann er den Rechnungsstatus auf der Website seiner Bank verfolgen und offene Rechnungen über seine Konten begleichen. Rechnungssteller wiederum können über E-Route jederzeit den Status offener und eingegangener Forderungen ermitteln.

Die Erfolgsfaktoren von E-Route liegen auf der Hand: Viele Finanzinstitute versammeln sich unter einem Dach und organisieren ihre Transaktionen über einen einheitlichen Standard. Der Vorteil: E-Route bietet ihnen ein Instrument der Kundenbindung - sowohl auf seiten der Privatkunden als auch auf der der Rechnungssteller. Weil sie immer wieder auf die Website der Bank gelangen, sind sie relativ leicht für andere Produkte (Cross-Selling) zu gewinnen. Kunden genießen den Vorteil eines effizienten, übersichtlichen und sicheren Systems, das sich als Management-Tool für die Rechnungsabwicklung einsetzen läßt. Weil das System jederzeit einen Überblick über den Kontostand sowie den Status offener Rechnungen verschafft, läßt sich der Cash-flow des Kunden besser managen. Für den Rechnungssteller schließlich ist E-Route in mehrfacher Hinsicht attraktiv: Für Erstellung, Druck, Versand und Verfolgung von Rechnungen kann er signifikante Summen einsparen.

Bearbeitungsprozeß ohne persönlichen Kontakt

Ein anderes Erfolgskonzept ist E-Loan, ein 1997 in den USA gestarteter Internet-Service zur Vermittlung von Hypotheken. Inzwischen bietet E-Loan rund 35000 Baufinanzierungsprodukte von 60 Top-Hypothekenfirmen an und hat die Branchendynamik in den USA entscheidend beeinflußt. Für den Kunden gestaltet sich der Erwerb einer Hypothek denkbar einfach: Er stellt elektronisch einen Antrag mit Angaben zu seinem Risikoprofil, einer gewählten Schuldenobergrenze und den favorisierten Rückzahlungskonditionen und erhält dann täglich aktualisierte, auf ihn zugeschnittene Angebote.

Der Vorteil ist enorm: Mehrere Tools zeigen dem Interessenten automatisch, wie aussichtsreich sein Antrag ausfällt. Um seine Kreditwürdigkeit zu testen, stehen "Pre-Qualification" oder "Pre-Approval" zur Verfügung. Nachdem der Kunde einen simplen Fragebogen ausgefüllt hat, erhält er online eine Bestätigung seiner Kreditwürdigkeit, ohne die er keine Hypothek beantragen könnte. Über "Rate Watch" erhält er einen konkreten Hinweis auf eine im Markt offerierte Hypothek, die auf sein Profil paßt. "Mortgage Monitor" erlaubt Vergleiche zwischen einer bestehenden Hypothek und vergleichbaren Angeboten; "Home Valuations" vermittelt einen Überblick über real erzielte Immobilienpreise nach Gebiet und Gebäudetyp, und "Realtor Tools" erleichtert die Bewertung von Immobilien.

E-Loan ist eine erhebliche Erleichterung für den Kunden: Er weiß seine finanzielle Situation richtig einzuordnen und wird aktuell über das für ihn interessante Angebot informiert. Der Bearbeitungsprozeß läuft ohne jeden persönlichen Kontakt ab - positiv, was den Aspekt der Zeitersparnis angeht. Den angeschlossenen Finanzdienstleistern und Banken bietet E-Loan einen nationalen Vertriebskanal, der ihnen ohne eigenen Aufwand eine hinreichende Zahl von potentiellen Kunden akquiriert. E-Loan verdient pro abgeschlossenen Vertrag auf Kommissionsbasis.

Angeklickt

Dem Internet-Kunden gehört in der Bankenwelt die Zukunft. Doch wie sind die deutschen Kreditinstitute darauf vorbereitet? Und vor allem: Welche Banken sind Schrittmacher auf dem Weg ins digitale Jahrhundert? Das Internet-Banking-Geschäft wird sich bis zum Jahr 2002 mehr als verzehnfachen. So lautet die Prognose der Frankfurter Forit GmbH (www.forit.de), eines auf Internet Business Research spezialisierten Beratungshauses. Forit hat eine Studie zum Internet-Banking vorgelegt. Die Experten gehen in Deutschland von aktuell etwa 4,2 Millionen Online-Banking-Konten im Privatkundenbereich aus und rechnen mit rund 350000 Konten, die speziell fürs Internet-Banking errichtet wurden. Bis 2002 soll die Quote auf etwa 4,1 Millionen Konten steigen; das entspräche einem Anteil von 35 Prozent an der Gesamtzahl von 11,8 Millionen Konten, die dann als Online- oder Internet-Konto betrieben werden.

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.