FHT Esslingen: Die Praxis immer im Blick

16.03.2001
Von Kristina Rupprecht
Der Fachbereich Informationstechnik der Fachhochschule für Technik (FHT) Esslingen setzt einerseits auf aktuelles technologisches Know-how und andererseits auf den intensiven Austausch mit Wirtschaft und Industrie. Das Sammeln von Auslandserfahrungen spielt dabei eine große Rolle.

Der berüchtigte Praxisschock ist für die Absolventen der FHT Esslingen ein Fremdwort. Wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben, dann liegen bereits mindestens zwei Praxissemester in Wirtschaftsunternehmen und die ebenfalls in der Industrie erstellte Diplomarbeit hinter ihnen. ”Die enge Verbindung zur Wirtschaft ist ein Markenzeichen der Fachhochschulen”, erklärt Hans Martin Gündner, Dekan im Fachbereich Informationstechnik. Schon vor dem ersten Ausflug in die betriebliche Praxis, der für das dritte Fachsemester eingeplant ist, besuchen die Studierenden Blockkurse über Betriebssoziologie. Auch der zweite Praxisteil im sechsten Semester wird durch vorbereitende Kurse – beispielsweise über Definition und Management von Projekten – eingeleitet. Darüber hinaus bietet das Hauptstudium Kolloquien, zu denen Vertreter aus der Industrie eingeladen sind, um über ihre Erfahrungen zu referieren. Daraus entwickeln sich dann sehr schnell Diskussionen über aktuelle Themen und Berufsbilder.

Erst 1996 wurde der Fachbereich Informationstechnik an der FHT Esslingen gegründet. Er entstand durch die Zusammenlegung der beiden bereits bestehenden Fächer Nachrichtentechnik und technische Informatik. Damit wurde der engen Verzahnung und der gut funktionierenden Zusammenarbeit der beiden Fachbereiche organisatorisch Rechnung getragen. Heute umfasst die Informationstechnik drei Studiengänge: Nachrichtentechnik, technische Informatik und Softwaretechnik. Das Grundstudium in diesen Fächern ist während der Semester eins bis drei identisch. Die Studierenden behalten daher längere Zeit die Möglichkeit, ihre ursprüngliche Studienwahl zu überdenken und gegebenenfalls ohne Zeitverlust zu korrigieren. Mit den 26 Professoren, die am Fachbereich lehren, herrscht momentan ein Zahlenverhältnis, bei dem auf einen Professor zirka 28 Studenten kommen – ein Wert, von dem die meisten Universitäten nur träumen können. Allerdings erhalten angesichts der enormen Nachfrage längst nicht alle Bewerber einen Studienplatz.

”Im Augenblick ist die Nachfrage nach dem Informatikstudium sehr groß, und das bedeutet, dass wir zum abgelaufenen Wintersemester bereits bei einem Notendurchschnitt von zwei für unsere drei Studiengänge die Grenze ziehen mussten”, so Gündner. Im Sommersemester sei die Bewerberzahl dagegen deutlich niedriger, da komme auch jemand zum Zuge, dessen Durchschnitt um die Note drei liege. Derzeit nimmt die FHT Esslingen an einem Ausbauprogramm Informationstechnik der Landesregierung Baden-Württemberg teil. Dabei sollen insgesamt sechs zusätzliche Professorenstellen besetzt werden. Allerdings sind vier davon auf fünf Jahre befristet. Danach muss die Hochschule wieder allein über ihr weiteres Schicksal entscheiden. Orientierung an den neuesten Trends der IT wird an der FHT Esslingen großgeschrieben.

Hans Martin Gündner
Hans Martin Gündner

Das Hauptstudium der Softwaretechnik befasst sich unter anderem mit Internet-Technologie und Netzwerkgestaltung, sowohl im Form von internationalen als auch von Firmennetzen. Wie sich Computersysteme dem Menschen gegenüber darstellen, beispielsweise durch graphische Oberflächen, das ist ein weiteres wichtiges Thema. Auch die technischen Hintergründe von Multimedia und virtueller Realität nehmen einen großen Raum ein. ”Der übergeordnete Gesichtspunkt ist dabei, in allen Studiengängen mit der Komplexität von Systemen fertig zu werden”, betont der Dekan.

Auch auf internationale Erfahrungen wird großer Wert gelegt. Die schwäbische Fachhochschule hat derzeit rund 65 Kooperationspartner weltweit. Mehr als die Hälfte der Studenten geht zumindest für ein Praxissemester ins Ausland. Favoriten sind im Augenblick Singapur und die USA. Im Rahmen von ECTS (European Credit Transfer System) ist es interessierten Studenten auch möglich, Doppelabschlüsse zu machen. Hierfür besteht beispielsweise eine Kooperation mit französischen Hochschulen. Im Zusammenhang mit der zunehmenden globalen Ausrichtung stehen auch die Überlegungen zu neuen Studienabschlüssen. Das deutsche Diplom ist im Ausland nur schwer vermittelbar. ”Im englischsprachigen Ausland kriegen Sie ein Diplom, wenn Sie in der Volkshochschule einen Kochkurs besucht haben,” kommentiert Gündner ironisch. ”Unser ´Diplom´ können daher nur Fachleute richtig einordnen.”

Die Schaffung eines Bachelor-Studienganges in Esslingen ist vorgesehen. Über die genaue Form wird allerdings noch nachgedacht. ”Den Bachelor zu ermöglichen macht nur dann Sinn, wenn wir hinterher ein Aufbaustudium als Master-Studiengang anbieten können”, gibt Wissenschaftler Gündner zu bedenken. Bisher kommen die Mehrzahl der Absolventen allerdings in Betrieben der Region unter. Die Studenten der FHT Esslingen stammen überwiegend aus der Umgebung – innerhalb eines 30 oder 40 Kilometer Radius – und sie bleiben auch nach dem Abschluss zu 70 bis 80 Prozent hier.

Vor diesem Hintergrund ist es eher die Nachwuchssituation der FHT selbst, die dem Dekan Sorgen bereitet. Verglichen mit der Wirtschaft werden hier zu geringe Gehälter gezahlt. Daher setzt man in Esslingen auf andere Anreize: ”Wir versuchen über Lehraufträge die Leute zu interessieren und ihnen zu vermitteln, dass Lehre auch eine Menge Spaß machen kann und dass die Freiheitsgrade bei uns relativ hoch sind”, meint Gündner, ” man ist stärker selbstbestimmt als an vielen Stellen in der Industrie.” Eine Besonderheit im Lehrangebot der FHT ist das so genannte Esslinger Modell.

”Wir haben ungefähr vor fünf Jahren angefangen, Schüler und Lehrer hierher an die Hochschule zu holen und ihnen in den Klassen 12 und 13 Informatikunterricht zu erteilen”, erzählt der Dekan. Dabei lernen sie auch moderne Sprachen wie C, C++ und Java. In Klasse 13 erarbeiten die Schüler dann gemeinsam ein Projekt, das aus Hardware und Software besteht. Dabei realisieren sie beispielsweise eine rechnergesteuerte Wetterstation, die in der Lage ist, ihre Messdaten per Funk an einen PC zur Auswertung zu übermitteln. Ziel des Esslinger Modells ist insbesondere die langfristige Aus- und Weiterbildung der Lehrer. Mittlerweile wurde das Angebot ergänzt, so dass nun Schüler der Mittelstufe ebenfalls angesprochen werden. Sie können in den Sommerferien an der FHT Programmierkurse absolvieren.

Eine weitere Art der Jugendförderung ist das Computer Clubhouse. Vorbild hierfür ist das Computer Clubhouse am Massachusetts Institute of Technology (MIT), eine Einrichtung, die Zehn- bis Sechzehnjährige an die Technik heranführen soll. Diese Idee hat die FHT Esslingen übernommen und bietet nun Unterricht im Umgang mit dem Internet, Bildbearbeitung und die Erstellung von Druckerzeugnissen an. ”Das Projekt wird auch sozial betreut”, berichtet Gündner, ” hier im Hause befindet sich die Fachhochschule für Sozialwesen, und deren Absolventen arbeiten mit.” Von den Schülern die an den Projekten teilgenommen haben, ist ein überproportionaler Prozentsatz daran interessiert, später an der FHT zu studieren. Die Ziele der FHT Esslingen für die nächsten Jahre liegen vor allem im Ausbau der Softwaretechnik. Dabei sollen insbesondere Anwendungen aus der Wirtschaft berücksichtigt werden. Der Schwerpunkt des Studiums wird sich dann vom rein technischen Aspekt stärker in Richtung Internet und E-Commerce verlagern. Vorschlag für Bildunterschrift: Hans Martin Gündner erhielt 1999 den Landeslehrpreis des Landes Baden-Württemberg.