Wir sitzen alle im selben Boot - wirklich?

Falle "Wir-Ideologie"

27.12.2011
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Bei einer steifen Brise bricht der "Sozialkitt" weg

In Boom-Zeiten ist das kein Problem. Denn dann ist genug zum Verteilen da. Anders ist dies in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Oder wenn das Unternehmen aufgrund von Marktveränderungen vor "harten" Einschnitten steht. Dann zeigt sich: Die Führung jedes Unternehmens unterliegt auch Sachzwängen, denen sie sich nicht entziehen kann.

Für die meisten Mitarbeiter ist diese Erkenntnis nicht neu. Sie erachten den Appell an das kollektive WIR ohnehin als Führungsrhetorik und die glatt gebürsteten (Führungs-)Leitlinien sowie Mitarbeiterpostillen entlocken ihnen nur ein müdes Gähnen. Denn sie wissen: Was im Unternehmensalltag letztlich zählt, ist Leistung ... und das, was unter dem Strich übrig bleibt.

Für manche Mitarbeiter ist das Wegbrechen des Sozialkitts in Krisen- oder Umbruchzeiten aber eine Desillusionierung. "Haben unsere Chefs nicht gesagt, dass ...?" "Steht in unseren Leitlinien nicht ...?" Sie fühlen sich verraten und verkauft. Also gehen sie innerlich auf Distanz zu ihrem Arbeitgeber, was auch ihre künftige Arbeitshaltung prägt.

Ein tragfähiges Fundament schaffen

Deshalb sollten Führungskräfte im Führungsalltag möglichst selten an das kollektive WIR appellieren. Statt diese verschleiernde Führungsrhetorik zu gebrauchen, sollten sie im Gespräch mit ihren Mitarbeitern klar herausarbeiten:

  • Welche gemeinsamen Interessen haben wir und wo divergieren diese? Und:

  • Welche Interessen lassen sich (nur) unter bestimmten Voraussetzungen unter einen Hut bringen?

Dann können sie leichter ein solides Fundament für eine Zusammenarbeit legen, die auch in schwierigen Zeiten trägt. Denn die Mitarbeiter spüren: Mein Chef ist ehrlich. Er verschweigt uns zum Beispiel nicht, dass das Erzielen von Gewinn zu den undiskutierbaren Zielen des Unternehmens zählt. Er akzeptiert aber auch, dass meine Ziele teils andere sind seine und die des Unternehmens. Und er versucht die verschiedenen Interessen - soweit möglich - unter einen Hut zu bringen.

Also sind die Mitarbeiter zwar enttäuscht, wenn ihr Vorgesetzter ihnen zum Beispiel verkündet: "Tut mir leid, unsere Erträge sind eingeknickt. Deshalb kann ich nicht ..." Oder: "Wir müssen unsere Arbeit neu strukturieren. Deshalb muss ich auch Ihnen neue Aufgaben übertragen." Dies belastet aber nicht ihre Beziehung zu ihrem Vorgesetzten (sowie zum Unternehmen). Denn er war ihnen gegenüber ehrlich und hat ihnen nicht ein X für ein U verkauft. (oe)

Kontakt:

Der Autor Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die fast 50 Trainer, Berater und Coachs arbeiten, und Autor des "Change Management Handbuch" (Cornelsen Verlag). Tel.: 07251 989034, E-Mail: info@kraus-und-partner.de