Der PCM-Markt

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28.08.1981

Fremdgehen ist verlockender denn je. Noch Mitte der 70er Jahre standen DV-Anwender mangels Alternativen in Treue fest zu IBM. Mit der ersten deutschen Amdahl-Installation beim Garchinger Max-Planck-Institut im Dezember 1976 kam der Markt der IBM-kompatibler Großrechner hierzulande zunächst nur zögernd in Bewegung. Knapp fünf Jahre nach dem "Sündenfall" können die sogenannten "Plug Compatibel Manufacturers" (PCM) immerhin auf mehr als einhundert ausgelieferte Maschinen verweisen. Kostenbewußte Anwender greifen immer häufiger zu preisgünstiger Austausch- und Beistell-Hardware. Oft bleibt ihnen gar nichts anderes übrig: Der Marktführer kann nicht liefern.

Die PCM-Industrie begann ihre Geschichte im Jahre 1969 zu schreiben: Gene Amdahl, der als Top-Konstrukteur in den Menlo-Park-Laboratorien der IBM maßgeblich an der Entwicklung der Serie /360 beteiligt war, kehrte "Big-Blue" den Rücken, um sich auf eigene Rechner-Beine zu stellen. Zwei Jahre später gründete der IBM-Fellow seine eigene Company und baute die "schnellste und beste 360, die es je gab", wie DV-Insider noch heute schwärmen. Vier Jahre gingen ins Land, bevor seine erste V/6-Maschine jenseits des großen Teiches installiert wurde. Amdahl hatte den Markt der 370/168 im Visier.

Der Newcomer konnte leistungsfähigere und modernere Hardware zu einem wesentlich niedrigeren Preis anbieten, als vergleichbare Rechner der IBM kosteten. Grund: Im Systempreis waren keine Software-Entwicklungskosten versteckt - die Anwender fuhren weiterhin IBM-Programme. Dies hat den PCMs, nicht unverdient, das Image der "Trittbrettfahrer" eingebracht.

Die Amdahl-Rechnung ging gleichwohl auf. Durch die Nadelstiche des ungetreuen Sohnes wachgerüttelt, reagierte der Marktführer mit einer drastischen Preisreduzierung seiner Hardware. Dennoch lockten die ersten Erfolge des Ex-IBM-Fellows weitere Anbieter auf den PCM-Trip. Mit der Itel Corporation entschloß sich ein Unternehmen in den Neu-Markt einzusteigen, das bis dahin im Leasinggeschäft mit IBM-Systemen tätig war. Im Herbst 1976 brachten die Itel-Mannen unter der Bezeichnung "Advanced System" (AS) ihre erste IBM-kompatible Rechnerfamilie auf den Markt. Die ersten Modelle baute der US-Halbleiterhersteller National Semiconductor. Spätere größere Maschinen (ab AS/6) lieferte die japanische Hardware-Schmiede Hitachi. Operationsfeld für Itel war anfangs der 370/148- und 370/158-Markt unterhalb der Amdahl-Nische. Der Einstieg gestaltete sich zunächst ebenso erfolgreich wie bei Amdahl. Das dicke Ende sollte nachkommen.

Mit der Ankündigung ihrer Produktserie 4300 schien IBM die PCM-Welt aus den Angeln zu heben. Gegenüber vergleichbaren Vorgänger-Modellen der Serie 370 präsentierten sich die technologisch eher evolutionär entwickelten Systeme als wahre Billig-Macher: Aus Anwendersicht brachten sie eine Verbesserung des Preis-/Leistungsverhältnisses um 50 Prozent. Das hatte es bei IBM noch nicht gegeben. Außerdem senkte der blaue Riese die Wartungskosten und führte nach einer Zeit der Langfrist-Bindungen den 24-Monats-Vertrag ein. Bei derartig massiver Ellbogenpolitik blieb Itel aus Liquiditätsgründen nichts anderes übrig, als das Handtuch zu werfen. Neu ins Rennen gekommene PCMs wie die von Amdahl-Sohn Carl gegründete Magnuson Ltd., Cambex oder IPL mußten ihre Konzepte überdenken.

Angesichts der vordergründig günstigen IBM-Preise (der Ausgleich für IBM wurde durch höhere Softwarekosten geschaffen) scheuten potentielle PCM-Interessenten zunächst den Anlagenkauf. Sie zogen statt dessen relativ kurzfristige Leasingverträge den PCM-Angeboten vor. Auch bei vielen Amdahl-Kunden führten Preissenkungen bei den 303X-Modellen sowie Spekulationen über die H-Serie zu äußerster Zurückhaltung. Liquiditäts- und Ertragseinbußen waren die Folge. Nach der Itel-Pleite übernahm deren Lieferant National Semiconductor die PCM-Aktivitäten seines früheren OEM-Kunden. Die eigens hierfür gegründete Division tauften die Halbleiter-Bosse auf den Namen "National Advanced Systems" (NAS). Das Itel-Debakel hatte indes Folgen: Die PCM-Anbieter mußten einen erheblichen Vertrauensschwund hinnehmen.

Wie Umsatz und Installationszahlen ausweisen, hat sich die PCM-Industrie vom Konter des blauen Riesen inzwischen weitgehend erholt. Auf rund acht Milliarden Dollar weltweit wird derzeit der Umsatz IBM-kompatibler Anbieter geschätzt. Allein in Deutschland schossen die Installationen innerhalb von vier Jahren von zwei auf 115 massiv in die Höhe. Zwar liegt der Marktanteil in der von den PCMs bedienten Leistungsklasse bei nur einem Prozent. Glaubt man jedoch dem PCM-Profi Theo Lüscher von National Advanced Systems, so macht der Anteil der Software- und Steckerkompatiblen in ihrer eigentlichen Domäne (Rechner ab 2,5 Millionen Instruktionen pro Sekunde) mittlerweile rund ein Achtel des IBM-Kuchens aus. Teilten sich noch vor drei Jahren Amdahl und Itel/NAS den deutschen Markt, so sind mit Nixdorf, Siemens und BASF drei weitere Anbieter hinzugekommen

Ab 1. Oktober will auch die bisher vorrangig in den USA agierende Magnuson den hiesigen PCM-Boden beackern. Eine erste Testmaschine ist bereits bei der Lübecker Storebest GmbH & Co. installiert. Auch US-Anbieter Cambex zeigt aufkeimende Deutschland-Ambitionen: Die Software AG hat seit kurzem Modelle dieses Herstellers als dedizierte Datenbank- und Back-up-Maschinen im Angebot. Das Darmstädter Softwarehaus sieht sich selber nicht als PCM, sondern benutzt den Rechner vielmehr zur Unterstützung des eigenen Software-Vertriebs. Vier Installationen können die Adabas-Väter bereits vorweisen.

Bei den derzeit in Deutschland installierten 115 PCM-Anlagen (per 1. 7.1981, siehe Grafik), hält NAS mit 47 Maschinen die Spitzenposition. Gemessen am installierten Wert bezeichnet sich Amdahl jedoch mit seinen größeren Anlagen als "mindestens ebenbürtig". Nur wenige User IBM-kompatibler Systeme können bisher als reinrassige PCM-Fahrer angesehen werden: Rund 90 Prozent sämtlicher Maschinen stehen in Mixed-Hardware-Anwendungen.

Je größer ein DV-Benutzer, desto wahrscheinlicher ist, daß er zu seinen (IBM-)Großrechnern eine PCM-Maschine stellt.

"In letzter Zeit rennen wir geradezu offene Türen ein", bestätigt NAS-Chef Dieter Frank. Die Unternehmen seien heute in der Phase einer gesamtwirtschaftlichen Rezession gezwungen, auch bei der Hardware den Rotstift anzusetzen. Mittlerweile baue sich auch in den Chef-Etagen das bekannte "Daimler-Syndrom" ("Wir fahren nur IBM") weitgehend ab.

Eine weitere Erklärung für steigende PCM-Erfolge liefert das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Diebold: Das Vordringen der Mikroelektronik komme der PCM-Industrie zusätzlich entgegen. Dezentrale Organisation der DV-Systeme werde dadurch oft erst ermöglicht.

In der von den PGMs bedienten Leistungsebene zeichne sich ein Trend zu funktionsorientierter Spezialisierung ab. Rechenzentren würden somit künftig nicht nur einen zentralen Großrechner fahren, sondern mehrere Spezialrechner für unterschiedliche Aufgaben. Diese Spezialisierung führe mittelfristig zu einem erhöhten Bedarf an Rechnern der mittleren Leistungsklasse. Dem vom Marktführer mit den Systemen 4300 und /38 markierten Trend dürfte vor allem Nixdorf mit seiner 8890 folgen.

Gene Amdahls Idee war seinerzeit, mit vollkompatiblen Maschinen in einen etablierten Markt mit breiter IBM-Kundenbasis vorzudringen. Grundlage für derartige Aktivitäten war unter anderem die öffentliche Verpflichtung der IBM, ihre Betriebssysteme auch Dritten zugänglich zu machen. Erst dadurch wurde es möglich, IBM-kompatible Rechner zu bauen.

In Deutschland bildeten sich zwei Kompatibilitätsstrategien heraus:

- Anbieter wie Amdahl, NAS und BASF mit ihren Hitachi-CPUs sind vollständig auf die IBM-Betriebssysteme ausgerichtet.

- Die von Siemens vertriebenen Fujitsu-Rechner sowie Nixdorfs 8890-Maschine mit israelischer Elbit-CPU verwenden IBM-nahe Betriebssysteme. Die hauseigene Systemsoftware (bei Siemens BS3000; Nidos in Paderborn) unterscheidet sich durch zusätzliche Merkmale von den IBM-Originalen.

Einen nahezu problemlosen Übergang garantieren somit die Plug-Kompatiblen denjenigen Anwendern, die sich aus der IBM-Umarmung lösen wollen. Gleichzeitig verheißen alle PCMs reumütigen Fremdgängern eine unbeschwerliche Rückkehr zur blauen Ziehmutter. Das er seine Kunden halten will, bestreitet indes kein IBM-Konkurrent. Nixdorf und Siemens hingegen sind die einzigen, die keinen Hehl daraus machen. Betriebssysteme wie Nidos oder BS3000 ermöglichen zwar eine Rückkehr zu IBM - aber nur dann, wenn der Anwender auf zusätzliche Funktionen von vornherein verzichtet.

Den Aktivitäten der PCM-Industrie steht die IBM nach Ansicht von Marktbeobachtern relativ machtlos gegenüber. Zwar gelang es dem Marktführer, durch seine "79er Offensive" (4300-Ankündigung) die PCMer bis ins Mark zu erschüttern. Zahlreiche Antitrust-Verfahren hätten IBM jedoch weltweit psychologisch in die Defensive gedrängt, analysiert Diebold in seinem PCM-Bericht. In der Öffentlichkeit müsse IBM auf Teufel komm raus den Eindruck monopolistischer Marktpolitik vermeiden. Dieser Druck komme den PCMs zweifelsohne zugute. Branchen-Insider sind sich einig: Wenn die DV-Anwender bereit sind, beim Hardware-Poker mitzusetzen, statt sich auf reines Applaudieren zu beschränken, hat die PCM-Industrie gute Chancen, weiter an Boden zu gewinnen. Je stärker sich allerdings die DV-Gewinne der Mainframer auf Software und Dienstleistungen stützen, um so mehr müssen die PCMs bemüht sein, eine profitable Ergänzung zur Billig-Hardware zu finden.