"Fachidioten" unerwünscht - Allgemeinbildung ist gefragt

20.02.1987

Dr. Fritz-Heinz Himmelreich, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln

Das Klima der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen hat sich verbessert. Auch eine gewisse bildungshistorisch gewachsene Distanz zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, die vorhergehend fühlbar war, ist geringer geworden.

Für die verspannten Beziehungen zwischen beiden Bereichen gab es sehr unterschiedliche Gründe; historische, gesellschaftspolitische; die Universitätsreform und die Studentenunruhen und die amtliche Bildungspolitik der 70er Jahre taten das ihrige.

Das Erscheinungsbild der Universitäten von heute ist das der Massenuniversitäten mit ausdifferenziertem Fächerangebot. Dadurch unterscheidet sie sich von der Universität des 19. Jahrhunderts und auch von den Verhältnissen bis zur Neuzeit der 50er Jahre. War die Universität bis dahin eine Lehranstalt der kleinen Form mit beschränkter Fächerzahl, so ist das heute anders. Die Universität ist integraler Bestandteil der modernen Arbeitsgesellschaft; die damalige Universitätsidee hat sich erweitert. Die Berufswelt der Absolventen hatte sie früher nicht in dem Maße im Blick wie sie die wissenschaftliche Erkenntnis mehr um ihrer selbst willen pflegte und mitteilte. Auch heute hat diese Idee noch realen Bestand; aber eben nur zu einem Teil.

Die Wissenschaften selbst haben sich mehr für die Gesellschaft geöffnet; ihre Ergebnisse. sind verändert. Die Gesellschaft fordert ihrerseits zur Lösung ihrer Probleme Forschungs- und Lehrleistungen ab und fördert dadurch ihren eigenen Strukturwandel. Das bedingt sozusagen vom anderen Ende des Spannungsbogens ein neues Verhältnis zur Universität, nämlich das der Verzahnung möglichst zwischen allen Bereichen der Gesellschaft, insbesondere zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.

Das Thema des "Sich-auf-einander-Zubewegens" von Hochschulen und Unternehmen ist naturgemäß äußerst vielschichtig und kompliziert. Es beginnt im Politisch-Ideologischen. Einer Annäherung wäre vor etwa 15 Jahren vornehmlich von der Universitätsseite her großes Mißtrauen entgegengebracht worden. Solche Denkmuster sind heute weniger anzutreffen.

Diese Einschätzung strahlt auch auf das wissenschaftliche Leitbild der Wissenschaften aus: In den 60er und 70er Jahren war es stärker durch die Sozial- und Geisteswissenschafter geprägt - die Theologisierung überlagerte das rationale Verständnis der komplexen Beziehungen zwischen Wissenschaft, Staat und Gesellschaft. Heute tendiert das Leitbild wieder eher zu den Natur- und den Ingenieurwissenschaften hin. Jedenfalls hat sich im öffentlichen Bewußtsein der Stellenwert der politischen und philosophischen Wissenschaften zu dem der experimentierenden und angewandten Naturwissenschaften merklich verschoben. Das trägt zur Veränderung der Verhältnisse ebenfalls bei und gilt sicherlich auch für die Bereiche, auf denen Hochschulen und Unternehmen zusammenarbeiten. Wissenstransfer, Weiterbildung, Drittmittelforschung und andere Kooperationsfelder haben deshalb beinahe selbstverständlich mehr naturwissenschaftlich-technische Bezüge. Der Effizienzgedanke tritt dabei stärker hervor. Seitens der Wirtschaft ist das nur zu begrüßen, denn die Grundlagen- und Anwendungsforschung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften ist ein entscheidender Faktor der ökonomischen Innovationsfähigkeit unseres Gemeinwesens.

Das heißt andererseits keinesfalls, daß kritisches Räsonieren nunmehr ausschließlich Machbarkeitsüberlegungen und Verwertungsinteressen weichen muß. Es widerspräche nicht nur dem kulturellen Bedarf, sondern auch den wissenschaftlichen Interessen.

Der pragmatische Umsetzer in Forschung und Lehre ist nicht der Wunschtyp für die unternehmerische Wirtschaft. Im Gegenteil: Wenn nicht alles täuscht, so wird in der Arbeitslandschaft im Jahr 2000 mit ihrer voraussichtlichen Struktur von Sektoren, Beschäftigten und Arbeitsorganisation sowie der entsprechenden Tätigkeitsinhalte - besonders in Führungspositionen - neben dem Fachwissen auch in zunehmendem Maße generelles Wissen verlangt. An die Allgemeinbildung in Verbindung mit Wissen und Erkenntnisvermögen richten sich hohe Anforderungen.

Was nun die Unternehmen in diesem Zusammenhang betrifft, so sind sie wichtige Träger unseres hochtechnisierten und hochkomplexen Gemeinwesens in mehrfacher Hinsicht; sie sind Institutionen der offenen Gesellschaft mit Verzahnungen zwischen der ökonomischen und politischen Kultur, der Sozialordnung, der Rechtsordnung, der Umwelt und nicht zuletzt mit dem privaten Leben der Mitarbeiter. Diese zu verstehen, zu bewerten und in Entscheidungen umzusetzen, stellt wachsende Anforderungen an das Denken der einzelnen. Es verlangt Denken im Zusammenhang beziehungsweise - wie man heute formuliert - vernetztes Denken. Das wiederum ist ohne geistes- und sozialwissenschaftliche Kategorien des Wissens und Denkens nicht möglich. Deshalb haben nach unserer Meinung trotz des hohen Ranges, den de Natur- und Ingenieurwissenschaften verdienen, die Geistes- und Sozialwissenschaften angesichts der verschiedenen technischen "Revolutionen" nicht an Bedeutung verloren, sondern eher noch gewonnen. Sie tragen zur intellektuellen Stabilität der gemeinsamen oder der politischen Kultur schlechthin bei, erst recht, wenn sich das Tempo der Veränderungen in der schnellebigen Zeit noch erhöhen sollte.