"Fachbereiche kennen ESA nicht"

04.09.2006
SAP hält die Anwender auf Trab. Was sich die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) von ihrem Softwarelieferanten wünscht, verriet der Vorsitzende Alfons Wahlers CW-Redakteur Christoph Witte.

CW: Die DSAG geht von deutlich höheren Softwareinvestitionen aus als die meisten Marktforscher. Warum?

Zur Person

Der studierte Mathematiker Alfons Wahlers ist erster Vorsitzender der Deutsch-sprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) und IT-Leiter bei der Flender AG, einem Spezialisten für Antriebstechnik mit Sitz in Bocholt.

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Die DSAG lädt ein

Vom 19. bis 21. September 2006 bittet die DSAG zu ihrem Jahreskongress nach Leipzig. Dort heißt das Motto: "Auf dem Weg zur Geschäftsprozess-Plattform - was bedeutet das für Sie?"

Anmeldung unter www.dsag.de.

WAHLERS: Unsere Mitglieder handhaben neue Techniken und Releases proaktiver als Anwender, die wir nicht erreichen. Darauf führe ich die unterschiedlichen Zahlen zurück.

CW: Aus Ihrer Sicht steigen die IT-Budgets also?

WAHLERS: Die IT-Budgets steigen. Die Anwender haben mittlerweile erkannt, dass man in bestimmten Bereichen investieren muss. Das ist notwendig, um in den Fachbereichen sparen zu können.

CW: Wie viele DSAG-Mitglieder wollen noch im laufenden Jahr auf ein neues SAP-Release umsteigen?

WAHLERS: Etwa 46 Prozent planen ein Upgrade auf Mysap ERP 2005. Immerhin 82 Prozent haben bereits einen neuen Mysap-Vertrag unterzeichnet. Allerdings darf man nicht vergessen, dass viele Anwender nach wie vor noch mit R/3-Systemen arbeiten. Rund 88 Prozent sind auf einem Release-Stand 4.6C und 4.7.

CW: Wie kommt SAPs Vision von SOA und Enterprise SOA (vorher ESA) bei den Kunden an?

WAHLERS: Grundsätzlich reagieren IT-Leiter positiv. Viele sind davon überzeugt, dass Enterprise SOA die anzustrebende Zukunftsarchitektur darstellt. Allerdings haben viele noch keine genauen Vorstellungen darüber, wie ein wirtschaftlicher Weg dorthin gestaltet werden kann. Um hierüber mehr Wissen aufzubauen, denken die Verantwortlichen darüber nach, wie sie ihre Mitarbeiter weiterbilden und qualifizieren müssen. Ein weiteres Thema ist, inwiefern man die IT-Organisation entsprechend den neuen Architekturen anpassen muss.

CW: Ist die Stimmung auf der Geschäftsebene ähnlich zuversichtlich?

WAHLERS: Die Themen SOA und deren Möglichkeiten haben die Fachbereiche bislang noch gar nicht erreicht. Geht man vom klassischen Verständnis aus, wonach der Fachbereich seine Anforderung an die IT stellt, dann tut sich in dieser Hinsicht derzeit noch wenig. Im Moment ist SOA immer noch eine IT-Initiative, die von der IT-Branche aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten getrieben wird.

CW: Wie wollen Sie die Fachbereiche mit ins Boot holen?

WAHLERS: Aufklären, welche Möglichkeiten hier bestehen. Die Geschäftsprozesse selbst sind ja betroffen. Die vielen kleinen Veränderungen werden aber in den seltensten Fällen direkt in den Geschäftssystemen nachvollzogen. Vieles bleibt halbautomatisch und manuell. Die IT hat hier die Chance und die Pflicht, Prozesse, die sie heute nicht abbildet, auf den neuen Geschäftsplattformen zu integrieren. Mit Enterprise SOA stoßen wir in neue Bereiche vor.

CW: Das bedeutet aber auch eine neue Rolle für die IT im Unternehmen.

WAHLERS: Die IT-Abteilungen müssen sich neu aufstellen. IT und Fachbereiche müssen viel intensiver kommunizieren. Wir werden neue Aufgaben, Rollen und Mitarbeiterprofile bekommen.

CW: Wie können CIOs den Geschäftsnutzen von SOA erklären und deutlich machen, dass sich die Investitionen lohnen?

WAHLERS: Die CIOs müssen sich qualifizieren. Daher wollen wir im kommenden Jahr eine CIO-Qualifizierungsinitiative aufsetzen, die sowohl eine IT-Seite als auch eine Geschäftsprozessseite hat. Dabei sollen die neuen Techniken im Überblick vorgestellt und erklärt werden. Zusätzlich wollen wir Best-in-Class-Prozesse und Prozess-Management-Organisationen von Firmen vorstellen, die SOA-Methoden und -Techniken bereits nutzen.

CW: Wir kommen in Deutschland auf vielleicht sechs größere SOA-Projekte. Zählen Sie mehr?

WAHLERS: Ich kenne auch nicht mehr. Allerdings wirkt SOA erst einmal im Kleinen, um zum Beispiel Auswertungen aus verschiedenen Tools zu konsolidieren.

CW: Also kleine Versuche, die sich auch im Rahmen der bestehenden Budgets realisieren lassen?

WAHLERS: Genau - richtig große Vorhaben sind dagegen noch selten. Aber wir müssen uns intern in den Unternehmen ändern, weg von den ständigen Kostenoptimierungen. Wir müssen wieder wachsen und die Denke, nur die Kosten zu senken, wieder aus unseren Köpfen bekommen.

CW: Aber besteht nicht grundsätzlich die Gefahr, dass die ganze Vision irgendwann wie eine Fata Morgana verschwindet, ohne dass etwas passiert?

WAHLERS: Wenn wir das nicht wollen, müssen wir zusehen, dass die IT-Abteilungen und die Fachbereiche zueinander finden. Beispielsweise lassen sich beim Einkauf innovative Geschäftsbeziehungen zwischen den Partnern definieren. Auch der Vertrieb verändert sich. Man muss herausfinden, wie sich der Wert eines Produkts oder eines Service beim Kunden erhöhen lässt. Beispielsweise könnte der Kunde auf spezielle Produktinformationen und produktivitätssteigernde Lösungsszenarien des Lieferanten zugreifen, die er heute nicht hat. Um hier eine Brücke zwischen Fachbereich und IT zu schlagen, wollen wir gemeinsam mit der SAP im Rahmen der nächsten Sapphire eine Initiative auf die Beine stellen.

CW: SAP predigt seit über drei Jahren ESA beziehungsweise jetzt Enterprise SOA. Wie zufrieden sind Sie mit der Unterstützung aus Walldorf?

WAHLERS: SAP tut eine Menge zur Sensibilisierung, betreibt erste Enterprise-SOA-Evaluierungsprojekte und hat bereits eine große Palette an zusammengesetzten Applikationen, die so genannten xApps, entwickelt. Es wird aber derzeit noch zu wenig unternommen, um den Anwendern klarzumachen, welche neuen Services, welche neue Applikationen sie damit bauen können, die die Fachbereiche begeistern. Wir stehen einerseits noch auf der untersten technischen und andererseits auf der obersten Highflyer-Ebene: innovativer, agiler, flexibler, adaptiver - diese Schlagworte bleiben noch ziemlich nebulös. Die Anwender können sich nicht so richtig vorstellen, wie das umzusetzen ist. Die ganze Geschichte muss einfach konkreter werden.

CW: SOA und die SAP-Variante Enterprise SOA können im Grunde nur funktionieren, wenn sie auf offenen Standards basieren. Konterkarieren proprietäre Elemente, die Hersteller wie auch SAP einbringen, nicht die Grundidee einer SOA?

WAHLERS: Ab einer gewissen Ebene schon. Nämlich dann, wenn Geschäftsprozesse sicher zusammenwirken müssen.

CW: Wenn SAP-Vorstand Claus Heinrich fordert, die Anwender müssten sich für eine Plattform entscheiden - wie offen ist Enterprise SOA dann überhaupt?

WAHLERS: Sagen wir einmal - generisch offen. Ein Web-Service, den man auf Websphere von IBM ausführen kann, läuft auch auf SAP Netweaver, das ein Teil der Enterprise-SOA-Architektur ist, aber nicht umgekehrt. Anwender können mit Enterprise SOA Geschäftsprozesse mit Business-Objekten von Mysap ERP modellieren, die betriebswirtschaftliche Vorgänge zuverlässig abwickeln. Das ist mit Websphere nicht möglich. Geschäftslogiken und Inhalte müssen zusammenpassen. Daher muss man auch die Geschäftsprozessplattform SAP Netweaver immer in Verbindung mit Mysap ERP 2005 sehen. Rein generische Web-Services lassen sich dagegen ohne weiteres auf Websphere oder SAP Netweaver ausführen.

CW: Wenn es um Geschäftstransaktionen geht, dann funktioniert das nicht?

WAHLERS: Das ist richtig. Dazu kommt noch, was SAP und die Kunden organisatorisch mit einer Geschäftsprozessplattform verbinden. Es wird ja nicht nur ein Stück Software ausgeliefert, sondern damit hängt auch ein Führungsanspruch für integrierte Geschäftsprozesse zusammen. SAP versucht jetzt im Applikationsbereich die Plattformführerschaft zu übernehmen, ähnlich dem, was Microsoft und Intel auf der Betriebssystem- und Prozessorseite geschafft haben.

CW: Sie meinen, eine Plattform zur Verfügung zu stellen, auf der sich auch andere tummeln?

WAHLERS: Auf der sich andere Anbieter und Partner tummeln, auf der es offene Standards gibt, mit deren Hilfe eigene Applikationen entwickelt werden können.

CW: Dazu muss SAP das Geschäftsmodell doch komplett umstellen?

WAHLERS: Ich glaube eher, dass SAP eine entsprechende Organisation rund um das Thema aufbauen und mit Partnern, Kunden und Anwendern offen umgehen müsste ...

CW: ... und da sehen Sie Defizite?

WAHLERS: Die Kommunikation und die Einbindung der Partner und Anwender sind derzeit noch nicht so, wie wir uns das wünschen. Daran werden wir weiter arbeiten müssen, um noch bessere Ergebnisse mit SAP zu erzielen.

CW: Dieses partnerschaftliche Modell rund um Enterprise SOA bedeutet, dass SAP den Partnern ein größeres Stück vom Kuchen abgeben muss?

WAHLERS: Das bedeutet sicher mehr Konkurrenz für die SAP-Produkte auf der eigenen Plattform.

CW: Die Vergangenheit hat aber immer wieder das Gegenteil bewiesen. Da fehlt mir der Glaube.

WAHLERS: Das möchte die DSAG mit SAP diskutieren und einfordern. Die SAP muss sich in diese Richtung entwickeln, um ihren Anspruch als Plattformführer zu rechtfertigen.

CW: Wie machen sich neue Themen wie On-Demand und Enterprise SOA in der Lizenzpolitik SAPs bemerkbar?

WAHLERS: Die Zykluszeiten der neuen Preislisten sind sicher zu diskutieren. SAP hat erst im August eine neue Preisliste herausgebracht, also kurz bevor wir über neue Plattformen sprechen. Ob sich in diesem Zusammenhang erneut Anpassungen ergeben werden, bleibt abzuwarten.

CW: Was hat sich in der Preisliste geändert?

WAHLERS: Die Mysap Business Suite als Ganzes gibt es nur noch für die Bestandskunden. Das neue Kernsystem ist Mysap ERP 2005. Dazu sind branchenspezifische Prozesspakete erhältlich.

CW: Welche Folgen hat das für die Anwender?

WAHLERS: Anwender werden flexibler. Sie müssen nicht mehr die gesamte Suite oder extra ein komplettes CRM dazukaufen, sondern je nach Branche das notwendige Prozesspaket. Allerdings hat SAP generisch die Prozesse festgelegt. Hier ist sicher noch zu prüfen, ob diese auch so geschnitten sind, wie es die jeweilige Branche benötigt. Das ist alles noch relativ neu - es gibt noch keine Erfahrungen.

CW: Lässt sich absehen, ob in der neuen Stückelung Preiserhöhungen versteckt sind?

WAHLERS: Was jetzt kommt, ist ein noch stärker nutzungsabhängiges Preismodell. Wir können momentan nicht abschätzen, ob es preiswerter oder teurer für die Kunden wird. Das bleibt vorerst ein großes Fragezeichen. Allerdings geht es bei nutzungsabhängigen Lizenzmetriken mit den Preisen in der Regel nur nach oben und leider nicht nach unten.

CW: Das heißt, man kann User dazunehmen, aber keine abbauen?

WAHLERS: Ja.

CW: Verabschiedet sich SAP damit von der bisherigen Metrik?

WAHLERS: Das Grundmodell der Lizenzmetriken basiert immer noch auf Named Usern beziehungsweise SAP-Application-definierten Nutzern, wie sie jetzt heißen. Dazu kommen die Prozesspakete. Dabei werden beispielsweise die Zahl der Bestellungen oder der Serviceaufträge verrechnet.

CW: Wie kompliziert ist das?

WAHLERS: Es soll einfacher sein. Aber dazu gibt es noch keine Erfahrungen. Wir würden uns aber folgendes wünschen: Wenn SAP nutzungsabhängig abrechnet, dann dürften die Anwender nicht nur mit Erhöhungen konfrontiert werden, sondern es muss auch nach unten flexibel sein. Es darf nicht sein, dass die Kunden mehr für ihre Software zahlen, wenn das Auftragsvolumen steigt, aber nicht weniger, wenn es sinkt.

CW: Das ganze System müsste man also in zwei Richtungen atmen lassen?

WAHLERS: Genau, so muss das sein. Das wäre nur konsequent.