Expo 2000: Träume statt Hightech

26.05.2000
Eine "Weltausstellung neuen Typs" versprach die Expo-Generalkommissarin Birgit Breuel. Unter dem Motto "Mensch, Natur, Technik - Eine neue Welt entsteht" sollen vom 1. Juni an in Hannover auf der Expo 2000 zukunftsorientierte Lösungen präsentiert werden. Welchen Stellenwert haben dabei die Informationstechnologien?Von Harald Schiller*

Wofür die Expo 2000 stehen soll, ist umstritten, seit Hannover vom Pariser "Bureau International des Expositions" 1990 den Zuschlag erhielt und sich damit gegen die Konkurrenten aus Toronto und Hongkong durchsetzen konnte. "Mensch, Natur, Technik - Eine neue Welt entsteht" lautet das Motto der Schau, ein Slogan der 80er Jahre, in deren ökologisch angehauchtem Geist die Botschaft im Rahmen der Expo-Bewerbung entstanden war. Eine Zeit, in der die Verhältnisse klar schienen. "Computer sind doof!" fand damals die Pop-Gruppe "Spliff" und mit ihr die Mehrheit der Bevölkerung. Das provinzielle Bonn schien auf ewig Bundeshauptstadt zu bleiben, in Berlin zementierte die Mauer die offenbar definitive Teilung der Welt in Ost und West - und wer als Besitzer eines PC diesen gar per Maus bediente, stand im Ruf, ein Pionier zu sein.

Doch seither hat sich das Gesicht der Welt nicht nur geopolitisch gewandelt. Die fortschreitende Digitalisierung und der Boom rund ums Internet haben auf die Lebens- und Arbeitszusammenhänge - zumindest der industrialisierten Regionen - Auswirkungen, deren Prophezeiung noch 1989 zu Zeiten des Mauerfalls als Science-Fiction-Phantasie abgetan worden wäre. Gegen das Tempo und die Folgen dieser Umwälzungen erscheint der Verlauf der ersten industriellen Revolution fast wie der Spaziergang einer Schnecke. Was also hat die Expo 2000 im Hinblick auf die Informationstechnologien zu bieten? Eine Ausstellung, auf der sich neben dem Themenpark immerhin 156 Länder und 18 Organisationen vorstellen.

"Mit der Expo haben wir eine weltweite Suche nach Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in Gang gesetzt, deren Ergebnisse auf der Weltausstellung vorgestellt werden", verspricht Expo-Generalkommisarin Birgit Breuel. Kritiker sehen das anders: "Nicht mehr Visionen zählen, es geht ums große Spektakel", moniert "Die Zeit". Viele Skeptiker misstrauen den Machern der Schau, die einzig 40 Millionen ticketlösende Besucher und die Interessen der Wirtschaft im Sinn hätten - eine Disney-Expo im neuen Jahrtausend?

Von offizieller Seite ist über IT-Themen, ihre Bedeutung für die Expo und etwaige Zukunftsszenarien nur wenig zu erfahren. Vor lauter Theaterfolklore und Prominentenauftrieb scheint man dort das Internet vergessen zu haben. "Die zukunftsorientierten Lösungen kommen von den Partnern der Weltausstellung", heißt es in einem Papier der Expo-Macher. Das sind nicht zuletzt die Expo-Sponsoren, die sich ein imageförderndes Engagement in Hannover zwischen zehn und 30 Millionen Mark kosten lassen. Hierzu gehören Daimler-Chrysler, Preussag, Siemens, Volkswagen, IBM oder Bertelsmann.

Kommt es also zu einer profanen Leistungsschau der Industrie, wie viele Kritiker lange befürchteten? Derzeit sieht es so aus, als ob von den gemeinsamen Projekten der Sponsoren mit Künstlern und Wissenschaftlern auf der Expo die interessantesten Ergebnisse zu erwarten sind.

IT-Visionen: Technik soll menschlich werden"Wir wollen auf der Expo nicht die schnellste Lokomotive der Welt zeigen. Sondern auf der Basis der Technik zusammen mit den Besuchern und der weltweiten Internet-Gemeinde überlegen, wohin die Reise gehen könnte", erklärt Sylvia Sergl, IBM-Projektleiterin des "Planet of Visions". Diese Absicht scheint programmatisch für viele Expo-Projekte, bei denen Datenverarbeitung und das Internet zum Einsatz kommen. Die Technik soll im Hintergrund bleiben und nur dort auftauchen, wo ein Zusammenhang mit publikumsattraktiven Anwendungen oder logistischen Lösungen besteht.

So ist der Planet of Visions in Halle 9 des Expo-Themenparks eine Art Online-Kunstwerk, das auf der Basis von IBMs E-Business-Technologie arbeitet. Vor den riesigen Landschaftspanoramen des belgischen Künstlers François Schuiten können die Besucher in vergangenen Jahrhunderten wandeln und sich mit der Frage auseinandersetzen, wie man früher "Zukunft" gesehen hat. Das Paradies ist ein Thema, ebenso utopische Stadtentwürfe, Roboter oder die sozialen Utopien von der Antike bis in die Gegenwart. Alle Exponate des "Planet of Visions" sind über Netzwerke miteinander verbunden, können miteinander kommunizieren und sich teilweise gegenseitig steuern und überwachen. Per Webcam wird das Ganze ins Internet übertragen. So können die Surfer weltweit, genau wie die Besucher der Halle, eigene Visionen in einer Datenbank hinterlassen. Am Ende der Expo wird das Projekt ausgewertet und ins Netz gestellt.

Die Halle 4 des Themenparks will die phantasievolle Auseinandersetzung mit den Schwerpunkten "Wissen, Kommunikation, Technik" vorführen. Technik-Projektleiter Stefan Iglhaut ist eine Abgrenzung zu konventionellen IT-Messen wichtig: "Egal ob es um Netzwerke, Rechner oder Websites geht: Die Präsentation auf solchen Veranstaltungen ist immer langweilig." Deshalb will die Expo in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) neue Wege versuchen: "Wir demonstrieren die automatische Generierung von Softwareentscheidungen durch 72 Roboter, die sich frei durch die Halle bewegen und dabei miteinander kommunizieren. Kommt ihnen ein Mensch in die Quere, signalisieren sie über sich ändernde Bildprogramme Alarm und ändern autonom die Richtung." Was ist die Absicht? "Wir sind künftig immer stärker von intelligenter Technik umgeben. Dabei werden Computer nicht mehr als Technik wahrgenommen, sondern als natürlicher Teil der Umgebung. Die Leute sollen lernen, dass Technik Spaß machen kann und unser Leben erleichtert. Und außerdem bekommen wir durch innovative Technik Probleme in den Griff, die uns frühere Technologien beschert haben."

Siemens ist als Expo-Weltpartner mit der Lieferung der gesamten Informationstechnologie auf dem 170 Hektar großen Gelände beauftragt.

Herzstück ist das elektronische Besucher-Informationssystem, das nicht nur die Gäste in Hannover, sondern auch die weltweite Internet-Gemeinde mit den jeweils aktuellsten Terminen versorgt: Allein 18000 Kulturveranstaltungen warten in den fünf Expo-Monaten auf Publikum. 10000 Kilometer Glasfaserkabel wurden verlegt, die im Rechenzentrum zusammenlaufen. Durch das ATM-Netz (ATM = Asynchronous Transfer Mode) können bis zu 50000 Websites pro Sekunde übertragen werden. Von 30 Servern aus werden 320 "Virtual-Touch-screen-Terminals" mit Inhalten versorgt, 18 Mitarbeiter sind für die Datensicherheit zuständig. 40 Mitarbeiter kümmern sich von Helpdesks aus um den Content. "Dabei stehen Wissen und die Vernetzung von Wissen im Vordergrund, nicht die technische Applikation", sagt Siemens-Sprecher Jörn Roggenbuck. "Vor Ort und durch eine Internet-basierte Lösung kann sich jeder Besucher seinen individuellen Tagesplan zusammenstellen." Über das Journalisten-Akkreditierungssystem "Media Online" können zudem 100000 Journalisten gleichzeitig im Internet auf Bild- und Textmaterial zurückgreifen.

Beachtung wird sicher der "Wis-Dom" finden, ein begehbarer Kuppelbau im Siemens Mediaversum. Dort läuft auf fünf Videowänden simultan eine vielfach ineinander verwobene Handlung, die parallel auf fünf Kontinenten spielt. Fünf Hauptpersonen bilden ein virtuelles Wissens- und Handlungsnetz mit vielfältigen Verknüpfungen und Querverbindungen. Die dem Projekt zugrunde liegenden Filme wurden in ihren jeweiligen Heimatländern von Jungregisseuren gedreht und handeln von den Perspektiven Jugendlicher.

Auch das Multimedia-Projekt "Lab.01" von Daimler-Chrysler war schon als mobile Science-Ausstellung auf Tour durch halb Europa, bevor es jetzt, überarbeitet, Kinder und Jugendliche zu spielerischem Lernen animieren soll. Zukunftstechnologien und Mobilität sind die Leitthemen vor und in Halle 2. Die Erwachsenen von morgen sollen in virtuellen Welten angeregt werden, eigene Visionen und Perspektiven zu entwickeln.

Geübt wird im Lab.01 auch an der "Mensch-Maschine-Schnittstelle" (MMS). Hände sollen ein Empfinden für die Reaktionen von vibrierenden Mäusen bekommen, die das Gewicht einer auf dem Bildschirm dargestellten Fracht vermitteln. Sensoren wandeln die Bewegung von Augen und ganzen Körperteilen in Schrift, Töne, Licht- und andere Steuerungseffekte um. Die Daimler-Chrysler AG verzichtet auf die Präsentation von Konzernmarken und will mit ihrem Expo-Engagement Jugendliche für IT-Berufe begeistern.

Bertelsmann ist auf der Expo mit dem auf schrägen Stützen stehenden "Planet M - medien für menschen" präsent. Die gerundete, futuristisch anmutende Konstruktion veranschaulicht durch Multimedia-Shows die Geschichte der Medien und ihre Entwicklungswege von der Steinzeit bis in die Wissensgesellschaft der Gegenwart. Mit Musik, Lichteffekten und Projektionen wird der Rahmen dabei von der Höhlenmalerei bis zum Internet gesteckt. Zum Planeten in neun Meter Höhe gelangen die Besucher mit dem weltweit größten Personenaufzug, dem Space Lift. Und wer erstmals eigene Erfahrungen mit dem Intenet machen möchte, kann sich im Bertelsmann-Medienshop Webworld an Maus und Tastatur versuchen. In luftiger Höhe stehen den Neu-Surfern an 50 Terminals Fachleute zur Seite, die Online-Angebote sowie die Funktionsweise von E-Mails und Websites erklären.

Solche Erläuterungen werden im finnischen Pavillon, dem "Windnest", sicher nicht nötig sein. Zum Schwerpunkt ihrer Präsentation haben die in der Mobilfunktechnologie erfolgreichen Finnen die Verbindung der landestypischen Wirtschaftsfelder IT und Forstwirtschaft gemacht. "In jeder Papiermaschine befindet sich mehr Elektronik als in einem Jumbojet", lautet die Devise.

Da Finnland als Forstnation bereits in den Köpfen verankert ist, will man auf der Expo zwischen hundert original finnischen Birken auch die Vorreiterrolle auf dem IT-Sektor untermauern. Durch die Hallen des Windnest führt ein 180 Meter langer Pfad. Am Anfang des Weges lassen Studenten vom Wissenschaftszentrum Heureka am Computer erzeugte Animationen und Projektionen entstehen, wobei virtuelle Rentiere auf die Bewegungen der Besucher reagieren. "Handy-Vögel" trällern fröhlich von den Birken herab und geleiten die Besucher in eine Halle, die finnische Informationstechnik im landwirtschaftlichen Einsatz zeigt. Und auch den ersten virtuellen Botschafter der Expo-Geschichte haben die Finnen aus der Taufe gehoben: Mit Mika, dem großen Blonden, der immer mit Notebook und Handy unterwegs ist, kann im Internet gechattet werden. Anna-Kaisa Heikkinen, für den finnischen Internet-Auftritt verantwortlich, erläutert das Ziel: "Wir wollen eine richtige Mika-Chat-Familie aufbauen, deren Mitglieder sich dann zum Beispiel in unserem Pavillion verabreden und kennen lernen können."

Wofür die Expo 2000 stehen wird, wenn sie am 31. Oktober ihre Pforten schließt, kann heute niemand beantworten. Denn noch sind sowohl der Verlauf als auch das Publikumsinteresse völlig unberechenbar. "So viel Vision war nie", kommt mitunter der Eindruck auf, wenn sich stattlich alimentierte, aber offensichtlich überflüssige Projekte schnell noch eine trendgerechte Daseinsberechtigung zusammenbasteln. Ob die Besucher schließlich ein schickes Volksfest in Erinnerung behalten oder tatsächlich auch aufregende Projektionen in die Zukunft erleben, werden wesentlich die Partner der Expo und die Gastnationen entscheiden. Dass gerade die jungen Besucher stark an den Entwicklungen der Informationstechnologie interessiert sind, scheinen die Verantwortlichen der Expo 2000 verschlafen zu haben. So singt denn auch einstweilen Nina Hagen in einem offiziellen Expo-2000-Spot nach Operettenkönig Franz Léhar: "Schön ist die Welt!"

*Harald Schiller ist freier Journalist in Hamburg.