Expertensysteme auf dem PC - trivial oder effizient?

02.10.1987

Dr. Joachim Frank Geschäftsführender Gesellschafter Experteam GmbH, München

Schalworte wie KI, wissensbasierte Systeme und Expertensysteme sind häufig in den Headlines von Fach- und auch Management-Publikationen zu finden. Stehen derartige Systeme deshalb auch hoch im Kurs? Noch keineswegs; sie stehen bisher allenfalls im Spannungsfeld der Diskussion zwischen entrücktem Elfenbeinturm-Know-how und einigen bekannten realisierten Anwendungen, die als praxisrelevant und wirtschaftlich gelten können. Für die Bundesrepublik Deutschland ist festzuhalten, daß neben den ersten, eng auf die jeweiligen (Groß-)Anwender begrenzten Experimental-Expertensystemen auf der Basis von teuren (Groß-)Werkzeugen zunächst eine Verständnis- und Einstiegsmöglichkeit für den "normalen", zum Beispiel den mittelständischen DV-Anwender fehlte.

In der Tat wurden deshalb zahlreiche Demonstrationsanwendungen von Expertensystemen entwickelt nach dem Motto: "Wie sag ich's meinem Kinde (meinem Kunden)?" Es entstanden die typischen Trivial-Wissensbasen mit wenigen Regeln beziehungsweise Inhalten, um zumindest an Beispielen die potentielle Einsatzfähigkeit der entsprechenden Expertensysteme vorführen zu können.

Im übrigen kam - und kommt - das prinzipielle Problem aller Shell-Anbieter hinzu, daß sie a priori kein eigenes definiertes "Experten"-Wissen (auf einer Vielzahl von Fachgebieten) besitzen, um daraus ein ernst zu nehmendes Expertensystem zu erstellen. Wer aber kann ein fertig erstelltes Expertensystem im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit wirklich beurteilen, wenn nicht die Experten selbst? Akzeptieren die Spezialisten ihre "automatischen

Konkurrenten", die wirklich ausgefeilten Expertensysteme, betrachten sie sich vielleicht als "geklont"?

Die Akzeptanz der Expertensysteme durch die Fachleute selbst kann meist schnell erreicht werden: Sie erkennen leicht, daß ein solches System - auch wenn es noch fragmentarisch, beispielhaft und damit trivial ist - in seinem Endausbau seine Aufgabe erfüllen wird. Insbesondere ist ihnen klar, daß ein Expertensystem sie selbst nicht ersetzen kann, sondern - im Gegenteil - ihnen hilft, Entlastung von Routine-Entscheidungen zu finden, diese auf die Endbenutzer delegieren zu können und sich damit kreativen Freiraum für wichtigere Problemstellungen zu schaffen.

Anders sieht die Akzeptanzfrage bei den eigentlichen Endbenutzern aus. Sind sie in der Lage, von einfachen, ersten Beispielanwendungen zu abstrahieren und diese auf ihre

eigenen Problemstellungen zu übertragen? Kann ein industrieller Endbenutzer sich vorstellen, komplexe Verfahrensvorschriften für den Betrieb einer komplizierten Maschine als Expertensystem zu lösen, wenn er als Beispiel die Anwendung "Meldepflichtige Geschäftsvorfälle im Auslandsverkehr der Banken" - also auch komplexe Verfahrensvorschriften - präsentiert bekommt?

Eine differenzierte Betrachtung der Benutzergruppen zeigt - so ist zumindest die Erfahrung in unserem Hause -, daß zur Zeit die Expertensystem-Anwendungen (auf PC) einen großen Schub durch die "Techniker", das heißt die Mitarbeiter von technischen Anwendungsabteilungen, erfahren. Sie waren es ja auch, die seinerzeit zuerst die Möglichkeiten der Personal Computer am Arbeitsplatz als Mittel der "individuellen Datenverarbeitung" erkannten, sich selbst auf Basis der angebotenen PC-Standardsoftware erste funktionsfähige Anwendungen zu wirtschaftlich günstigen Bedingungen erstellten und den PC damit in der kommerziellen DV-Welt hoffähig machten.

Gleiches vollzieht sich heute bei den Expertensystemen. Gerade über erste einfache, eigene Expertensysteme arbeiten sich Endbenutzer in technische Anwendungen ein. Dabei spielt auch die Frage, ob solche ersten Trivial-Expertensysteme nicht auch hätten konventionell programmiert werden können, eine Rolle. Vielmehr wird erkannt, daß die Entwicklungswerkzeuge (Shells) für Expertensysteme die Möglichkeit bieten, Anwendungen auf Expertensystem-Basis sehr viel schneller fehlerfreier und darüber hinaus wesentlich wartungs- sowie änderungsfreundlicher zu erstellen sind als prozedurale Programme. Änderungen lassen sich unmittelbar einbringen, und zwar ohne jeglichen Programmierungsaufwand, und ihre Auswirkungen sofort testen. Die Expertensystem-Technologie sollte als konsequente Weiterentwicklung der herkömmlichen Softwaretechniken eingestuft werden, bei der die Verarbeitungslogik aus den Programmprozeduren herausgelöst wird.

Es ist unstrittig, daß der Personal Computer heute im Umfeld der Textverarbeitung, Grafik, Datenbankanwendung sowie der Tabellenkalkulation und der Anbindung an Großrechner effizient eingesetzt wird. Steigende Stückzahlen - für die entsprechenden Softwareprodukte und die Hardware machen dies deutlich. Gute Expertensysteme auf PC-Basis fügen sich in diese anwendungsorientierte DV-Welt nahtlos ein. So ist es für entsprechende PC-Shells ohne weiteres möglich, bestehende PC-Anwendungs- und Standardprogramme, Dateien, Grafiken etc. aufzurufen, in einem Expertensystem zu nutzen und gegebenenfalls Ergebnisse zurückzugeben. Ebenso lassen sich konventionelle

PC-Programme durch ein "aufgesetztes" Expertensystem in der Benutzeroberfläche und in der Verarbeitungslogik durch Hinzufügen von "Erfahrungswissen" optimieren beziehungsweise ergänzen. Auch die noch bestehenden Hauptspeicherrestriktionen von PCs für größere Wissensbasen lassen sich durch geschickte Strukturierung und Nutzung von "Roll in - roll out"-Verfahren überwinden. In Zukunft dürften mit den neuen Betriebssystemen auch solche Engpässe überwunden sein.

Das vielkritisierte Problem der Wissensakqusition - der notwendige Einsatz von Knowledge-Engineers - kann hier dadurch überwunden werden, daß - wie auch bei der sonstigen typischen PC-Software - der Benutzer selbst in der Lage ist, diese Systeme zu erstellen, zu testen und anschließend zu benutzen. Das setzt allerdings voraus, daß die entsprechenden Werkzeuge benutzerfreundlich ausgelegt sind.

Gerade in den USA verbreiten sich Expertensysteme auf PC-Basis - nicht zuletzt durch die obengenannten Fakten - deutlich schneller als solche, die auf spezieller Hardware (zum Beispiel Lisp-Maschinen) aufsetzen. Dies bestätigen Schätzungen über US-Shell-Anbieter, die für Ende 1986 von einem Verkauf von rund 3000 großen, aber bereits von etwa 13 500 kleineren (PC-) Shells berichten.

Wenn - und dementsprechende Shells sind auch in der Bundesrepublik auf dem Markt - solche PC-orientierten Werkzeuge einerseits keinen Software-Restriktionen im Hinblick auf die Anzahl von Regeln etc. unterliegen und andererseits über eine benutzerfreundliche Oberfläche (Menüs, Maus und deutsche Dialogsprache) verfügen, kann sichergestellt werden, daß von ersten kleinen "Experimental- und Trivial-Wissensbasen" sehr schnell eine Lernkurve dazu führt, daß auch komplexere Expertensystem-Anwendungen, die dann aus mehreren modular verknüpften Teil-Wissensbasen bestehen, entwickelt werden können. Beispiele aus der Praxis belegen dies.