Englische Bank setzt KI-System ein

Expertensystem korrigiert fehlerhafte Transaktionen

13.09.1991

Für Expertensysteme in der Anwendung gibt es noch immer wenige Beispiele. Oft kommen die Softwareprodukte nach wie vor nicht über das Prototyp-Stadium hinaus. Christian Röger* erläutert, wie eine englische Bank und die Börsen-Spezialisten von New York und London jeweils Nutzen aus einem komplexen wissensbasierten System ziehen.

Der Wettbewerb auf nahezu allen Märkten zwingt die Unternehmen immer mehr zur Optimierung ihrer Leistung. Das gilt auch für die Finanzwirtschaft. Expertensysteme sollen als Wegbereiter dienen, um einen Status der "Unfehlbarkeit" zu erreichen. In der Optimierungsstrategie sind sie ein wichtiger Schachzug für fortschrittliche Unternehmen.

Seit Jahren im Gespräch, machen sogenannte wissensbasierte Systeme heute bemerkenswerte Fortschritte. Der Computer als Wissensbasis ist auf dem Vormarsch. Für Systeme, wo Experten auf Kommando ihr Wissen preisgeben und durch eifriges Schlußfolgern eine logische Entscheidung nahelegen, spricht sehr viel: Sie sind jederzeit ansprechbar und immer in Hochform, sie versagen nie und geben kerne falschen Informationen - sofern das Wissen korrekt ist, das man ihnen eingetrichtert hat. Experten, die ihr Wissen oder gar ihre Erfahrung einem Computer anvertraut haben, liefern ihr Know-how in elektronisch konservierter Form.

Andererseits läßt sich per Computer verläßliches Expertenwissen gleichmäßig verteilen, beispielsweise auf alle Filialen einer Bank. Der Kunde, der optimale Beratung sucht, braucht nicht mehr auf den Glücksfall zu hoffen, einen wirklichen Experten anzutreffen. Schließlich leistet der maschinelle Experte auf begrenztem Gebiet mehr als ein Mensch.

Einer großen Zukunft sehen KI-Systeme auf dem Dienstleistungssektor entgegen. Banken werden es sich nicht nehmen lassen, die Bonität ihrer Kunden sowie ihre Kredit-Engagements von einem Regelwerk aus künstlicher Intelligenz unter die Lupe zu nehmen, um sich so vor Risiken zu schützen.

Die Kunden von Banken werden darauf drängen, eine objektive, nach ihren individuellen Vorgaben optimale Beratung, etwa bei der Baufinanzierung, der Anlagenberatung oder dem Policenabschluß, zu erhalten. Und da ist ein Computer eben zuverlässiger als ein menschlicher Experte.

So nutzt eine der größten englischen Bausparkassen zur Kontenprüfung ein Expertensystem. Die Vorgehensweise stellt sich folgendermaßen dar: Die Zentrale erhält täglich ein Magnetband, auf dem Daten zu Transaktionen abgelegt sind, die über eine Clearing-Stelle getätigt wurden. Bevor diese Transaktionen in Computersystemen der Bausparkasse weiterverarbeitet werden können, müssen sie auf Fehler geprüft werden.

Eventuell fehlerhafte Transaktionen gehen auf ein Interimskonto, um dort manuell korrigiert zu werden. Im Schnitt traten täglich etwa 1200 solcher Fehler auf. Neun Mitarbeiter waren damit beschäftigt, die Transaktionen zu korrigieren und für die weitere Bearbeitung freizugeben. Ein Expertensystem konnte etwa 80 Prozent dieses Arbeitsaufwandes übernehmen - die manuelle Bearbeitung war damit weitgehend hinfällig.

Das System basiert auf einem PC, der über eine 3270-Terminal-Emulation an die IBM-Großrechner der Sparkasse angeschlossen ist. Über diese Anwendung kann die Software auf Einzelheiten der fehlerhaften Transaktionen zugreifen und nach einer Plausibilitätsprüfung eine aktualisierte Version der Daten liefern.

Das System enthält Fachwissen, das auf der Erfahrung des Teams beruhen. Ein typischer Fall: Eine Transaktion bezieht sich auf ein gültiges, aber geschlossenes Konto. Das Expertensystem untersucht, ob für diesen Kunden ein neues Konto eingerichtet wurde mit derselben Eröffnungsbilanz, demselben Eröffnungsdatum wie die Schlußbilanz und dem Abschlußdatum des alten Kontos.

Durch den Einsatz des Expertensystems konnte die Mitarbeiterzahl reduziert werden, was zu einer erheblichen Kostensenkung führte.

Ein anderes Beispiel betrifft den sogenannten Arbitrage-Handel. Bei diesen Geschäften geht es darum, kurzzeitige Marktungleichgewichte ausfindig zu machen und daraus durch schnelles Handeln Gewinne zu erzielen. Ein Beispiel: Die Aktien eines Unternehmens werden in Wall Street und an der Londoner Börse gehandelt.

Steigt der Kurs lediglich in Wall Street, geht man davon aus, daß entweder der Kurs in London ansteigt oder der Kurs in Wall Street wieder absackt. Durch rechtzeitige Käufe in London und Verkäufe in Wall Street sichert sich der Arbitrage-Händler auf jeden Fall einen Gewinn, unabhängig von der weiteren Entwicklung. Ein erfolgreicher Händler erkennt solche Situationen vor seinen Konkurrenten. Der Zeitdruck kann jedoch zu falschen Gewinnkalkulationen und somit ungünstigen Abschlüssen führen.

Gefordert war daher ein System, das automatisch ein breites Aktienspektrum überwacht, genauere Berechnungen über Gewinne und Verluste durchführt als dies der Arbitrage-Händler manuell kann, und eine Empfehlungsliste der besten Gelegenheiten mit den dazugehörigen Gewinnen erstellt. Das System basiert auf der Software "Issue". Diese kommt auf einer Workstation zum Einsatz, die an einen VAX-Rechner angebunden ist, auf dem eine Datenbank implementiert wurde.

Die Datenbank stellt die aktuellen Kurse in Echtzeit zur Verfügung. Die VAX ist ihrerseits an das Telekurs-System angeschlossen. Darüber sind in Echtzeit Informationen zu mehr als 300 Wertpapieren abrufbar. Das System zeigt kontinuierlich eine Liste der zehn besten Arbitrage-Gelegenheiten (höchste realisierbare Gewinne) an.

Ministerium warnt vor unseriösen Offerten

Eine der Schlüsselfunktionen ist die visuelle Darstellung der Strategie, die unter bestimmten Marktbedingungen anzuwenden ist. Dies ist für die Experten besonders wichtig, damit sich diese einen allgemeinen Überblick über mögliche Alternativen verschaffen und das System entsprechend steuern können.

Daß auch in Deutschland die Zahl der eingesetzten Expertensysteme gestiegen ist, läßt sich mit Zahlen eindrucksvoll belegen. Das Marktvolumen hat sich nach einer Studie des Bundesforschungs-Ministeriums von 70 Millionen Mark im Jahr 1985 auf über 260 Millionen Mark (1989) erhöht.

Doch nicht alles was von Marketingstrategen als Expertensystem bezeichnet wird, erhebt diesen Anspruch mit Recht. Vor unseriösen Offerten warnt das Ministerium: "Oft werden Programme lediglich aus Image-Gründen als Expertensysteme gekennzeichnet. Viele sind noch nicht einmal über das Stadium eines Prototyps hinaus".