Bundestagsanhörung zeigt Gefährdung der IT-Industrie

Experten zeichnen düsteres Bild der deutschen Computerindustrie

25.09.1992

BONN (hv) - Um die deutsche informations- und kommunikationstechnische Industrie steht es schlecht. Das wurde bei einer Anhörung von Industrievertretern vor drei Ausschüssen des Deutschen Bundestages deutlich.

Von einer eigenen Chip-Fertigung mag niemand mehr träumen, und auch die Hardware- und Software-Anbieter laufen längst den Japanern und Amerikanern hinterher. Allein die Telekommunikation gibt noch Anlaß zur Hoffnung.

"Mikrotechnologie, Computer- und Unterhaltungselektronik sind ganz akut gefährdet", lautete die Bestandsaufnahme von Konrad Seitz, dem deutschen Botschafter in Rom. Schlüsseltechnologien wie Optoelektronik, Schaltkreis- oder auch Flachbildschirm-Entwicklung seien nicht mehr in deutscher und größtenteils auch nicht mehr in europäischer Hand.

In Deutschland werde es künftig keinen ernst zu nehmenden Chip-Anbieter geben, davon aber sei die gesamte mittelständische Industrie abhängig. "Ich halte das, was hier geschieht, für eine ganz gefährliche Geschichte", orakelte der auch als Buchautor erfolgreiche Botschafter.

Seine Zuhörer waren in erster Linie Vertreter des Deutschen Bundestags.

Daß inzwischen auch dort der Ernst der Lage erkannt wurde, beweist die Tatsache, daß sich die geladenen Vertreter aus Industrie und Wissenschaft nicht nur mit dem Ausschuß für Forschung, Technologie und Technologiefolgen-Abschätzung, sondern auch mit den Gremien für Wirtschaft sowie für Post und Telekommunikation auseinanderzusetzen hatten. Ein zentraler Streitpunkt war die Frage, ob sich Deutschland den weitgehenden Verzicht auf eine eigene Chip-Fertigung leisten könne.

"Wir brauchen eine eigene Chip-Fertigung", forderte etwa Hans-Joachim Queisser, Professor am Max-Planck Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Vor allem die bei der Entwicklung von Speicher-Chips erzielten Ergebnisse könnten zu einer Stärkung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit auch in anderen Bereichen führen. Das europäische Mikroelektronik-Programm Jessi sei zwar noch nicht tot, aber durch die Ansiedlung japanischer Großunternehmen in Großbritannien und Deutschland doch eingeschränkt, bilanzierte Queisser.

Schützenhilfe bekam der Forscher von Hans Baur, dem Sprecher der Münchner Siemens AG. "Wenn wir nicht das Halbleiter-Know-how haben, können wir auch keine moderne Technologie entwickeln", betonte Baur. Weil die Halbleiter-Fertigung so unverhältnismäßig teuer sei, habe sich Siemens bei der Entwicklung des 256-Mbit-Chips mit Toshiba und IBM zusammengeschlossen.

Eine grundsätzlich andere Ansicht zur Chip-Fertigung vertraten dagegen Henning Klodt vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut und Frieder Meyer-Krahmer vom Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe. "Wir haben einen relativ ausgeprägten Wettbewerb bei den Chip-Technologien", so Klodt, bei den Speicher-Chips hätten die Koreaner stark aufgeholt, bei den Mikrochips seien die Amerikaner schon immer stark gewesen - die Sorge um ein japanisches Monopol sei also übertrieben.

Man könne, so Klodt, nicht einerseits lamentieren, daß der Produktionsstandort Deutschland gefährdet sei, und andererseits ausländische Unternehmen anlocken, damit diese hier investierten. Die deutsche Wirtschaft müsse den marktwirtschaftlichen Kräften im Lande vertrauen, staatliche Interventionen hätten noch selten Erfolge gebracht.

Auch Meyer-Krahmer betonte, daß die Konzentration öffentlicher Gelder auf die Speicherfertigung ein Fehler sei. Speicher-Chips seien in Hinblick auf die Entwicklung anwendungsspezifischer Chips (Asics) zwar für die deutsche Industrie von Bedeutung, doch Fördermittel müßten dort eingesetzt werden, wo "starke Industrien" weiter auszubauen seien. "Ich glaube, daß wir den Schwerpunkt auf die Telekommunikation legen sollten, dort sind wir stark und dort dürfen wir den Anschluß nicht verpassen."

Einig waren sich fast alle Vertreter der Industrie, daß die Bundesregierung aufhören müsse, "sterbende" Wirtschaftszweige im Lande mit hohem Aufwand künstlich am Leben zu halten, dabei aber die innovativen, wachstumsträchtigen Bereiche zu vernachlässigen. "Man kann nicht eine konservierende Strukturpolitik betreiben und sich dann beklagen, daß der Strukturwandel nicht zustande kommt", ärgerte sich Klodt vom Weltwirtschaftsinstitut.

Zu spät erkannt worden sei wegen dieser Grundeinstellung auch die Bedeutung der Software-Industrie für Deutschland. Klaus Neugebauer, Geschäftsführer der Softlab GmbH in München, zog eine düstere Bilanz. Im Gegensatz zu England gebe es in Deutschland zum Beispiel keine nationale Methode für die Software-Entwicklung. Das Thema sei schlicht verschlafen worden. Mit der Euromethode versuche man, "im Nachgalopp" aufzuholen, aber die ersten Erfolge seien hier wohl erst in fünf Jahren zu verzeichnen.