Mehr zwei Millionen Pakete gingen 1987 über Ladentisch:

Europas PC-Softwaremarkt expandiert kräftig

12.02.1988

Paris (pi) - Der europäische PC- Softwaremarkt ist im vergangenen Jahr um 46 Prozent gewachsen: das entspricht zwei Millionen verkauften Paketen. Zu diesem Ergebnis kommt das französische Marktforschungsunternehmen Intelligent Electronics-Dataquest in seiner jüngsten Studie. Dabei florierten die beiden Marktsegmente MacintoshSoftware und Low-Cost-Pakete (unter l50 englischen Pfund) am besten.

Die Marktforscher befragten für ihre Studie mehr als 400 Softwarehäuser und Importeure in 12 europäischen Ländern und nahmen über 300 Softwarepakete unter die Lupe.

Kunden, die PC-Software in großen Stückzahlen abnehmen, haben sich in den letzten zwei Jahren fast ausnahmslos auf im Markt etablierte Anbieter festgelegt, beispielsweise Lotus oder Ashton-Tate. Demzufolge konnten die Bestseller dieser Hersteller ihren Anteil am Gesamtmarkt stetig vergrößern und nehmen jetzt den Löwenanteil für sich in Anspruch. Zum Beispiel erreichte Lotus im vergangenen Jahr einen Anteil von 30 Prozent am Marktsegment "Integrierte Pakete/Tabellenkalkulation", und Ashton-Tate hält mehr als 40 Prozent im Datenbankbereich.

Diese konzentrierte Nachfrage erschwert neuen Produkten offensichtlich den Einstieg in die Arena, vor allem auf dem Spreadsheet- und Datenbanksektor. Der Bereich der Textverarbeitung scheint als einziger schnell genug zu wachsen, um Newcomern zu ermöglichen, sich zu etablieren und einen signifikanten Marktanteil zu erlangen.

Der ziemlich junge Low-Cost-Software-Bereich ist dagegen relativ unstrukturiert. Derartige Pakete sind erst in den vergangenen eineinhalb Jahren häufiger verkauft worden - davon rund 500 000 Stück in 1987. Low-Cost-Software wird vornehmlich im Heimcomputer-Bereich eingesetzt, der in den meisten europäischen Ländern einen Boom erlebte. Obwohl jedes Land auf dem Alten Kontinent seine Eigenheiten hat, kann der europäische Markt in drei verschiedene Regionen eingeteilt werden, in denen mehr oder weniger ähnliche Charakteristika und Trends erkennbar sind. Die erste ist die angelsächsische Region, zu der Großbritannien, Norwegen, ein Teil Frankreichs und die Benelux-Länder sowie die größten europäischen Hauptstädte zählen. Dieses Gebiet hat eine weitverbreitete Verwendung von Standardsoftware und die Verfügbarkeit einer breiten Produktpalette als Gemeinsamkeit. Des weiteren sind Direktimporte aus den USA sehr häufig.Ein zusätzliches Merkmal dieses Gebiets ist das rasche Wachstum des Low-Cost-Software-Marktes.

Die zweite europäische Region umfaßt die Bundesrepublik, die Schweiz, Österreich und die skandinavischen Länder. Diese Märkte sind eher konservativ, und die Nachfrage ist schwächer und geregelter als anderswo in Europa. Die Endanwender sind in ihrem Kaufverhalten sehr anspruchsvoll. Beispielsweise sind Versionen in der jeweiligen Landessprache ein Muß, und innerhalb von Großunternehmen sind umfangreiche Standardisierungsbemühungen im Gange. All diese Faktoren stellen ein Hindernis bei der Markteinführung neuer Produkte dar.

Die dritte Hauptregion betrifft den Mittelmeerraum: Spanien, Italien, Südfrankreich und die anderen, kleinen Mittelmeerländer. Ein Hauptcharakteristikum dieses Gebiets sind räuberische Gewohnheiten (Raubkopien), die zur Folge haben, daß sich Standardsoftware nur in kleinen Mengen verkauft. Darüber hinaus wird die wirtschaftliche Struktur der südlichen Länder dominiert von einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen. Auf den Softwaremarkt hat dies die Auswirkung, daß Programme für Verwaltungen und unternehmensspezifische Entwicklungen in größeren Mengen abgesetzt werden als Produktivitätswerkzeuge.

Diese Einteilungen dürfen jedoch nicht zu streng gesehen werden denn es gibt auch Länder - Schweden zum Beispiel - in denen unterschiedliche Trends nebeneinander existieren.

Microsoft, Ashton-Tate und Lotus beherrschen den Marktforschern zufolge auch weiterhin die europäische Software-Szene. Obwohl ihre Marktanteile in den einzelnen Ländern unterschiedlich hoch sind, rangieren sie unangefochten an der Spitze und nennen einen Anteil von rund 50 Prozent am gesamten Markt ihr eigen.

Das größte Ereignis in der PC-Szene war im vergangenen Jahr die Ankündigung von IBMs PS/2-Familie sowie des neuen Betriebssystems OS/2. Branchenbeobachter rechnen damit, daß die Nachfrage im MSDOS-Markt im Laufe dieses Jahres zurückgeht, da die Softwarehäuser den Großteil ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf OS/2Software richten. In der nächsten Zeit werden nur wenige MS DOSApplikationen weiterentwickelt, prognostiziert Intelligent Electronics.

Die Verfügbarkeit von OS/2 wird den europäischen Softwaremarkt neu aufteilen. Zum einen wird Großbritannien wieder einmal dem Rest Europas vorauseilen, weil die amerikanischen Versionen übernommen werden können und die anderen Länder auf die für sie spezifischen Versionen warten.

Auch im Verhalten der Endanwender, obgleich gegenwärtig schwer zu analysieren, wird es klare Unterscheidungen zwischen dem MS-DOSund dem OS/2-Markt geben. Momentan scheint es, als ob sich die auf MS-DOS basierende Standardsoftware im Laufe dieses Jahres vor allem im Großkundenbereich stabilisiert, während die Endanwender auf OS/2-Versionen der wichtigsten Pakete warten. Auch sieht es so aus, als ob die Bestseller unter der sinkenden Nachfrage weniger leiden als die nicht so gut etablierten Produkte, da die Enduser darauf vertrauen, daß die großen Softwarehäuser sie in jedem Fall mit neuen Versionen versorgen.

Aber noch ist alles offen: 1988 wird der Low-Cost-MS-DOS-Markt voraussichtlich noch weiter wachsen, und im zweiten Halbjahr kann man die neue Generation von OS/2Applikationen erwarten. Im darauffolgenden Jahr, wenn mehrere auf die einzelnen Landessprachen zugeschnittene Versionen für OS/2 und den Presentation Manager zur Verfügung stehen, wird die Nachfrage einen kräftigen Aufschwung erleben, der sowohl von neuen PC-Anwendern wie auch den Inhabern bereits installierter Geräte ausgeht.

Informationen: Intelligent Electronics-Dataquest, Tour Gallieni 2, 36 Avenue Gallier 93175 Bagnolet Cedex, Frankreich, Telefon 0033/1/48 97 31 00.