Hohe Anfangsinvestitionen zahlen sich langfristig aus knauserig (Quelle: Forrester Research)

Europas Manager sind beim E-Commerce zu knauserig

14.05.1999
MÜNCHEN (CW) - Wollen sie im Internet-Handel eine führende Rolle einnehmen, so müssen europäische Firmen für ihren Online-Auftritt wesentlich mehr Geld als bislang lockermachen. Das ist die Kernaussage der aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens Forrester Research, "The Price of European E-Commerce". Strategisch und an die Zukunft denken, lautet das Credo.

"Die E-Commerce-Aktivitäten in Europa reichen zur Zeit nicht aus, um neue Kunden zu gewinnen und innerhalb der Entwicklung des Online-Handels wettbewerbsfähig zu sein", bilanziert Forrester-Analyst Joe Sawyer. "Es gibt Unternehmen, die glauben, daß ein E-Commerce-Auftritt darin besteht, eine Seite im Netz zu haben, die einen Kaufmechanismus beinhaltet", pflichtet ihm Christof Ehrhart, Vice-President Corporate Communications bei Bertelsmann Online (BOL), dem E-Commerce-Ableger des Mediengiganten, bei.

Derzeit geben die führenden europäischen E-Commerce-Anbieter im Anfangsjahr durchschnittlich 1,8 Millionen Dollar für Entwicklung und Betrieb ihres Web-Angebots aus. An der Spitze stehen dabei die Kosten für eine Integration der Back-end-Systeme - gefolgt von Marketing und Personal. Genau in diesen Bereichen vermuten die Verantwortlichen zusätzlich die höchsten versteckten Kosten. "Wir wissen nie genau, was auf uns zukommt", so der E-Commerce-Leiter eines Elektronikunternehmens. Erschwerend kommt hinzu, daß die Verantwortung für das E-Commerce-Budget bei zwei Dritteln der befragten Firmen zwischen Marketing und IT aufgeteilt wird - und das, obwohl es oft ein eigenes Internet-Team für die Entwicklung und den Betrieb der Web-Site gibt.

Diese Vorgehensweise sorgt für Reibungsverluste und mangelnden Durchblick. Weil sich so mancher Online-Manager seine Ressourcen in verschiedenen Firmenabteilungen "zusammenborgen" muß, geht der Überblick über die Gesamtkosten schnell verloren. In einem Viertel der befragten Unternehmen können die genauen Hardware-Ausgaben nicht beziffert werden, bei den Aufwendungen für den Kundenservice fehlen gar zwei Dritteln die exakten Zahlen. BOL-Manager Ehrhart vergleicht die Kosten mit dem Bild des Eisbergs: "Ein Siebtel schaut oben raus, das ist die Homepage und der eigentliche Shopping-Mechanismus, und sechs Siebtel liegen darunter, das sind Kosten für Distribution, für die redaktionelle Betreuung und so weiter."

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß die meisten Web-Entre- preneure die Ausgaben unterschätzen, die auf sie in den nächsten Jahren zukommen werden. Wer eine gehörige Portion vom E-Commerce-Kuchen (For- rester schätzt die Einnahmen auf über drei Billionen Dollar im Jahr 2003) abbekommen möchte, müsse in der Lage sein, weltweite Rivalen abzuwehren und die Möglichkeiten eines einheitlichen europäischen Markts auszuschöpfen, so die Analysten.

Simple Me-too-Angebote hätten keine Überlebenschance. Vor allen Dingen die Funktionalität der Web-Site erfordert nach Ansicht der Marktforscher hohe Investitionen. Transaktionen allein sichern keine Loyalität. Wichtig ist also die Personalisierung von Angeboten und die perfekte Integration in vorhandene Systeme. Beispiele sind Auftragsverfolgung und Angebote in Landessprache. Bertelsmann etwa hat 500 Millionen Mark investiert, um BOL auf die Beine zu stellen: "Wir haben gemeinsam mit Oracle eine Plattform entwickelt, die am Anfang sehr viel kostet, bei zunehmender Zahl der Nutzer und Ableger in anderen Ländern aber immer billiger wird." Skalierbarkeit und Flexibilität standen im Mittelpunkt. Neue Anwendungen wie beispielsweise der Verkauf von Musik können wie Lego-Bausteine in die Lösung eingestöpselt werden.

Viele Unternehmen polieren für den Online-Auftritt einfach die vorhandene technische Infrastruktur auf, um Investitionen in neue Architekturen zu vermeiden. Das kann sich schnell rächen: Wer hier zu früh spart, den bestraft der eigene Erfolg, wenn die von Zugriffen überlastete IT nur noch schwerfällig arbeitet oder ganz abstürzt. Nach einer Untersuchung des kalifornischen Diagnose-Dienstleisters Keynote Systems Inc. sind 20 der führenden europäischen Web-Sites im Schnitt nur zu 95 Prozent verfügbar. Im Klartext: 400 Stunden im Jahr kann niemand auf die Server zugreifen und somit auch kein Geld verdient werden.

Was ist zu tun? Forrester hat auf der Basis von knapp 80 Unternehmensdaten ein Modell entwickelt, um die Kosten für einen wettbewerbsfähigen Internet-Auftritt zu ermitteln. Demnach müssen Firmen, die im Business-to-Business-Bereich E-Commerce betreiben, etwa 6,8 Millionen Dollar im ersten Jahr investieren: 3,7 Millionen für die Entwicklung und Einführung sowie weitere 3,1 Millionen Dollar für den laufenden Unterhalt der Web-Site. Unternehmen, die sich an Endkunden wenden, müssen mit Kosten in Höhe von 11,3 Millionen Dollar rechnen.

Die Ausgaben im einzelnen:

-Kundenbindung (Loyalität): Mindestens 1,7 Millionen Dollar kostet die Entwicklung einer sicheren E-Commerce-Plattform mit dynamischen, personalisierten Inhalten, Anbindung an Call-Center und Integration ins Back-end.

-Verfügbarkeit: Eine Million Dollar sollten Firmen einplanen, um eine skalierbare, flexible Architektur mit 99 Prozent Verfügbarkeit aufzubauen. Dazu gehören E1-Leitungen, multiple Router, Firewalls, Gigabit-Switches sowie Web- und DNS (Domain Name System)-Server.

-Mitarbeiter: Um engagierte und kompetente Mitarbeiter für ein Internet-Team zu gewinnen, müssen Firmen wenigstens 2,3 Millionen Dollar lockermachen.

-Marketing: Für eine zielgerichtete, aufeinander abgestimmte Werbung in verschiedenen Medien und für Partnerprogramme werden mindestens 1,8 Millionen Dollar fällig.

Im Business-to-Business-Bereich muß vor allem eine hohe Funktionalität der Web-Site gewährleistet sein, dementsprechend sollten Investionen vorrangig in die Weiterentwicklung der Technologie fließen. Unternehmen, die sich an Endkunden richten, müssen dagegen mehr Geld für das Marketing einplanen. Da die Kundengewinnung und -bindung im Consumer-Bereich eine wesentlich größere Rolle spielt, sind auch die dort geforderten Investitionen ungleich höher: 4,7 Millionen Dollar über sechs Monate für den Aufbau des Angebots und über 6,6 Millionen Dollar für die laufenden Kosten. Dabei verschlingt das Marketing mit mehr als fünf Millionen Dollar den größten Batzen Geld.

Viel Potential liegt hier oft brach. So können Besucher der populären Web-Site des FC Bayern München zwar Tickets für Fußballspiele kaufen, nicht aber beispielsweise Sportartikel des Sponsors Adidas. Auch BOL-Mann Ehrhart sieht vernachlässigte Möglichkeiten: "Viele Unternehmen unterschätzen, daß sie Traffic generieren müssen. Eine schöne Seite ohne entsprechendes Marketing ins Netz zu stellen ist so, als wenn man eine halbe Million Hochglanzkataloge drucken läßt und sich diese dann in den Keller legt in der Hoffnung, daß jemand klingelt und danach fragt."

Entscheidend sei aber in jedem Fall, so der Forrester-Experte Sawyer, daß Anbieter Electronic Commerce als zentrales Geschäftsfeld definieren und nicht nur als einen Vertriebskanal unter vielen ansehen. Höhere Ausgaben rechneten sich durch den dadurch gewonnenen Startvorteil. Während die Wettbewerber dem eigenen Wachstum hinterherlaufen, können Firmen, die anfangs mehr investieren, gelassen bleiben: "Wir mußten am Anfang sehr viel Geld ausgeben, haben aber den Investitionsberg im Grunde schon hinter uns, während er bei anderen stetig anwächst", so das Fazit von BOL-Manager Ehrhart. Über Festpreisverträge mit Outsourcern lassen sich zudem versteckte Kosten kontrollieren. Hier eigneten sich nach Meinung von Forrester besonders Netz- und Hosting-Dienste, um die Performance der Web-Site zu garantieren und unerwartete Zuwächse, besonders auf internationaler Ebene, abzufangen. Auch wenn Unternehmen den Rat von Forrester beherzigen, mehr Geld und Ressourcen in den E-Commerce-Auftritt zu stecken, so können sie sich dennoch nicht zurücklehnen. Weitere Kostensprünge sind beispielsweise bei internationaler Expansion zu erwarten.