IT-Arbeitnehmervertreter bewerten Lage kritisch

Euro-Betriebsräte streben Mindeststandards an

18.10.1996

NIZZA (hk) - Die Situation der Arbeitnehmer in der IT-Branche verschlechtert sich weiter. Unternehmen wollen nichts von Flächentarifverträgen wissen, beschäftigen zunehmend Mitarbeiter als Scheinselbständige und plädieren für eine "neue Risikoverteilung", sprich Einführung variabler Gehälter. Dieser Eindruck herrschte jedenfalls auf einer von der EU gesponserten IT-Arbeitnehmerkonferenz vor.

Vielleicht ist Digital Equipments Lage in Frankreich nicht repräsentativ für eine Branche, die sich wieder erholt haben soll. Sie zeigt aber, daß es wohl ohne permanente Turbulenzen nicht mehr geht. Noch im November letzten Jahres verkündete der oberste Chef Robert Palmer das Ende der Entlassungswelle. Im Frühjahr mußten dann trotzdem nochmals weltweit 7500 Mitarbeiter gehen. Und nun, so Derek Lee, Gewerkschaftsvertreter des US-Konzerns in Frankreich, sollen dort nochmals 800 Beschäftigte entlassen werden.

Sein Unternehmen, das er als "Downsizing-Weltmeister" bezeichnete, habe es damit geschafft, die Belegschaft innerhalb der letzten vier Jahre von 120000 auf über 50000 Mitarbeiter mehr als zu halbieren und sechs Milliarden Dollar für Umstrukturierungen auszugeben.

Mit Sorge verfolge er, wie das Unternehmen Jahr um Jahr Anteile verkauft oder Aktivitäten nach außen vergibt. Überall dort, wo das Unternehmen nicht ganz vorne mitmischt, erfolge ein Re-Engineering mit den bekannten Konsequenzen, sprich Stellenabbau. Als jüngstes Beispiel nannte Lee das Service-Geschäft, das seiner Ansicht nach eine Cash-cow war und nun ebenfalls verscherbelt wurde.

Die österreichischen Arbeitnehmervertreter von IBM waren auf ihren Arbeitgeber ebenfalls nicht gut zu sprechen - im Gegensatz zum deutschen Betriebsratschef Manfred Lausenmeyer (siehe Kasten "Friede, Freude, IBM" auf Seite 102). Sie klagten über die hohe Arbeitsbelastung, die zur Folge habe, daß viele jüngere Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Außerdem wurden die Sozial- und Pensionspläne gekündigt zusätzliches Personal werde nur noch befristet eingestellt.

Horst Richter von der IG-Metall-Zentrale in Frankfurt am Main hat ausgerechnet, daß die deutsche IBM-Tochter durch ihre Umstrukturierung in den letzten drei Jahren 800 Millionen Mark Personalkosten eingespart hat. Und obwohl auch hier, ähnlich wie bei Digital, die Mannschaft in den letzten vier Jahren fast halbiert wurde, sank der Umsatz nur geringfügig.

Die europäischen Arbeitnehmervertreter sind nun dabei, tarifliche Mindestbestimmungen zu erarbeiten.

In Nizza präsentierte eine Arbeitsgruppe erste Ergebnisse, die auch aufgrund der aktuellen Diskussion über Lohnfortzahlung und Kündigung von Tarifverträgen aktueller denn je sind.

Beim Thema Gehalt wünschen sich die Gewerkschaftler vor dem Hintergrund der Diskussion über leistungsbezogene Bezahlung die "Absicherung eines möglichst hohen Fixanteils", wie Gudrun Trautwein-Kalms von der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf, erläuterte.

Der Zuwachs solle mindestens einen Inflationsausgleich schaffen beziehungsweise das Netto-Einkommen sichern. Die zusätzlichen Anteile wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sollen dort, wo es noch nicht der Fall ist, tariflich gesichert werden.

Bezüglich der Arbeitszeit einigte man sich auf die diplomatische Formel "möglichst niedrig, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen". Weitere Forderungen lauten: Überstunden seien möglichst zu vermeiden, befristete Teilzeitarbeit sozial abzusichern, und es müsse ein Recht auf längere, zum Teil bezahlte, Freistellung geben, damit sich Mitarbeiter beruflich weiterqualifizieren könnten. Fortbildungkosten sind vom Arbeitgeber zu tragen, Schulung nach Feierabend ist zu honorieren, etwa in Form von Freizeitausgleich, heißt es weiter im Gewerkschaftspapier.

Bei Dienstfahrten wollen sich die Gewerkschaften dafür ein- setzen, daß der eingeführte Grundsatz "Reisezeit ist Arbeitszeit" weiterhin seine Gültigkeit behält.

Im letzten Punkt geht es um die älteren Mitarbeiter, die bisher in der jungen IT-Branche kaum eine Rolle spielten. Sie sollten ein "Recht auf rechtzeitige Qualifizierung" erhalten sowie eines auf kürzere Arbeitszeit mit sozialer Absicherung.

Friede, Freude, IBM

Die IBM-Chefs hätten ihre Freude am Vortrag ihres Betriebsratsvorsitzenden und DAG-Mitglieds Manfred Lausenmeyer gehabt. Auf der Tagung europäischer IT-Betriebsräte dozierte er über die Unternehmenspolitik wie ein Manager, der seine Lektion gelernt hat sprach von der "Konzentration auf das Kerngeschäft", der "Kostentransparenz", dem zweistelligen Umsatzwachstum und lobte seinen Arbeitgeber für sein Umwelt- und gesellschaftliches Engagement. Als es unter den Zuhörern merklich laut wurde, versuchte er, schnell zum Schluß zu kommen. Mit einem milden Lächeln quittierte er die Frage aus dem Publikum, ob es denn auch eine Arbeitnehmermeinung über die IBM gäbe. Im Gegensatz zu Lausenmeyer standen die Aussagen einiger anderer IBM-Arbeitnehmervertreter, die ein weniger rosiges Bild ihres Arbeitgebers zeichneten.