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EU-Richter zündete die Microsoft-Bombe am letzten Arbeitstag

18.09.2007
Neelie Kroes vermied ganz bewusst Gesten des Triumphs. "Wir tun nur unsere Pflicht", meinte die mächtige Brüsseler Wettbewerbskommissarin nach dem spektakulären Luxemburger Microsoft-Urteil ganz bescheiden.

Ein Sieg auf der ganzen Linie - damit hatten in der EU-Kommission nur wenige gerechnet. Obwohl die Microsoft-Strafen noch unter ihrem Amtsvorgänger Mario Monti verhängt wurden, geht auch die Niederländerin Kroes gestärkt aus dem Marathon-Prozess hervor.

"Das ist ein klares Signal, dass beherrschende Unternehmen nicht ihre Position missbrauchen können, um Verbrauchern zu schaden und die Innovation zu behindern (...)", bilanzierte sie als Lehre für die Zukunft. Kroes erhält mit dem Urteil deutlich mehr Bewegungsfreiheit gegen Giganten wie Microsoft oder den Chip-Weltmarktführer Intel, gegen den seit dem Sommer ein EU-Verfahren wegen Marktmissbrauchs läuft.

Der Präsident des EU-Gerichts, Bo Vesterdorf, hatte zuvor im gut 200 Kilometer entfernten Luxemburg nur 13 Minuten gebraucht, um den Tenor des Urteils zu verkünden. Der 61 Jahre alten Spitzenjurist aus Dänemark erkor sich seinen letzten Arbeitstag im Großherzogtum aus, um kurz vor der Pension die Bombe zu zünden.

Das von Vesterdorf geführte zweithöchste EU-Gericht schmetterte die Klage von Microsoft gegen ein riesiges EU-Bußgeld von 497 Millionen Euro und einschneidende Sanktionen ab. Einige Kenner hatten die Niederlage für den weltgrößten Softwarekonzern schon kommen sehen. "Schon die Terminwahl war ein Zeichen für eine glasklare Entscheidung", meinte einer von ihnen.

Nach der Verlesung, die um punkt 09.30 Uhr startete, wurden den Anwälten die Kopien des in englischer Sprache ausgefertigten und 248 Seiten starken Urteils ausgehändigt. Einige der Juristen trugen die in Großbritannien üblichen Perücken. Microsoft-Chefjustiziar Brad Smith, der in dem Jahre langen Prozess oft nach Europa gekommen war, faltete vor dem Richterspruch hoffnungsvoll die Hände und lächelte in Richtung der Richterbank.

32 Minuten nach der Verlesung trat Smith vor die Medienvertreter, im Hintergrund waren die Fahnen der EU-Staaten aufgereiht. Artig dankte er dem Gericht "für die lange Beratung" in dem seit drei Jahren dauernden Rechtsstreit. "Das sind ganz offensichtlich komplizierte Fragen." Nachdem er das Urteil der Richter in der Frage der Software-Treuhänder gelobt hatte - dem einzigen Punkt, in dem sich Microsoft gegen die Kommission durchsetzen konnte - räumte er betrübt ein: "Es ist mir schon klar, dass vermutlich niemand behaupten würde, dies sei der wichtigste Punkt des Verfahrens."

Smith sah einen Gewinn des Urteils: "Wir haben jetzt neue Klarheit." Auf die Vorhersage von Kroes, wonach der Marktanteil von Microsoft bei Computerbetriebssystemen von derzeit 95 Prozent fallen werde, entgegnete er ausweichend: "Marktanteile neigen dazu, auf und ab zu gehen(...)." Mit dem Urteil dürfte die Brüsseler Microsoft-Schlacht noch lange nicht beendet sein. Der Konzern könnte beim höchsten EU-Gericht in Berufung gehen. Und Neelie Kroes könnte die Geduld verlieren und noch ein weiteres Microsoft-Bußgeld in dreistelliger Millionenhöhe verhängen. (dpa/tc)