EU hat das Projekt Eurase gestartet Europas Softwarebranche muss innovative Strategien suchen

11.11.1994

Von Harald Summa*

Die Dominanz der US-Unternehmen sowie Konzentrationstendenzen auf dem europaeischen Softwaremarkt zwingen vor allem kleinere Unternehmen, neue Formen der Kooperation und des Marketings auszuprobieren. So das Ergebnis eines Erfahrungsaustauschs, zu dem die IT-Industrie kuerzlich im Rahmen des EU-Projekts "Eurase" zusammenfand.

Der Wandel der IT-Branche ist noch lange nicht abgeschlossen. So lautet das Fazit der Expertenrunde, die unter dem Thema "User-vendor Collaboration in Software Innovation" stand. Sie war als Teil des von der Europaeischen Union (EU) ins Leben gerufenen Pilotprojekts Eurase konzipiert und soll durch zwei weitere Workshops sowie einen abschliessenden Kongress Ende April kommenden Jahres ergaenzt werden.

Eurase gehoert zum EU-Projekt ESSI (European Software and Systems Initiative). Ziel dieser "Dissemination Action" ist es, einen organisatorischen Rahmen fuer den europaeischen Erfahrungsaustausch der Software-Industrie zur Verfuegung zu stellen. Mit der Durchfuehrung des Projektes hat die Europaeische Kommission ein von der KPMG Unternehmensberatung gefuehrtes Konsortium beauftragt, in dem auch die Hochschule St. Gallen und das britische "Impact Programme" mitarbeiten.

Staatlicher Protektionismus

Der erste Workshop wurde von Bettina Horster, Unternehmensberaterin bei SSM Consult, eroeffnet. In ihrem Referat "Structures and Changes of the Market - what is wrong with the Software Market" brachte sie die Situation der europaeischen Software-Industrie auf den Punkt: The Americans are the real Europeans! Spracheinfluesse und staatlicher Protektionismus haetten eine wettbewerbsfaehige europaeische Software-Industrie verhindert und den Amerikanern die Moeglichkeit gegeben, sich ueber ihren ohnehin schon grossen Heimmarkt hinaus beachtliche Marktanteile in Europa zu sichern.

Einzig in Frankreich sei es mit Hilfe eines protektionistischen Einkaufsverhalten der oeffentlichen Hand gelungen, grosse und finanzstarke Software-Unternehmen zu etablieren. Zudem habe dort das zentralistisch orientierte Wirtschaftssystem dazu gefuehrt, der heimischen Software-Industrie im europaeischen Kontext eine tragende Rolle zu verschaffen. Die Orientierung und Konzentration der franzoesischen Softwarehaeuser auf spezifische Branchensegmente und eine fruehzeitige Penetration der internationalen Maerkte geben ihnen die Chance zu weiterer Expansion.

Laut Horster sind es aber nicht nur die politischen Rahmenbedingungen in Europa, die dem Erfolg der Amerikaner zugrunde liegen.

Eine staerkere Marktorientierung, die besseren Moeglichkeiten der Finanzierung, insbesondere die Verfuegbarkeit von Risikokapital, und die allgemein groessere Risikobereitschaft sind die Staerken der US-Unternehmen im Vergleich zur europaeischen, besonders der deutschen Software-Industrie. Die Analystin wies in diesem Zusammenhang vor allem darauf hin, dass die Amerikaner Visionen haben, die sie zu verwirklichen suchen.

Den Anteil des Standardgremiums X/Open an der Entwicklung der Software-Industrie betonte Wim Vink, Vice-President European Operations des Konsortiums, das sich als Integrator zwischen Anwendern und Herstellern von informationstechnologischen Produkten begreift. Kuenftig will X/Open die Integratorenrolle verstaerkt von der Anwenderseite her angehen: mit neuen Aktionsprogrammen, die die Forderungen der Benutzer schneller und effizienter zu den IT-Herstellern bringen und zu erweiterten Entwicklungspartnerschaften fuehren sollen.

Neue proprietaere Abhaengigkeit

Mit "collaborative, complimentary, but different" umschrieb Vink die neue Position von X/Open, die vor allem eine von "Business Requirements" vorangetriebene Entwicklung der Standardisierung vorsieht. Das Ziel ist, sowohl "Time to Market" als auch die Kosten der Informationstechnologie fuer den Anwender positiv zu beeinflussen.

Auch die OSF sieht sich zukuenftig in einer mehr den Anwendern zugewandten Rolle. Laut Alain Frastre, Managing Director der OSF in Bruessel, hat die Zusammenfuehrung der OSF- mit den Unix- International-Aktivitaeten nichts an der Mission geaendert, der sich die OSF verpflichtet fuehlt: der Entwicklung herstellerneutraler und interoperabler Technologie.

X/Open und OSF sind sich ueber ihre kuenftige Aufgabenteilung einig: Organisatorisch heisst das, X/Open kumuliert mit ihren "Xtra"- Prozessen die Anwenderwuensche, die die OSF technologisch umsetzt. Waehrend OSF die Produkte entwickelt, liefert X/Open die Testtechnologie und nimmt das abschliessende Branding vor.

Die neue OSF ist durch eine geaenderte Finanzierung von Organisation und (Entwicklungs-)Projekten moeglich geworden. Die gesamte OSF-Infrastruktur wird jetzt durch die Beitraege der Mitglieder getragen, waehrend Entwicklungen separat von den Sponsoren in Auftrag gegeben und bezahlt werden. Auf diese Weise will die OSF ihre Technologien schneller und risikoloser auf den Markt bringen.

Anscheinend haben X/Open und OSF aus der Vergangenheit gelernt und ihre Strukturen noch rechtzeitig den geaenderten Marktverhaeltnissen angepasst. In der abschliessenden Diskussion blieb aber die Frage offen, ob die Software-Industrie den Marktfaktoren X/Open und OSF kuenftig mehr Vertrauen schenken wird. Es ist durchaus moeglich, dass die Kraefte der Marktfuehrer - hier warfen die Teilnehmer einen Seitenblick auf Microsoft - die hehren Ziele der Open-Systems- Organisationen zunichte machen und die Softwarehaeuser in eine neue proprietaere Abhaengigkeit zwingen.

Angesichts des Wandels in der Branche stellt sich die Frage, welche Chancen die kleinen und mittleren Softwarehaeuser ergreifen, um sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Sicherlich haben viele diese neuen Aufgaben nicht fruehzeitig genug erkannt oder waren unfaehig, sich ihnen anzupassen.

Die Marktbereinigung durch Aufkauf oder Aufgabe ist deutlich sichtbar geworden, die Konzentration hat zugenommen. Andererseits scheint es aber noch immer genug Idealisten und Pioniere zu geben, die in der Software-Industrie ihr Eldorado sehen, denn die Zahl der Markteintritte ist nach wie vor hoch.

Wie die Marktveraenderungen durch partnerschaftliche Kooperation bewaeltigt und mitgestaltet werden koennen, habe ich in meinem Referat "Koelner Software-Hanse - ein kooperatives Modell fuer kleine und mittlere Software- und Service-Unternehmen" dargestellt. Die seit 1990 erfolgreich zusammenarbeitenden Unternehmen der Koelner Software-Hanse sahen die Konzentrationsentwicklung auf dem Markt fruehzeitig auf sich zukommen. Durch eine horizontale Kooperation auf der Basis neuer juristischer und sozialer Ideen gelang es den Hanse-Mitgliedern, dem Dilemma vieler Softwarehaeuser zu entgehen und trotz rezessiver Markttendenz unabhaengig und erfolgreich zu sein.

Grundlage des Hanse-Modells sind die unternehmerische Unabhaengigkeit, aber auch das gemeinschaftliche Auftreten und Handeln, wo es notwendig ist. Die Synergie durch Akkumulation der Ressourcen soll nicht nur eine sporadische Willensbekundung sein, sondern eine auf Dauer gerichtete Vereinbarung. Die Koelner sowie neuerdings auch die Dortmunder Software-Hanse wollen durch Know- how-Pooling und faktische Groesse ein akzeptierter Auftragnehmer fuer Grossprojekte werden.

Probleme mit der Akzeptanz dieses Modells gibt es allerdings bei den oeffentlichen Auftraggebern. Wie das Hanse-Mitglied Experteam GmbH fordert, ist es an der Zeit, die Beschaffungsprozesse der Oeffentlichen Hand dahingehend zu ueberpruefen, ob nicht auch eine Arbeitsgemeinschaft mittelstaendischer Unternehmen bei der Ausschreibung von Grossprojekten beruecksichtigt werden koenne.

Die lange und angeregte Diskussion der Workshop-Teilnehmer zeigte, dass es immer noch Defizite beim Umsetzen und beim Management von Software-Kooperationen gibt. Im allgemeinen sieht es so aus, als seien die Softwarehaeuser wenig geneigt, ihre egoistische Haltung zugunsten einer Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen aufzugeben. Zum Teil kann das allerdings als Ergebnis einer starken Abhaengigkeit von bestimmten Herstellern gewertet werden.

Rainer Hofmann von der KPMG Unternehmensberatung lieferte dem Auditorium Diskussionsstoff zum Thema "Turnaround for the IT- vendors - from Selling to providing Services". Seine Thesen basieren auf der Erkenntnis, dass in der Vergangenheit die klassischen Marketing- und Kommerzialisierungsmethoden in der IT- Industrie versagt haben.

Der Trend geht laut Hofmann zu den Serviceleistungen. Die klassische Produkt- und Technikorientierung trete zugunsten einer Loesungsorientierung in den Hintergrund. Dienstleistungs-Management werde das Produkt-Management ergaenzen - und zwar bei grossen wie bei kleinen Marktteilnehmern. "Die Softwarehaeuser muessen von den grossen Unternehmensberatungen lernen; andernfalls werden die kleinen von den grossen Standardsoftwarehaeusern absorbiert", konstatierte Hofmann.

Ein Erfolgsfaktor fuer die Umorientierung der Software-Unternehmen wird nach Hofmanns Auffassung auch die generelle Ausrichtung der Unternehmenskultur sein. Die Haeuser haetten die Wahl zwischen einer "Hunting"- und einer "Farming"-Einstellung, das heisst: zwischen einer individuellen, auf Diversifikation und Flexibilitaet ausgerichteten Streetfighter-Mentalitaet mit autonomen Entscheidungseinheiten oder einer kollaborativen Teamplayer-Rolle mit koordinierten und einander bedingenden Entscheidungsfindungs- Prozessen. Beides zugleich sei nicht moeglich.

Der naechste Eurase-Workshop wird am 24. und 25. November dieses Jahres in Bruessel stattfinden, der abschliessende Kongress am 25. und 26. April 1995 in Heidelberg. Bleibt zu hoffen, dass die in den Expertenrunden erarbeiteten Empfehlungen in der Branche und bei der Europaeischen Kommission die notwendige Beachtung finden.

* Harald Summa ist Geschaeftsfuehrer der Summa Unternehmensberatung in Dortmund.