Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen bei Fertigungssteuerungssystemen:

Es mangelt noch an spezifischer Software

25.11.1983

Im fertigungstechnischen Verwaltungsbereich, der Fertigungsorganisation, liegen heute die größten Rationalisierungsreserven. Vor allem Klein- und Mittelbetriebe nutzen den Rechner in diesem Bereich noch relativ selten. Gründe: Der Planungs- und Einführungsaufwand sei zu hoch, und "es" bringe ohnehin keine Vorteile. Doch diese Vorbehalte haben ihren Ursprung vor allem in einem eklatanten Informationsdefizit.

Eine Möglichkeit, Unternehmen von den Vorteilen des Rechnereinsatzes in der Fertigungsorganisation zu überzeugen, ist die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Dabei ist jedoch schon das Schätzen der Lebensdauer von Hardware- und vor allem Softwareprodukten so vage, daß minutiöse Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen häufig nur als schlechter Scherz angesehen werden können.

Bei größeren Projekten, die stark innovativen Charakter haben, ergibt die nachträgliche Kostenbetrachtung in der Regel so immense Werte, daß man, hätte man sie von vorneherein gekannt, niemals begonnen hätte, das Projekt zu realisieren.

Auf der anderen Seite zeigt sich gerade bei solchen Projekten häufig auch nachträglich eine im voraus einfach nicht quantifizierbare Einsparung, die im Endeffekt das Projekt dann doch rechtfertigt. Die Gegenüberstellung von Kosten auf der einen, Leistung auf der anderen Seite sollte zwar erfolgen, aber die grundsätzliche Entscheidung des Managements nicht vorwegnehmen.

Auf der Kostenseite unterscheidet man üblicherweise einmalige und laufende Kosten. Die einmaligen Kosten können über die Lebenszeit in jährliche Kosten umgerechnet werden. Folgende Positionen sind unter anderem zu berücksichtigen:

Einmalige Kosten für Standardsoftware, Dokumentation, Test und Implementierung.

Laufende Kosten für Hardware, Wartung, Erfassung, Auswertung und Kapitalisierung.

Zu den üblicherweise genannten einmaligen und laufenden Kosten entsprechend der Aufstellung kommen nicht quantifizierbare Nachteile hinzu, die bei der Datenverarbeitung gerne vergessen werden. Sie bestehen insbesondere in den erhöhten Anforderungen an die Datenqualität, sich aufweitere Bereiche als nur auf die in den Erfassungskosten zum Ausdruck kommenden Werte erstreckt: Überall muß genauer gearbeitet, die Organisationsanweisungen müssen eingehalten, und es informationsbewußt gearbeitet werden.

Unsicherheitsfaktoren

Auf der Ertragsseite sind folgende Positionen zu berücksichtigen.

Einmalige Erträge aufgrund reduzierter Bestände in Lager oder Werkstatt.

Laufende Erträge durch erhöhte Kapazität, geringere Kapitalbildung und niedrigere Lagerkosten sowie weniger manuelle Arbeiten.

Nicht quantifizierbare Erträge; bei den Erträgen ist die Angabe nicht quantifizierbarer Positionen (Verbesserung von Planungsflexibilität und Kontrolle, höhere Aktualität) ein gewohntes Bild, das auch durchaus gerechtfertigt ist. Man muß nur so fair sein, auf der Kontoseite die entsprechenden Positionen anzugeben.

In der Regel sind, zumindest bei den großen innovativen Projekten, auch die quantifizierbaren Anteile recht schwer zu bestimmen und bergen sehr große Unsicherheitsfaktoren in sich. Erfahrungswerte sind hier Ausweg und Kalamität zugleich.

Diese Unsicherheitsfaktoren und ihre Beziehungen zueinander sollten dem Management - trotz der starken Leistung- und Kostenorientierung unserer Wirtschaft - zunehmend ins Bewußtsein rücken und ihm klarmachen, daß Entscheidung und Entscheidungsfindung sich im unternehmerischen Geschehen nicht durch reine Quantifizierung umgehen läßt. Dennoch ist die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ein geeignetes Mittel, um die Kostenvorteile aufzuzeigen, dadurch den Entscheidungsprozeß zu erleichtern und den Rechnereinsatz zu rechtfertigen.

Während in den Anfängen der EDV beim Anwender der größte Teil der Kosten durch Maschinenkonfiguration verursacht wurde und auf die Software durchschnittlich höchstens ein Drittel der EDV-Gesamtkosten entfiel, hat sich inzwischen das Verhältnis der Hardware- zu den Softwarekosten nahezu umgedreht.

Kostenentwicklung auf dem Softwaremarkt

Die größten Rationalisierungsreserven der Datenverarbeitung werden deshalb im Softwarebereich vermutet. Dabei bietet Standard-Software gegenüber der individuellen Programmierung folgende Vorteile:

- kostengünstig (Entwicklungskosten verteilen sich auf mehrere Anwender),

- Zeitersparnis (die Zeit für die Anpassung eines Standardprogrammes ist wesentlich geringer als die Zeit für eine Neuentwicklung

- Kompensierung vorhandener Personalengpässe oder Know-how-Mangel.

Leistungsfähige Planungs- und Steuerungssysteme für die Produktion sind so komplex, daß eine Eigenentwicklung wohl nur noch in seltenen Fällen in Frage kommen kann. Ein Aufwand von einhundert Mannjahren ist hierfür schnell vertan, und das Risiko der Weiterentwicklung bleibt vollständig beim Softwarehersteller. Gleichwohl ist eine Beurteilung der Systeme nur dann angemessen möglich, wenn man sowohl die Gesamtzusammenhänge wie auch die Details kennt. Wenn das Wissen hierüber starker beim Anwender eingedrungen wäre, könnten wir sicher schon mit komfortablen Softwaresystemen von den Anbietern rechnen.

Beurteilung der Software

Wichtiger als die Auswahl der Hardware ist die Auswahl und Beurteilung der Software, wobei drei Ebenen unterschieden werden:

- primäre Qualitätsmerkmale

- Zusatzleistungen und ergänzende Qualitätsmerkmale

- äußere Randbedingungen.

Im folgenden wird der Schwerpunkt auf die Darstellung der primären Qualitätsmerkmale gelegt, da sie die wichtigsten Kriterien zur Auswahl der geeigneten Software beinhalten:

1) Funktionsumfang

Dieser umfaßt alle betriebswirtschaftlichen Funktionen wie Auftragsterminierung oder Kalkulation sowie die DV-technischen Funktionen (Verwaltungs-, Steuerungs-, E/A-Funktionen) eines Softwarepaketes. Bei der Betrachtung des Funktionsangebotes sollte weiterhin klar getrennt werden zwischen dem standardmäßigem Funktionsangebot und der funktionellen Erweiterbarkeit sowie zwischen der Eigenständigkeit und der Unterstützung von Funktionen.

Die Beurteilung des Funktionsumfanges wirft im allgemeinen Probleme auf, da Werbebroschüren oder Einsatzberichte der Softwarehersteller darüber meist keinen Aufschluß geben. Somit kann die Beschaffung der nötigen Informationen lediglich über den Anbieter selbst (etwa durch gezielte Fragen zur jeweiligen Anwendung) erfolgen.

2) Effizienz

Effiziente Software zeichnet sich durch geringen Arbeitsspeicherbedarf, geringe CPU- und Verweilzeiten sowie Bedarf an Peripherie aus. Gerade mit wachsendem Einsatz von Realzeitlösungen gewinnen spezielle Effizienzkriterien, wie Zeitbedarf zur Datensicherung oder Wiederanlaufzeit nach einem Systemzusammenbruch, an Bedeutung. Die Effizienz eines Softwarepaketes läßt sich daher hauptsächlich an der Überprüfung des Arbeitsspeicherbedarfs und des Laufzeitverhaltens von Programmen beurteilen.

3) Benutzerfreundlichkeit

An die Benutzerfreundlichkeit von Software werden folgende Anforderungen gestellt:

- anwenderfreundliche, verständliche Kommunikation durch Auskunfts- und Hilfsfunktionen

- Stabilität gegenüber irrtümlicher oder bewußt falscher Bedienung und

Benutzung (auch "Schutz vor Dummen und Bösen" genannt)

- einfache Handhabung, also Aufteilung des Softwarepaketes in wenige überschaubare Programme und Dateien (wichtig für den Operator)

- verständliche, möglichst in Deutsch abgefaßte Dokumentation (hauptsächlich bei Standardsoftware)

- bequeme Anpassung an anwenderspezifische Wünsche

- übersichtliche und verständliche Ein- und Ausgaben

- Musterlisten bei Batch-Programmen

- Reaktionen und Anworten des Systems sollten für den Anwender plausibel und verständlich sein (in welcher Sprache wird der Dialog mit dem Computer geführt?)

4) Flexibilität

Programme sollten:

- mit geringem Aufwand und ohne Beeinträchtigung der Qualität geändert werden können

- etwaige Mängel leicht lokalisieren und mit geringem Aufwand beheben lassen.

Die Flexibilität läßt sich anhand der Programmlisten von Quellprogrammen (in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der zu verwendenden Programmiersprache) und durch das Austesten der Kombination von Funktionsmodulen beurteilen.

5) Portabilität

Die Portabilität ist ein Maß dafür, wie einfach sich in Programm von einem Betriebssystem auf ein anderes übertragen läßt. Die Beurteilung erfolgt durch die Gegenüberstellung von Schnittstellen verschiedener Hardware sowie durch direkte Informationen des Programmanbieters.

6) Zuverlässigkeit

Diese beinhaltet die Fehlerfreiheit beziehungsweise die schnelle Erkennung von Hardware-, Bedienungs-, Übertragungs- und Eingabefehlern. Die Zuverlässigkeit läßt sich beurteilen durch

- die Art und Wahrscheinlichkeit der auftretenden Fehler und Ausfälle, möglicherweise auch durch den Erfahrungsaustausch mit anderen Anwendern

- die Reaktion der Software auf Fehler, die mit Hilfe bestimmter Tests festgestellt werden kann

- die Prüfung der Wiederanlaufzeiten.

Äußere Randbedingungen geben letzten Ausschlag

Die zweite Ebene zur Beurteilung der Software umfaßt die Zusatzleistungen und ergänzenden Qualitätsmerkmale, charakterisiert durch folgende Kriterien:

- Art und Umfang der Dokumentation

- Besichtungsmöglichkeit der Software bei anderen Anwendern?

- Können Referenzen angegeben werden?

- Wieviel Zeit könnten Reparatur und Ersatzteilbeschaffung in Anspruch nehmen?

- Wie sieht die Schulung der Mitarbeiter aus?

- Ist ein Service (Beratung und Unterstützung des Herstellers vorgesehen? - Werden Zusatzbausteine für die mögliche spätere Erweiterung angeboten?

- Kosten des Wartungsvertrages

Den allerletzten Ausschlag dafür, ob ein für gut befundenes Softwarepaket schließlich zum Einsatz kommt, geben die äußeren Randbedingungen:

- Preis des Programmpaketes (auch Miete und Wartungskosten)

- Verfügbarkeit (wann und in welcher Version)

- Garantieleistungen- Image des Softwareherstellers

- Vertragsbedingungen

PPS-Kennzahlen aus der Praxis

Nachfolgend sollen einige Daten und Kennzahlen als Anhaltspunkt dafür dienen, ob ein PPS-System lohnt.

Eine Untersuchung der Weigang-Organisation ergab für die Installation eines Leitstandes folgende Kennzahlen:

- Liefertermineinhaltung:

Nach einer Brankamp-Untersuchung wurden 68 Prozent aller Aufträge bis zu neun Wochen zu früh und 30 Prozent bis zu zehn Wochen zu spät fertiggestellt. Nach Einführung des Leiststandes verbesserte sich die Termineinhaltung um 47 Prozent, so daß durchschnittlich 89 Prozent aller Aufträge termingerecht geliefert wurden.

- Bestandsreduzierung im Zwischenlager 20 Prozent

- Bestandsreduzierung im Rohstofflager 8 Prozent

- Reduzierung der Durchlaufzeiten 30 Prozent

- Abbau von Überstunden 20 Prozent

- Reduzierung von Arbeitsunterbrechungen 23 Prozent

- Erhöhung der Kapazitätsauslastung 9 Prozent

- Erhöhung der Produktivität 10 Prozent

Umgerechnet ergab sich bei Leitstandkosten von l00000 Mark eine Amortisationszeit von weniger als 0,7 Jahren.

Bei Einsatz eines EDV-unterstützten PPS-System sind nach Erkenntnissen der RWTH Aachen folgende Kennzahlen realisierbar

Nach Brankamp konnten die folgenden Daten erreicht werden, wobei zu beachten ist, daß nicht alle Daten zusammen realisierbar sind, da sie zum Teil gegenläufigen Charakter haben.

In einem Beispiel der RWTH Aachen betrug der Rationalisierungserfolg sechs Prozent vom Umsatz, obwohl die EDV-Kosten total mit 2,5 Prozent weit über den Erfahrungswerten liegen. Von den Rationalisierungserfolg entfielen auf

Konstruktion 23 %

Arbeitsvorbereitung 23 %

Lager 17 %

Einkauf 11 %

Kalkulation 11 %

Fertigung 9 %

Buchhaltung 5 %

Obwohl die Zweckmäßigkeit des Einsatzes leistungsfähiger Methoden und effizienter Hilfsmittel zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit auch von klein- und mittelständischen Betrieben erkannt wird, scheuen viele Unternehmen die Rechnereinführung, insbesondere wegen des vermeintlich hohen Planungs- und Einführungsaufwandes.

Durch systematische Vorgehensweise läßt sich dieser Aufwand reduzieren. Zur Minderung des Informationsdefizits und als Orientierungshilfe zur Grobauswahl von Rechnersystemen können Marktübersichten zur Hard- und Software für den Bereich der Fertigungsvorbereitung dienen. Deutlich wird in diesem Zusammenhang der Mangel an spezifischer Software für Teilaufgaben der Fertigungsvorbereitung. Da erst eine geeignete Software den Klein- und Mittelbetrieben die schrittweise Einführung einer Rechnerunterstützung mit preiswerten Computersystemen ermöglicht, besteht trotz der Vielzahl der vorhandenen Programmsysteme hier immer noch eine deutliche Lücke.

* Dr. Rolf Vieweg ist geschäftsführender Gesellschafter der Org-Industriedienst GmbH, Hamburg.