Es gibt einen Telecom-Chauvinismus

08.07.1983

Dr. Roland Mecklinger Vorstandsmitglied der SEL, Stuttgart

Wenn ein hochentwickeltes Land wie die Bundesrepublik

Hand, das die Entwicklung der Telekommunikation in vorderster Front mitbestimmt - oftmals sogar als Mekka der Telekommunikation bezeichnet wird - offenbar selbst von der Dynamik und der Breite der Technik überrascht wird und angesichts der immer schnelleren Entwicklungsschübe beachtliche Schwierigkeiten hat, dies alles zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen, dann sollten wir uns ganz entschieden davor hüten, den sich öffnenden Trichter der Telekommunikation quasi von oben den Ländern der Dritten Welt aufstülpen zu wollen. Sie wären mit der Fülle möglicher Anwendungen und vor allem möglicher Auswirkungen hoffnungslos überfordert.

Janusköpfigkeit

Es gilt also, sehr genau zu hinterfragen, welche Technik für welches Land sinnvoll, badarfsgerecht und umsetzbar ist. Dieser Mitverantwortung, die - wie ich meine - mit der Mikroelektronik sicherlich noch enorm gestiegen ist, dürfen sich die exportierenden Länder nicht entziehen.

Denn die Janusköpfigkeit der Mikroelektronik birgt für die nichtentwickelten Länder weit mehr Gefahren als für jene die diese Technik selbst entwickeln.

Anders als vielleicht noch vor 10 bis 15 Jahren dürfen wir aber heute die Entwicklungsländer nicht mehr unter dem globalen Etikett "Dritte Welt" als homogene Ländergruppe betrachten. Unterschiedliche entwicklungsstrategische Ansätze verbieten inzwischen eine solchermaßen undifferenzierte Zusammenfassung.

Während zum Beispiel die ölexportierenden Länder auf der Basis hoher. Rohstoffverfügbarkeit und damit zumindest potentiellen Reichtums auf breiter Front ihre Industrialisierung vorantreiben wollen, fehlt den asiatischen und europäischen Schwellenländern diese Basis. Sie sind jedoch durch frühzeitige Hinwendung auf moderne Technik im Grad ihrer Industrialisierung wesentlich weiter. Dazwischen sind die südamerikanischen Schwellenländer anzusiedeln, die beides anstreben: Stärkere Erschließung von Rohstoffreserven und stärkere Industrialisierung. Gerade die asiatischen und südamerikanischen Schwellenländer sind ja auf verschiedenen Gebieten höherwertiger Verbrauchs- und auch Investitionsgüter zu ernsthaften Konkurrenten für die hochentwickelten Länder geworden.

Für die Ärmsten der Armen gilt wiederum ein ganz anderer Ansatz. Für die Entwicklungsländer geht es darum, zunächst einmal Grundbedürfnisse sozialer und gesellschaftlicher Art zu befriedigen und die Startvoraussetzungen zu verbessern. Oftmals verfügen diese Länder über geeignete Rohstoff-Ressourcen, aber sie können als Basis für eine Industrialisierung kaum genutzt werden, weil es an infrastrukturellen und kommunikativen Einrichtungen fehlt.

Die Kommunikationstechnik ist in hervorragender Weise dazu geeignet, diesen Circulus vitiosus zu durchbrechen, aber sie muß die Flexibilität mitbringen, auf völlig unterschiedlichen Entwicklungsniveaus anzusetzen und völlig unterschiedliche entwicklungsstrategische Ansätze zu berücksichtigen. Auch hier kann ich nur dringend davor warnen, die Entwicklungsländer über einen Kamm zu scheren.

Niemand hegt heute ernsthafte Zweifel daran, daß die Güte der Infrastruktur, eines Landes von entscheidender Bedeutung für seine Wirtschaft und seine Handelsbeziehungen ist. Dabei hängen die einzelnen Infrastrukturbereiche wechselseitig voneinander ab. Zu einem gut ausgebauten Transport- und Straßennetz gehört eine entsprechende Energieversorgung ebenso wie zu einer arbeitsteiligen Leistungs- erstellung ein gut funktionierendes Informations- und Kommunikationssystem. Das heißt, einzelne Bereiche werden nur dann ihren optimalen Nutzen bringen, wenn die Gesamtheit der Infrastruktur gleichmäßig und organisch wächst.

Es besteht weiterhin allgemein Übereinstimmung darüber daß das Fernmeldewesen innerhalb dieser infrakstrukturellen Gesamtheit eine zentrale Position einnimmt. Die Weltbank schreibt zu diesem Thema:

"Fernmeldesysteme können als das zentrale Nervensystem komplexen Gesellschaft beschrieben werden, welche Informationen zwischen ihren einzelnen Bereichen übermittelt."

Eine exakte quantitative Bestimmung der Wirkung des Fernmeldewesens wird freilich kaum möglich sein. Investitionen in diesem Bereich haben ja gerade den Charakter, daß sie wie Multiplikatoren die positiven Einflüsse auf gesamtwirtschaftliche Größen verstärken: Nicht die Beschaffung, sondern die Nutzung des Telefons ist der hauptsächliche Multiplikator. Er hat eine Erhöhung der Nachfrage nach Investitionsgütern und damit eine direkte Wirkung auf Produktion und - Beschäftigung zur Folge.

Allerdings darf man aus diesem Zusammenhang keine einseitige kausale Abhängigkeit ableiten, etwa von der Art, daß eine bestimmte Telefondichte einen bestimmten Entwicklungsstand bedingt der verhält es sich eher wie mit der Henne und dem Ei. Was ist Ursache und was Wirkung. Für industrialisierte Staaten, die über eine gewisse Infrastruktur verfügen, steht außer Frage, daß der Einsatz von Kommunikationsmitteln die Effizienz in Verwaltung Dienstleistung und Produktion noch und deshalb so Telekommunikation in diesen Ländern im Hinblick auf die Entfaltung der Wirtschaftskraft eine sehr hohe Priorität genießen.

Voraussetzung und Folge

Als Fazit bleibt festzuhalten. Die Telekommunikation ist sowohl Voraussetzung als auch Folge des wirtschaftlichen und sozialen Aufschwungs. Unter beiden Gesichtspunkten weisen jedoch vor allem die armen Entwicklungsländer einen erschreckend hohen Mangel an Telekommunikationseinrichtungen auf, und man darf getrost dem oft geäußerten Vorwurf entgegentreten, der Ausbau des Telefonnetzes diene in solchen Ländern primär der Befriedigung von Luxusbedürfnissen einer kleinen Oberschicht.

Aus Sicht der Technik und des Wettbewerbs darf man hin. gegen durchaus von einem gewissen Telecom-Chauvinismus sprechen, denn welche Chance hatten und haben diese Länder Oberhaupt, aus den konialen Strukturen auszubrechen?

Auszug aus einem Vortrag mit dem Titel "Telekommunikationstechnologie und Export", der anläßlich der 24. Post- und Fernmeldetechnischen Fachtagung des VDPI 1983 in Hannover gehalten wurde. (VDPI = Verband Deutscher Post-Ingenieure e.V.)