Erste Weltmeisterschaft für Chess-Programme auf Kleincomputern:\Münchner Schach-Mephisto siegt in Paris

17.07.1981

PARIS - Mit einem Punkt Vorsprung errang der Prototyp "Mephisto X" der Münchner Hegener & Glaser GmbH die Siegespalme bei der ersten Weltmeisterschaft für Schachprogramme auf Kleincomputern, die vom 28. bis 31. Mai 1981 in Paris ausgetragen wurde. Den zweiten Platz belegten gemeinsam die favorisierten Geräte "Boris MGS III" von der amerikanischen Applied Concepts Inc. und "MK 5" von SciSys, Hongkong (siehe Tabelle).

Viele Computerschach-Experten mag der Mephisto-Erfolg in dieser inoffiziellen Weltmeisterschaft der Mikros überraschen. An der Spitze hatte man eigentlich den mittlerweile "sagenumwobenen" Prototyp "MK 5" der Hongkonger SciSys oder das neueste serienmäßige Modell "Boris MGS III" des US-Herstellers Applied Concepts Inc erwartet. Durch seine bemerkenswerten Ergebnisse vor allem gegen menschliche Gegner hatte "MK 5" auf der Nürnberger Spielwaren-Messe im Frühjahr 1981 auf sich aufmerksam gemacht. Selbst der Autor dieses Berichtes war vor allem von den strategischen Fertigkeiten dieser Neuentwicklung so angetan, daß er sich zu einer zweistündigen Turnierpartie in einem Nürnberger Hotel überreden ließ. (Siehe Stellung 1).

Bei einem Simultanspiel in der Nähe von Hamburg schaffte dieses von einer englischen Programmier-Crew unter der Leitung von David Levy entwickelte Programm fast ein Unentschieden gegen Großmeister Ludek Pachman.

Viel Beachtung fand auch das Remis, das "MK 5" gegen die ältere Version des amtierenden Schachweltmeisterprogramms "Belle" in einem improvisierten Zweikampf während einer Sitzung der International Computer Chess Assotiation (ICCA) erreichte.

Viel Aufhebens von sich machte ein weiteres "heißes Eisen" im Pariser Turnier: das fließbandfrische Modell "Boris MGS III" (Multigame System) von der Applied Concepts Inc., USA. Dieses Programm basiert auf dem bewährten "Sargon 2.5" von Dr. Dan and Kath Spracklen. Man war gespannt, ob es dem texanischen Nachfolgeteam bei Applied Concepts Inc. unter der Leitung von John Aker gelingen würde, seine Leistung weiter zu steigern. Das Ehepaar Spracklen war bekanntlich zu "Fidelity Electronic" abgesprungen. Ausgerüstet mit dem neuentwickelten Eröffnungsmodul "Grünfeld" erreichte "Boris MGS III" in der Tat ohne Niederlage den geteilten zweiten Platz und bestätigte somit seine gute Form. Das Endspielmodul "Capablanca", von dem man konnte Mephisto nach zähem Kampf im Endspiel gewinnen. (Siehe Stellung 2.)

Angesichts der Ergebnisse in Stockholm (1. Platz) und in Paris stellt sich allmählich heraus, daß auch eine mittelständische Herstellerfirma durchaus in der Lage sein kann, durch konsequent auf Qualität und Leistung bedachte Entwicklungsarbeit mit "Multis" wie "Fidelity Electronic", "Novag Ltd.", "Applied Concepts Ind." oder "SciSys" Schritt zu halten.

Das Mephisto-Programm, vor zweieinhalb Jahren aus einer "spielerischen- Laune" heraus von der Münchner Programmier-Equipe um Henne sich eine beachtliche Steigerung der Spielstärke erhofft hatte, kam jedoch noch nicht zum Einsatz.

In einem um so besseren Licht erscheint das Ergebnis von "Mephisto-Experimental", der die sieben Runden des im Schweizer System ausgetragenen Eliteturniers ungeschlagen absolvierte. Auch die entscheidende Partie gegen seinen Erzrivalen "MK 5" und Nitsche entwickelt, zeigt allmählich die erforderliche Reife.

Die Aussagekraft der Resultate von Paris wird auch durch die Feststellung nicht geschmälert, daß die Spitzenprogramme "Chess Challenger Champion" und "Novag Savant" dem Wettbewerb fernblieben.

Das Ehepaar Spracklen scheint mit der Umstellung des "Sargon 2.5" -Programmes, das mit Mikroprozessor Z 80 problemlos lief, auf die Hardware von Fidelity doch mit mehr Problemen konfrontiert zu sein, als ursprünglich angenommen.

Bei dem Hongkonger Hersteller Novag hat man vermutlich die serienmäßige Fertigstellung des Gerätes "Savant" mit dem Frühjahrstermin des Turniers nicht in Einklang bringen können.

Ein Blick auf die Tabelle gibt Aufschluß. über das immer deutlicher werdende Leistungsgefälle zwischen

a) den älteren und neuen Modellen;

b) Geräten der Mittelklasse (Kaufpreis bis 1000 Mark), Kleincomputern (bis 200 Mark) und sogenannten Taschenmodellen;

c) Prototypen und Experimentalmodellen sowie serienmäßigen, sich bereits auf dem Markt befindlichen Schachcomputern.

Eine Ausnahme stellen in dieser Hinsicht die Plazierungen von Boris MGS III (2. Platz, serienmäßig, Mittelklasse) und Boris Diplomat 80 (11. Platz, serienmäßig, Kleinklasse) dar.

In Anbetracht dieser Tatsachen drängt sich die Frage nach der gerechten Zusammensetzung des Teilnehmerfeldes bei der bevorstehenden II. Weltmeisterschaft auf, die unter der Schirmherrschaft der FIDE im September dieses Jahres in der Bundesrepublik ausgetragen wird.

Empfehlenswert wäre demnach, das Teilnehmerfeld zumindest in zwei Gruppen einzuteilen:

1. Prototypen und Experimental-Modelle sowie

2. serienmäßige Geräte.

Ferner sollten Sonderauszeichnungen für die einzelnen Leistungsklassen vergeben werden, wobei folgende Einteilung denkbar ist:

- Luxusklasse (über 1000 Mark Kaufpreis);

- Mittelklasse (bis 1000 beziehungsweise bis 700 Mark);

- Kleinklasse (bis 200 Mark).

Vorteilhaft wäre überdies, das Turnier um eine zusätzliche Runde zu erweitern, so daß alle Schachcomputer sowohl mit den weißen als auch den schwarzen Steinen spielen könnten.

Viel Kopfzerbrechen sollte dem ICCA-Ausschuß schließlich die delikate Frage nach der eindeutigen Festlegung und Einhaltung der Spielregeln und der genauen Abgrenzung der Programme bereiten, die zum Wettbewerb zugelassen werden, handelt es sich hier doch um eine Weltmeisterschaft der Mikro-Schachprogramme.

Man kann sich lebhaft vorstellen, welche Verwirrung ein vage definierter Paragraph stiften kann, etwa: "Das Hantieren an dem Gerät während des Spieles ist nicht erlaubt."

Alles in allem kann man gleichwohl in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Teilnehmer den Verlauf und die Organisation dieses I. Weltturniers der Mikro-Schachprogramme von Paris als gelungen bezeichnen.

Seine Ergebnisse geben der Fachwelt den lange erwarteten Aufschluß über die wachsende Leistungsfähigkeit der "Mikros", die als Konkurrenz für die Großrechnerprogramme immer gefährlicher werden.

Von der bevorstehenden II. Weltmeisterschaft kann man sich nur erhoffen, daß alle Vertreter dieser Klasse am Start vorzufinden sind.

Stellung 1

Dem Schachprogramm "MK 5" müssen, wie bereits erwähnt, gewisse strategische Fertigkeiten zugebilligt werden. Um so interessanter erschien es uns, den Computer folgende Aufgabe "knacken" zu lassen. Es handelt sich um eine Stellung, die Peter Gerstner aus Weiden in einer Turnierpartie mit Weiß vermutlich aus Zeitmangel nicht zu gewinnen vermochte. Dem gewieften Schachspieler leuchtet schnell ein, daß - um einige Gewinnchancen zu wahren: 1. Lh6+, Kg8; 2. g7! notwendig ist. Einem Mikro-Schachcomputer muß auch 1. gxh6+ mit Materialgewinn recht verführerisch erscheinen. Wegen des "falschen Umwandlungsfeldes "a1" führt aber dieser Weg nur zum Remis.

Darüber hinaus ist in einer Variante die Berechnung von zehn Halbzügen erforderlich. Zu unserer Überraschung fand "MK 5" relativ schnell die richtige Lösung:

1. Lh6+, Kg8; 2. g7, e6; 3. Kf6!, e5; 4. Ke6!

Dies ist tatsächlich der schnellste Gewinnweg. Zum Sieg reicht zwar auch 4. Lg5 gefolgt von 5. Lh4. Der schwarzfeldrige Läufer kontrolliert die Diagonale "h4-e1", so daß keiner der beiden Bauern durchkommt Der schwarze König ist schließlich gezwungen, das Verwandlungsfeld "g8" zu räumen.

4...., e4; 5. Kf6, e3; 6. Lxe3

(An dieser Stelle kündigte der Computer Matt in spätestens fünf Zügen an!)

6...., h5, 7. Lg5, h4; 8. Lxh4,.Kh7; 9. Kf7, Kh6; 10. g8D, Kh5; 11. Dg5++!

Nach abweichendem 1. Lh6+, Kf7 entdeckte der Computer eine elegante Wendung 2. g8D!, Kxg8; 3. Ke6, Kh8; 4. Kf7, e5; 5. Lg7++!

Stellung 2

In der fünften Runde des Pariser Turniers trafen "Mephisto X" und "MK 5 in einer, wie sich später herausstellte, entscheidenden Partie aufeinander Nach einer originell gespielten Eröffnung erzielte zuerst "MK 5" einen deutlichen positionellen Vorteil. Noch den relativ besten Ausweg aus der bedrängten Stellung fand Mephisto, indem er im 28. Zug seinen Springer für zwei gegnerische Bauern opferte. Es lohnt sich, die nach dem 39. Zug von Schwarz entstandene Stellung näher zu betrachten Auf dem Königsflügel blieben Schwarz drei verbundene Freibauern, deren Gefährlichkeit von "MK 5" nicht in vollem Umfang erkannt wurde. Die Gründe dafür dürften vor allem darin liegen, daß das Feld "h3" noch von dem weißen Springer kontrolliert wird. Daher scheint die drohende Umwandlung noch weit über dem Berechnungshorizont von Weiß zu liegen. Höhere Priorität besitzt der zwar verführerische, aber aussichtslose Angriff auf den schwarzen König. Hier offenbart sich eine, von den Programmierern nicht beachtete Schwäche in der Endspielführung von "MK 5", während das Mephisto-Programm sich in vollem Umfang seiner Freibauern "bewußt" ist. Die Partie nahm danach folgenden Verlauf:

40. Sf4-h5?, Te1-g1; 41. Td7-a7?

Weiß verkennt weiterhin die anwachsende Gefahr der Umwandlung, bis es schließlich zu spät ist.

41...., h4-h3!; 42. Ta7-a8+, Kg8-h7; 43. Sh5xf6+, g7xf6; 44. Ta8-a5, Kh7-g6; 45. Ta5-a8, h3-h2; 46. Ta8-h8, h2-h1D; 47. Th8xhl, Tg1xh1

In dieser Stellung - mit einem Mehrturm - zu gewinnen, bereitet Mephisto keine Schwierigkeiten mehr.