Europäern stößt Beteiligung von Big Blue übel auf:

Erste IBM-Schatten über Esprit-Programm

30.11.1984

BRÜSSEL/MÜNCHEN - Während die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (EG) in Brüssel dabei ist, die technischen Anhänge für die einzelnen Esprit-Fördervorhaben auszuhandeln, wird die Beteiligung IBMs an dem europäischen Förderprogramm zunehmend argwöhnisch betrachtet. Zum einen gibt es grundsätzliche Kritik an der Beteiligung außereuropäischer Elektronikmultis, zum anderen wird dem Marktführer speziell vorgeworfen, er habe die für die Projektteilnahme notwendigen Kooperationspartner hauptsächlich aus den Reihen seiner kommerziellen Kunden rekrutiert.

Einen wesentlichen Anteil daran daß Big Blue in der Hauptphase des Esprit-Programms zum Zuge kam, hat nach Meinung von Eingeweihten der Direktor der Task-Force-Informationstechnologien und Telekommunikation, Jean-Marie Cadiou. Bevor der gebürtige Franzose 1982 sein Amt als Leiter der für Esprit zuständigen Direktion in Brüssel antrat, war er langjähriger IBM-Mitarbeiter, zuletzt im Forschungslabor Yorktown Heights als "Technical Adviser". Cadiou, so heißt es heute, habe sich nach dem Reinfall IBMs in der Pilotphase von Esprit nunmehr für seinen ehemaligen Arbeitgeber starkgemacht. Damals hatte sich Big Blue mit zwei Projektvorschlägen beteiligt war aber dann in der Endauswahl ausgeschieden.

Die Beteiligung des Marktführers dürfte aber auch einen "politischen Grund" haben, fiel doch die Bekanntgabe, daß IBM und ITT am Esprit-Programm beteiligt würden, in die letzte Verhandlungsphase der Auseinandersetzung zwischen Kommission und IBM wegen der vermuteten marktbeherrschenden Stellung der Armonker. Schon damals - Ende Juli dieses Jahres - tauchten in Brüssel Vermutungen auf, daß die Einbeziehung IBMs in das europäische Forschungsprogramm Bestandteil des Deals in Sachen Kartellverfahren sei. So konnte sich Big Blue als "guter Europäer" profilieren und demonstrieren, daß man auch in der alten Welt mit Forschungs- und Fertigungskapazitäten präsent war.

Der hiesigen Konkurrenz freilich geht die Einbeziehung von IBM in Esprit mittlerweile zu weit. Obgleich die EG-Kommission derzeit in puncto Informationen über Projekte, Projektpartner und Höhe der Fördergelder an die Öffentlichkeit sehr zugeknöpft agiert, sickerte durch, daß der Marktführer über seine deutsche und seine französische Tochtergesellschaft an drei bis vier größeren Projekten beteiligt sei. IBM France soll gar bei zwei Vorhaben - einmal bei "Secure Information Exchange", zum anderen bei "Distributed Name Server" - als Konsortialführer firmieren.

Darüber hinaus wurde bekannt daß bei allen Vorhaben, die IBM durchführen will, die Kooperationspartner aus dem Kreis der Big-Blue Kunden kommen, so zum Beispiel die British Aerospace, zu 100 Prozent mit Equipment des Marktführers ausgestattet. Allem Anschein nach ist sich IBM auch sicher, daß sich die vorgeschlagenen Projekte realisieren lassen. So wurde bereits ein Pressekonferenztermin für Wissenschaftsjournalisten in Rom für Ende November anberaumt. Einer der Tagesordnungspunkte: die Beteiligung der Armonker an Esprit.

Entsprechende Anfragen in Brüssel bei der Kommission wurden fürs erste negativ beschieden mit dem Hinweis, man gebe keine Stellungnahme ab, da die Vorhab en noch nicht endgültig unter Dach und Fach seien. Derzeit sei man immer noch damit beschäftigt, die technischen Anhänge der Projekte zu formulieren und entsprechend auszugestalten, da eine Reihe von Vorhaben mit Auflagen versehen seien. Würden diese nicht erfüllt, sei nicht auszuschließen, daß bei diesen Projekten der Zuwendungsvertrag, der die Fördermittel erst gewährleistet, nicht zustande komme. Im übrigen sei es so, daß grundsätzlich alle Vorhaben, für die mehr als fünf Millionen ECU (Europäische Rechnungseinheiten) beantragt worden sind, vom Esprit Management Committee abgesegnet werden müßten. Dieses Gremium das sich aus den Vertretern der für Forschung und Entwicklung zuständigen Ministerien der EG- Mitgliedsstaaten zusammensetzt, sei somit eine zusätzliche Kontrollinstanz.

Kein Verständnis hat man im übrigen in Brüssel für die in der englischen Fachpresse erhobenen Vorwürfe wegen der vermeintlichen Esprit-Entscheidung. Dort war unter anderem moniert worden, daß die Deutschen bei der Projektbewilligung ganz besonders gut weggekommen seien.

Zudem wurde auch ein Zusammenhang konstruiert zwischen dieser hohen Beteiligung und der Zulassung von IBM und DEC über deren deutsche Tochtergesellschaften an Esprit. Was die englischen Berichte freilich verschwiegen, war die Tatsache, daß parallel zur Esprit-Ausschreibung in Großbritannien auch die Antragsphase für das nationale "Alvey- Forschungsprogramm" lief. Denkbar, daß bei dem europäischen Förderprogramm mit weniger Sorgfalt bei der Formulierung der Anträge gearbeitet wurde.

Freilich ist die Bundesrepublik an dieser Darstellung der "Esprit"- Thematik nicht ganz unschuldig. So hatte beispielsweise der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Alfred Probst im September dieses Jahres eine erste "Esprit- Zwischenbilanz" gezogen, die aus bundesdeutscher Sicht auch als Erfolgsbilanz zu werten war.

Der Tenor: An 60 Prozent der mehr als 100 Kooperationsprojekte seien bundesdeutsche Unternehmen, Institute und Forschungseinrichtungen beteiligt, wobei das stärkste Engagement sich auf die Sektoren Mikroelektronik, computerintegrierte Fertigung und Bürosysteme beziehe.