Die Angst des Unternehmers bei der Systemauswahl:

Erstanwender sind dem Spiel des Marktes ausgeliefert

13.01.1978

MÜNCHEN (de) - Marketing-Strategen und Werbeprofis der Computerbranche ist es bisher nicht gelungen, einen "unverkrampften" Dialog mit dem "Noch-nicht-Anwender" in Gang zu bringen. Spötter meinen, das liege an der gestelzten Sprache, derer jene sich bei ihren Annäherungsversuchen bedienen. Denn die Bereitschaft, mit sich reden zu lassen, ist auf der Seite der kleinen und mittleren, Unternehmen durchaus da. Doch schreckt die Art und Weise, mit der die Computerei von Insidern zur Wissenschaft hochstilisiert wird, offenbar auch den lernwilligsten Newcomer ab: Die Computerauswahl wird zum Entscheidungsproblem. Einstiegshilfen wollen Gerhard Kenk und Leopold Kunschak*, die Autoren des folgenden Beitrages, insbesondere Erstanwendern geben.

Der EDV-Markt hat seine Tücken nicht nur für Unternehmer, die sich erstmals mit der Auswahl von Computern beschäftigen, sondern auch für jene Firmen, die ihre bereits installierten Systeme ausbauen oder umstellen möchten.

Deshalb sollten sich EDV-Neulinge wie Umsteiger, bevor sie sich aufs Glatteis begeben, zunächst diese Fragen stellen:

- Welches sind die Grundregeln des EDV-Marktes?

- Weiche Produktstrategien der Hersteller bestimmen den richtigen Zeitpunkt der Computer-Auswahl?

- Wie können unternehmerische Entscheidungen und Kontrollen im Rahmen eines rationalen Projektmanagements die Erfolgschancen von Software-Entwicklungen verbessern?

Der Entscheidungsnotstand des Unternehmers bei der Computer-Auswahl ergibt sich nur vordergründig aus den zum Teil stark technisch orientierten Verkaufsargumentationen und Systemspezifikationen.

Wichtiger für den Unternehmer ist, einige grundlegende Strategien der Computer-Hersteller bei der Einführung neuer Technologien, bei der Marktsegmentierung und bei der Produkteinführung zu erkennen.

Quasi-Standards erschweren das Umsteigen

Die Strategie eines Marktführers besteht unter anderem darin, mit Hilfe von Quasi-Standards die Abwanderung seiner Kunden zu Konkurrenten, die vielleicht andere, nicht dominante Standards anwenden, zu erschweren.

In der konventionellen Datenverarbeitung stand vor einigen Jahren das Fassungsvermögen einer Lochkarte (96 oder 80 Spalten) im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um Quasi-Standards. Heutzutage versuchen die Hersteller beispielsweise, die von ihnen entwickelten Datenfernverarbeitungs-Protokolle als Quasi-Standard am EDV-Markt durchzusetzen. Für den Unternehmer besteht hierbei der Entscheidungszwang, seine Software-Investitionen auf das richtige "Rennpferd" der Quasi-Standards zu setzen.

Der Marktführer bestimmt die Preise

Marktführer zeichnen sich weiterhin durch ein ausgeteiltes Marketing und hervorragenden Service aus und

setzen in der Regel die Obergrenze der Preisskala.

Folgeaufträge von bestehenden Kunden stellen den Hauptwachstumsfaktor dar. Systemwechsel von einer Computerfamilie zur anderen werden nur graduell durchgeführt, um die bestehende Kundenbasis und deren Software-Investitionen zu schützen. Beim Systemwechsel sollte der Unternehmer besonders die Kompatibilität und verfügbare Überbrückungsprogramme (Emulatoren) berücksichtigen, um die Kosten der Software-Umstellungen niedrig zu halten.

Technologieführer bieten ein zum Teil beträchtlich besseres Preis-/Leistungsverhältnis, um im Konkurrenzkampf mit einem Marktführer eine wichtige psychologische Schwelle in den Augen des Anwenders zu überspringen.

Denn Innovationen können von Technologieführern meist ohne Rücksichtnahme auf einen Kundenstamm in die Produktentwicklung einbezogen werden.

Technologieführer sind häufig in Marktnischen oder Spezialgebieten führend, wie etwa bei Großcomputern (Amdahl, Control Data, Cray), bei Minicomputern oder im Bereich der Software (Total/Cincom, Mark IV/Informatics, Adabas/Software AG).

Branchenlösungen bevorzugt

Der Trend der Marktsegmentierung nach branchenspezifischen Gesichtspunkten hat einen entscheidenden Vorteil für die Anwender innerhalb eines solchen Marktsegmentes: Die fahrenden Computerhersteller - wie NCR, Nixdorf oder IBM im Einzelhandel oder Burroughs, Kienzle oder Nixdorf im Bankwesen - sind durch, gezielte, zum Teil umfangreiche Investitionen in der Lage, branchenspezifische Produkte oder Anwendungsprogramme zu entwickeln. Einzelne -dieser Anwendungsprogramme haben eine dominierende Stellung erreichen können: Stücklistenprozessor (Bomp), Flug-Reservationssystem (Pars), Lebensversicherungssystem (Alis), Auslandszahlungsverkehr im Bankwesen (SWIFT).

Durch Expansion und Konzentration der Anzahl von Computer-Herstellern wird der Unternehmer vor einen weiteren Entscheidungsnotstand gestellt: Er muß Annahmen über die Überlebensfähigkeit des bisherigen oder potentiellen Computer-Lieferanten treffen, um die fortlaufenden Investitionen in Systementwicklung, Software und Personal-Know-how zu schützen.

Investition kontra Innovation

Der Konflikt zwischen Marktführer und Technologieführer setzt sich im Produktbereich fort.

Während der Wechsel von der ersten zur zweiten und zur dritten Computergeneration ganz im Zeichen der Neuerungen stand, treten heute Gesichtspunkte wie Kosten des Systemwechsels oder "Return on Investment", also die Erwirtschaftung umfangreicher Forschungs- und Entwicklungskosten in den Hardware- und Software-Bereichen, in den Vordergrund.

Die Strategie der Computerhersteller bei der Einführung von Systemfamilien können durch Begriffe wie "Top-Down"-Systemeinführung und "Mid-Life-Kicker", charakterisiert werden.

Einzelne Modelle der Systemfamilie werden zunächst in Mietpreisklassen mit begrenzten Konfigurations-Bandbreiten eingeführt. Unternehmen mit einem dringenden Bedarf an höherer Computerleistung sollen dadurch veranlaßt werden, entweder auf der Basis von Kauf- oder langfristigen Mietverträgen gegebenenfalls ein Computersystem einer höheren Leistungs- und Kostenklasse anzuschaffen.

Mid-Life-Kick durch Modell-Kosmetik

In der zweiten Phase der Einführung von Systemfamilien werden dann im allgemeinen weitere Modelle angekündigt, die die anfänglichen Lücken in der Systemfamilie schließen (Grafik). Oft handelt es sich dabei um nahezu identische Versionen der früher angekündigten Modelle - lediglich Modellbezeichnung, interne Verarbeitungsgeschwindigkeit und Kauf- oder Mietpreis werden verändert. Selbstverständlich sind die Anwenderfirmen der ersten Stunde nun aufgrund langfristiger Verträge nicht in der Lage, auf diese preiswerteren Modelle umzusteigen Die Strategie dieser "Top-Down"-Modelleinführung soll die Computer-Hersteller in die Lage versetzen, durch eine zeitlich gestaffelte Modell-Ankündigung die gesamten Kauf-/Mieterlöse zu erhöhen.

In der dritten Phase stehen Konkurrenzdruck und Wettbewerbsfähigkeit einer Systemfamilie im Vordergrund der Produktstrategie. Nun wird der Systemfamilie durch Verbesserungen wieder neues Leben eingehaucht. Diese "Mid-Life-Kicker" umfassen Konflgurations-Erweiterungen (interne Speicherkapazität), zusätzliche Verarbeitungsmöglichkeiten (Datenfernverarbeitung), Verfügbarkeit von System- oder Anwendungssoftware oder auch Preisreduktionen in Form von langsameren Modellen oder Standard-Konfigurationen.

Wie kann nun der Entscheidungsnotstand des Unternehmers bei Computerauswahl und Software-Entwicklungen reduziert werden?

- Der Computerauswahlprozeß sollte auf zwei Ebenen (Hersteller und Produkt) durchgeführt werden und dynamische EDV-Markt-Tendenzen (Marktführer, Technologieführer, Expansion und Konzentration, Marktsegmentierung) sowie Produkteinführungsstrategien berücksichtigen.

- Die vielfältigen Aufgabenstellungen in den Wachstumsphasen des EDV-Einsatzes sollten vom Unternehmer in ihrem langfristigen Zusammenhang erkannt werden.

- Ein maßgeschneiderter Hardware-Software-Service-Mix zusammen mit etwaiger externer Unterstützung helfen dem Unternehmer, den Entwicklungs-Engpaß zu überwinden.

Gerhard Kenk und Leopold Kunschak sind Mitarbeiter der CMG (Frankfurt) GmbH, Eschersheimer Landstraße 8, 6000 Frankfurt am Main l.