Web

Patienten diskutieren auf Augenhöhe

Erst ins Internet, dann zum Arzt

12.03.2008
Als Kirstin H. vor Schmerzen gekrümmt zu ihrem Hausarzt wankte, musste sie ihm selbst den entscheidenden Tipp geben. Dass eine 25-Jährige Gallensteine haben könnte, mochte der Mediziner nicht glauben.

Doch nach ihrer Internet-Recherche wusste die Studentin aus Hamburg, dass junge Menschen sehr wohl betroffen sein können, wenn sie eine bestimmte Stoffwechsel-Krankheit haben - wie Kirstin. Beim näheren Hinsehen fand der Arzt das Problem. Nach eingehenden Untersuchungen wurde die Gallenblase entfernt.

Medizinisches Fachwissen stand lange Zeit nur Eingeweihten offen. Doch die Wissenslücke zwischen Patient und Arzt schrumpft. Denn im Internet gibt es Informationen zu Krankheiten aller Art - von Alzheimer bis zu Zahnschmerzen. Nie war es einfacher, sich über den eigenen Körper schlau zu machen. So entsteht ein neuer Typus Patient, der nicht mehr alles kommentarlos hinnimmt, was sein Doktor sagt - und der auf Ärzte-Bewertungsseiten seinen Unmut äußert, wenn er unzufrieden ist.

Seit dem Zwischenfall mit den Gallensteinen konsultiert Kirstin H. oft die Suchmaschine, bevor sie einen Arzttermin ausmacht. "Man muss dabei aber vorsichtig sein", sagt die Kauffrau. Zum einen seien nicht alle Internetseiten zuverlässig. Zum anderen könnten die ungefilterten Informationen im Netz den Medizin-Laien in die Irre führen. "Nur weil man die Symptome hat, muss man noch lange nicht krank sein."

Dabei ist es ohnehin nicht leicht, den Überblick zu behalten. Die Vielfalt der Diagnose- und Therapie-Tipps ist verwirrend, nicht selten wird eine Service-Seite auch von Pharma-Firmen gesponsert und gibt dezente Hinweise auf bestimmte Medikamente. Und Wikipedia erklärt nicht umsonst, man solle Texte aus dem Online-Lexikon zu Medizin-Themen "niemals als alleinige Quelle für gesundheitsbezogene Entscheidungen verwenden." Orientierung gibt zum Beispiel das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) in Berlin. Auf einer Website steht eine Liste mit mehr als 1000 geprüften Angeboten.

Auch immer mehr Ärzte schätzen die Online-Recherche. "Bei mir läuft das Internet den ganzen Tag", berichtet der Hamburger Neurologe Dr. Ansgar Frieling. Er nutzt vor allem die Seiten der medizinischen Fachgesellschaften, deren Leitlinien etwa Symptome, Diagnosen und Therapiemöglichkeiten beschreiben. Wenige Klicks helfen oft schon weiter.

Dass auch Experten vom Internet profitieren können, bestätigt eine Studie australischer Mediziner aus dem Jahr 2006. Sie gaben je drei bis fünf Symptome zu 26 Krankheiten bei Google ein. In 15 Fällen spuckte die Suchmaschine die richtige Krankheits-Diagnose aus. Die Studie ist nicht repräsentativ, dennoch wird klar: Je ausgefallener die Krankheit, desto hilfreicher sind Google und Co. Eine richtige Diagnose könne letztlich jedoch nur ein Arzt mit seinem Wissen und seiner Erfahrung aufstellen, schränken die Autoren ein.

Doch auch für Laien ist das Netz eine große Hilfe, meint Neurologe Ansgar Frieling - er gibt Patienten daher oft Hausaufgaben. Gerade bei speziellen Erkrankungen wie Multipler Sklerose könne sich ein Patient zusätzlich zum Arztgespräch in aller Ruhe informieren. Passende Links hat Frieling auf seine Website gestellt.

Das Netz informiert nicht nur über Krankheiten, sondern auch über die Heiler. Auf Bewertungsportalen wie Imedo, Helpster oder DocInsider lässt sich nachsehen, welche Noten andere Patienten für Wartezeit, persönlichen Umgang und Behandlung vergeben haben. Mit höchstens ein paar Tausend Bewertungen gibt allerdings bislang kein Portal einen flächendeckenden Überblick. Doch öffentlich über den Arzt zu diskutieren, kommt immer mehr in Mode.

Die Kritisierten selbst sind skeptisch. Sechs von zehn Medizinern glauben, dass Laien die Qualität der Behandlung nicht einschätzen können, ergab eine Studie der Stiftung Gesundheit. Verhindern können sie die zumeist kommerziellen Angebote kaum noch. "Die Portale wie auch die anonyme Bewertung sind rechtlich zulässig", sagt Anwalt Markus Stockmann aus Jena, der sich auf Arztrecht spezialisiert hat. So müssen sich die einstigen Götter in Weiß in Zukunft wohl immer häufiger auf kritische Fragen der Patienten einstellen. (dpa/tc)