Erschwerte Jagd nach Venture Capital

20.03.2001
Von Roland Keller
Die Geldgeber in der Dotcom-Euphorie waren noch froh, Gründer davon zu überzeugen, dass sie die richtigen Partner sind. Heute müssen Firmen einen hieb- und stichfesten Business-Plan vorlegen, um überhaupt an Finanzierungsrunden teilnehmen zu können.

"Stupid Money" - der Ausdruck von Hardlinern der Old Economy als ironischer Kommentar für Geld, das in den Startup-Markt drängt, hat mittlerweile einen bitteren Beigeschmack. Und über den Witz, dass jeder Gründer bei Venture Capitalists (VC) abblitzt, der bereits Umsatz oder gar Gewinne macht, will heute kaum jemand mehr lachen. Der Wind hat sich um 180 Grad gedreht: Wer als Gründer nicht belegen kann, dass sein Business-Modell nachhaltige Gewinne verspricht, hat kaum mehr eine Chance, Risikokapital zu erhalten.

Quelle: Independent Medien-Design
Quelle: Independent Medien-Design

Konservative Kennzahlen wie Cash Flow und ausreichend Erfahrung, ein Unternehmen zu führen, hält Niko Waesche, der Münchner Leiter des US-Venture-Capital-Unternehmens GRP, für substanzielle Kriterien, um seriöse Investoren zu finden. Waesche ist einer der VCs, die von sich behaupten, die Latte bei den Bewertungen nicht höher legen müssen. Seine konservativen Maßstäbe haben sich aber inzwischen durchgesetzt - nicht zuletzt eine Folge des Schreckens, den das Kursdisaster an den Börsen ausgelöst hat.

Fundierte Business-Pläne erwünscht Auch die These, mit der Bertelsmanns E-Commerce-Vorstand Klaus Eierhoff vor einem Jahr Spitzen-Manager überraschte, nach der nicht Gewinn, sondern Wachstum im E-Commerce-Geschäft angesagt sei, ist längst nicht mehr opportun. Viel zitiertes Beispiel war damals Jeff Bezos von Amazon.com, der Brick-and-Mortar-Giganten wie Barnes & Noble zwang, im Internet nachzuziehen. Prompt wurde die frühere Online-Buchhandlung höher bewertet als die gesamte Ladenkette.

Da die Chancen, Risikokapital im Schnellgang zu vermehren, inzwischen deutlich gesunken sind, zielen etablierte VCs wie die international tätige Atlas Venture verstärkt auf die Nachhaltigkeit der Business-Modelle ihrer Startup-Partner. Atlas-Analyst Wilken Engelbracht betont, "dass man auch bei einem Risiko-Investment ausschließen möchte, unendlich Geld nachzuschießen, bis das Modell endlich am Markt greift". Bei Atlas hätten sich die Kriterien zwar nicht generell verändert, doch würde "der Toleranzspielraum inzwischen enger gezogen".÷ Gaben sich früher die VCs damit zufrieden, dass Kandidaten allenfalls einige wenige Kriterien der Mittelvergabe erfüllten, schieden Gründer heute schon in den Vorrunden aus, wenn sie nicht alle Hürden nähmen.

Die Zeiten, in denen viele Analysten glaubten, dass sich die Konsumenten in den Industrieländern wie die Lemminge auf die E-Commerce-Angebote der Dotcoms stürzen würden, sind vorbei. Auch der Notausgang, auf den Business-to-Business-Markt umzusteigen, ist inzwischen nahezu geschlossen, da hier die Erfolgslatte ebenfalls höher gelegt wurde. "Web oder weg", ein oft missgedeuteter Ausspruch von IBM-Deutschland-Chef Erwin Staudt, wurde gern so interpretiert, als könne das Internet die vorhandenen Absatzkanäle hinwegfegen. Dass das Medium lediglich zusätzliche Absatzmöglichkeiten etabliert, wurde oft ignoriert - freilich auch von jenen, die es eigentlich besser wissen sollten: den Analysten. Doch viele machten den Tanz um das goldene Kalb mit, auch weil ihre Brötchengeber, die Emmissionsbanken, an den Börsengängen völlig risikolos verdienten.

Klassische Tugenden wieder hoch im Kurs Seit der Pleite von Boo.com, dem Einsturz des Kartenhauses von EM.TV und kritischen Stimmen zu Amazon.com gilt dies alles nicht mehr. Wer heute mit Analysten spricht, wird erfahren, dass man die Chancen für die neuen Märkte zwar noch immer erkennt, aber mittlerweile darauf achtet, wie IBM Global-Services-Chef Ernst Koller schon früh verlangte, "die klassischen Tugenden der Wirtschaft bei aller Sympathie für die New Economy nicht außer acht zu lassen".

Dass schwache Business-Pläne in der Vergangenheit dennoch mit Venture Capital belohnt wurden, lag allerdings auch daran, dass viele VCs das gesammelte Geld in Windeseile platzieren mussten: im Turbogang an die Börse, um schnell Kasse zu machen. Davon profitierten natürlich auch Firmengründer, die den rasch wachsenden VC-Markt mit billig abgekupferten Me-Too-Ideen aus den USA bedienten. Gab es vor der Möglichkeit der schnellen Börsengänge kaum eine Handvoll VCs in Deutschland, zogen Erfolgsstories wie Brokat oder Intershop zahlreiche Investoren an, die zuvor in andere Märkte investiert hatten - Trittbrettfahrer, die anders als gestandene Unternehmen wie die Technologieholding oder Atlas lediglich Geld und gute Worte zu bieten hatten und ihre Investoren mit den Erfolgszahlen der Vorzeige-VCs fütterten.

Handfeste Gewinne werden erwartet Zu spät haben viele Investoren erkannt, die ihr Kapital VCs zur Vermehrung anvertrauten, dass Geld allein nicht reicht, um aus Startups prosperierende Marktteilnehmer zu machen. Während die Erfolgsstories bekannter VCs darauf basieren, dass sie den Markt der Startups kannten und diesen über Technologie- und Marketing-Partnerschaften einen schnellen und zuverlässigen Einstieg sichern konnten, gilt es heute, die Märkte genauer zu untersuchen, meint Atlas-Experte Engelbracht: "Es genügt nicht einmal mehr, dass ein junges Unternehmen in seinem Bereich die Marktführerschaft mitbringt."

Auf "handfeste Gewinne und Umsatzerwartungen" setzt Werner Schauerte, Geschäftsführer der Deutschen Venture Capital (DVC). Trotz der Unsicherheit am Markt will die Firma aus dem Umfeld der Deutschen Bank in diesem Jahr rund 50 Millionen Euro platzieren - wie schon zuvor in "sichere Technologiebereiche". Schauerte bezeichnet das VC-Wachstum derzeit als "etwas gebremst", glaubt aber, dass der Markt dennoch zunehmen wird. Genaue Vergleichzahlen gibt es derzeit nicht, dennoch gehen Experten davon aus, dass im vergangenen Jahr mehr als zwei Milliarden Euro in junge Unternehmen geflossen sind - fast doppelt soviel wie im Jahr zuvor. Eine ähnlich hohe Summe dürfte auch 2001 zur Verfügung stehen. Allerdings werde diese weniger großzügig an Gründer verteilt werden - nicht zuletzt deshalb, weil Geld für weitere Finanzierungsrunden bestehender Startups benötigt wird. Aber auch, weil man härter denn je prüfen wird, ob Cash Flow und Gewinne am Horizont erkennbar sind, meint Schauerte.

Zwar gab es auch vor zwei Jahren etliche Gründer, denen bewusst war, dass man zwischen "Stupid Money" und "Smart Money" unterscheiden muss. Wer neben einem wasserdichten Business-Modell in der Lage war, dieses auch im Markt umzusetzen, versuchte mit den "Stars" ins Geschäft zu kommen - etwa Atlas, Wellington oder der Technologieholding, die inzwischen Teil des 3i-Netzwerkes ist. Dass man jedoch auch mit solchen Geldgebern nicht vor Turbulenzen gefeit ist, musste kürzlich das Vorzeige-Startup Intershop erleben: Mit Hilfe der Technologieholding und deren Partnern gelang Stefan Schambach zwar eine internationale Expansion, doch durch die Konjunkturschwäche der US-Wirtschaft brachen wichtige Aufträge weg, was Intershop zwang, den Rückwärtsgang einzulegen.

Fundiertes Know-how im Markt erforderlich Andere Fehler sind deutlicher zu erkennen: So hofften Nachzügler, die Erfolgsstory von Amazon.com vor Augen, mit einstelligen Millionenbeträgen eine große Online-Consumer-Marke aufbauen zu können. Werner Dreesbach, Münchner Atlas-Chef, gehört zu denen, die schon früh davor gewarnt haben, nicht in Märkte zu investieren, von denen man keine Ahnung hat. Die Folge, unter denen heute viele Startups leiden: Ihre verunsicherten Geldgeber können nicht mit Rat und Tat helfen und drehen den Geldhahn zu. Andere Business-Pläne krankten daran, dass sich die Geschäftsmodelle auf die New Economy konzentrierten - ganz so, als könne die junge Dotcom-Szene für eine, langfristige Wertschöpfung sorgen.

Dies alles sind Indizien dafür, dass nicht nur viele Firmengründer, sondern auch die VCs ihre Hausaufgaben schlecht gemacht haben. Markus Krauss von der Wachstumsberatung Baumgartner & Partner in Sindelfingen, führt die Dotcom-Krise unter anderem auf zu lasche Kriterien zurück, die VCs und Gründer gleichermaßen beträfen: "Bis vor einem halben Jahr wurde alles mit einem "I" oder "E" im Firmennamen finanziert. Während viele Startups dachten, Geld genügt, um sich am Markt zu etablieren, achteten die VCs zu wenig darauf, dass die Gründer die harten Fakten auch erfüllen", so Krauss. Zu diesen zählen seiner Ansicht nach neben guten Business-Modellen auch Personal- und Führungsqualitäten sowie die Erfahrungen im operativen Geschäft. Wichtiger denn je seien flankierende Maßnahmen. Hierzu sei ein funktionierendes Netzwerk notwendig, an dessen Tragfähigkeit ein VC kräftig mitstricken muss. Häufig werde Networking als Schlagwort benutzt, in der Praxis hielten viele Netze jedoch nicht.

Für GRP-Chef Waesche gehört Erfahrung im operativen Geschäft, aber auch das Vertrauen, das Privatinvestoren einem jungen Unternehmen durch "Seed-Money" entgegenbringen, zu den Auswahlkriterien. Beeindruckt hat den etablierten VC Atlas im vergangenen Jahr, als die Dotcom-Krise schon greifbar war, die Aufbauarbeit des Münchner Startups Cassiopeia. Nicht nur, dass sich die Gründer des Herstellers von Community-Software mit Georg Wiedemann rechtzeitig einen erfahrenen Vorstandschef ins Haus holten. Gemeinsam mit der jungen Düsseldorfer Unternehmensberatung SMP sprachen sie auch alle wichtigen Schritte durch, bevor sie sich einen seriösen VC suchten. Positiv bewerten Experten zudem, dass SMP auf ein Honorar verzichtete und stattdessen eine Bezahlung in Form von Unternehmensanteilen vereinbarte - nach erfolgreicher langfristiger Beratung. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war freilich, dass Cassiopeia bereits Umsätze aufwies und nicht lediglich einen schnellen Börsengang hinlegen wollte.

 Da die schnelle Mittelbeschaffung an der Börse derzeit lahmt, müssen Gründer auf den Motivationsschub verzichten, der noch vor einem Jahr viele Newcomer berauscht hatte. Da die Börse die Bemühungen der Firmen nicht immer mit einem Geldregen belohnt, werden Startups laut Engelbracht mittlerweile deutlich bescheidener bewertet. Das bedeute nicht nur weniger Geld für die Gründer - am Ende der Partnerschaft könne auch eine Übernahme durch ein anderes Unternehmen stehen. Was die Spreu vom Weizen trennt, ist die Erkenntnis, dass die Unabhängigkeit und der Gewinn nur durch exzellente Leistungen zu erreichen sind. Und damit wäre ein entscheidendes Kriterium erfüllt: die Rückkehr zur Realität.