IT in der Prozessindustrie/Vorausschauender Softwareeinsatz

ERP-System in einer Boom-Company: Die Software wächst mit

19.05.2000
Die US-amerikanische Medimmune Inc. kann als Beispiel eines boomenden Pharmaunternehmens gelten. In kaum drei Jahren hat sich sein Jahresumsatz verfünfzehnfacht. Zu Beginn dieser Entwicklung entschied man sich für eine neue Software, um mit der absehbaren Entwicklung Schritt halten zu können. Das System musste komplexe Abläufe der Medikamentenproduktion abbilden können. Bereits 1996 begannen die IT-Verantwortlichen, die neue ERP-Anwendung zu implementieren. Greg Warth* schildert das Vorgehen.

Eine Studie der Automation Research Corporation (ARC) belegt das anhaltende Wachstum in der Pharmaindustrie. Künftig werden wenige neue Unternehmen entstehen. Doch die existierenden erweitern vor allem ihre Anlagen- und Produktionskapazitäten. Für den ERP-Markt in dieser Branche bedeutet das im Lauf der nächsten fünf Jahre ein jährliches Wachstum um 29 Prozent, so ARC.

Medimmune, ein Unternehmen für Biotechnologie im US-Bundesstaat Maryland, sah diese Entwicklung voraus. Als Startup entschied es sich, sein bisheriges System durch eine neue ERP-Software zu ersetzen. Außerdem war eine neue Produktionsanlage in Planung. Sie wurde erst nach Abschluss der Implementierung fertiggestellt.

Flexibilität und Ausbaufähigkeit des Systems waren wichtige Entscheidungskriterien. Außerdem wollte sich das damals noch kleine Unternehmen keine aufwändige Lösung, sondern vielmehr ein wirtschaftliches System mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis zumuten.

Medikamente sind nicht nur in der Entwicklung, sondern auch in der Herstellung sehr komplex. Viele ERP-Systeme bilden diese Komplexität nicht bedarfsgerecht ab. Sie wurden für Industriezweige mit diskreter Fertigung entwickelt. Dort wird in der Regel aus vielen Teilen ein Endprodukt geschaffen. Bei der Herstellung von pharmazeutischen Produkten handelt es sich jedoch um so genannte Prozessfertigung.

In der Prozessfertigung sind zusätzliche Faktoren zu berücksichtigen: Haltbarkeit der Zusätze und des Endprodukts, unterschiedliche Dosierungen, hohe Reinheit von Grundstoffen, anfallende Neben- und Koppelprodukte. Es wird in Chargen produziert und nicht stückweise. Einfache Stücklisten, wie sie in der diskreten Fertigung eingesetzt werden, sind hier nicht zu gebrauchen.

Durch diese Vorgaben waren die Auswahlmöglichkeiten stark eingeschränkt. Die 30 ursprünglich unter die Lupe genommenen Systeme reduzierten sich dadurch auf vier. Die Entscheidung fiel zugunsten von "Protean", einer Anwendung der Wonderware Corporation aus Irvine, Kalifornien. Der Preis ließ sich mit dem damals noch geringen Budget von Medimmune vereinbaren.

Bereits sieben Monate nach dieser Entscheidung liefen die ersten Module. Nach weiteren drei Monaten war das gesamte System installiert. Proteans Skalierbarkeit hat sich bewährt. Es mussten keine weiteren Speicher oder Server hinzugefügt werden. Insbesondere das Jahr 1998 stellte für den Pharmaproduzenten einen Sprung nach vorn dar. Mit der Einführung des neu entwickelten Medikaments Synagis stieg der Medimmune-Umsatz innerhalb eines Jahres um nahezu 150 Prozent - das ERP-System bewältigte den steigenden Arbeitsaufwand. Neben der Skalierbarkeit überzeugte auch die objektorientierte Architektur: ein positiver Faktor hinsichtlich Expansion und Erweiterungen.

Vorausschauende Planung und intuitive AnwendungEin wichtiger Faktor in der Prozessindustrie ist die Planung der Abläufe vor, während und nach der Produktion. Diese Voraussetzungen erfüllte Protean. Mit dem Go-live ließen sich die Lagerbestände kontrollieren und die Daten in die Buchhaltung integrieren. Medimmune plant heute für sechs Monate im Voraus. So können langfristige Beziehungen zum Verkauf aufgebaut werden. Das reduziert Lager- und Frachtkosten.

Vorteilhaft war auch die intuitive Benutzung der Software. Es waren keine aufwändigen Anwenderschulungen notwendig. Das Produkt ist Windows-basiert und lehnt sich in seiner Struktur eng an das bekannte Microsoft-Modell an.

So werden beispielsweise Windows-Funktionen so weit wie möglich genutzt und integriert. Das erzeugt ein vielfach bereits gewohntes "Touch and Feel". Jeder, der mit Word, Excel oder Access vertraut ist, kann auch mit Protean umgehen.

Ein Resultat der neuen Vorgehensweise sind freie Kapazitäten beim Personal. Häufig waren Mitarbeiter mit der Lösung von Logistik-, Bestands- und Planungsfragen beschäftigt. Nun können diese freien Ressourcen zugunsten des Gesamtablaufs an anderen Stellen genutzt werden.

Medimmune setzt bei der kontinuierlichen Verbesserung der Vorgänge im Unternehmen auf den stetigen Ausbau seiner IT-Landschaft. In Planung sind die Implementierung neuer Protean-Funktionen wie das QualityAssurance-Modul und die Automatisierung des Produktversands. Ein wichtiger Schritt in die Zukunft ist es schließlich, die Anwendung Web-fähig zu machen. So sichert sich Medimmune in der aufstrebenden Pharmabranche weiterhin seinen Weg.

*Greg Warth ist Application Development Manager bei Medimmune in Gaitherburg, Maryland.

Das UnternehmenMedimmune Inc. entwickelt und vermarktet medizinische Produkte. Diese dienen der Vorbeugung und Behandlung von Infektionskrankheiten und werden bei Transplantationen eingesetzt. Zu den erfolgreichsten Entwicklungen gehört das Medikament Synagis, das seit 1998 auf dem Markt ist.

Das 1988 gegründete Pharmaunternehmen hat einen jährlichen Umsatz von 300 Millionen Dollar bei einer Mitarbeiterzahl von 438. Sitz ist Gaitherburg in Maryland/USA.